In diesem Herbst kommt Island groß raus: Es hat eine Reihe von Autoren, die sich mit der aktuellen Finanz- und Systemkrise auseinandersetzen.

Stuttgart - Island kam nach der jahrhundertelangen Kolonisierung durch die Dänen und der handelspolitisch verordneten Isolation erst spät wirklich in Kontakt mit der modernen Welt. Wirtschaftliche Ausbeutung und Benachteiligung schlugen sich katastrophal auf das Wohl des Inselvolkes nieder, bis es selbst aus einer Katastrophe Vorteil schlagen konnte. Im Zweiten Weltkrieg wuchs die Nachfrage nach Fisch, und Fisch konnte Island liefern. Später brachte der Marschallplan bestimmte Schlüsselbranchen voran, und im Kalten Krieg gab es starke wirtschaftliche Impulse durch die Präsenz des US-Militärs. Diese ökonomische Anbindung an die Welt im Schatten der Katastrophe blieb nicht ohne Wirkung auf die isländische Kultur: "Die Geschichte der jetzt lebenden Isländer ist die Geschichte des Kalten Krieges", schreibt Andri Snaer Magnason in seinem Essaybuch "Traumland" (Orange Press, 2011) und spricht angesichts des bevorstehenden Rückzugs der Amerikaner von einer "unmittelbaren Friedensbedrohung".

 

Die satirische Spitze gehört zum Konzept seines Aufklärungsbuchs, das in mehr als dreißig Essays und Artikeln dem Wesen der isländischen Krisenerfahrung auf den Grund geht. Magnasons essayistischer Diskurs wurzelt in einer Mentalitätskritik, die das politische Handeln der Eliten als Folge einer unbewältigten Moderne betrachtet: "Wir sind gefangen in einem Denkmuster, das da lautet: dieses Land muss verdammt noch mal aus seinem Grasdachhütten-Dasein befreit werden." Und dieses paranoide Denken sei Ursache permanenter politischer Überkompensationen. Magnason hat noch nicht so sehr das desaströse Finanzabenteuer im Blick - das Buch erschien 2006. Sein Fokus ist die Ökokatastrophe, die dem Land bevorstünde, wenn sich die heroischen Pläne der nationalen Energiebehörde durchsetzen: deren Rezept gegen "das Grasdachhütten-Dasein" ist eine die gesamte Insel erfassende Ausbeutung der Wasserenergie zu Gunsten der Aluminiumindustrie.

Literarischer Sekundant der insularen Ökologiebewegung

Magnason beginnt seinen Exkurs zu diesem in den letzten Jahren heftig umkämpften Großprojekt mit dem Hinweis auf den 1970 erschienenen Essay "Krieg gegen das Land" von Halldor Laxness. Dort problematisiert Laxness, schon immer der Seismograf der isländischen Krisen, die bereits fortgeschrittene Umweltzerstörung infolge der Wasserkraftwerke und erweist sich als literarischer Sekundant der insularen Ökologiebewegung.

Ein Lehrstück in Sachen Krise und Kritik in Island ist Laxness' Roman "Atomstation" von 1948 (Steidl, tb 2007). Laxness liefert hier eine große Polemik zur Auseinandersetzung um die Militärstützpunkte in Island, in der die politischen Entscheidungsträger einer galligen Gesellschaftskritik unterzogen werden und als Volksverräter und Verkäufer des Landes erscheinen. In Halldor Gudmundssons maßstabsetzender Laxness-Biografie ("Halldor Laxness", btb 2010) ist dann nachzulesen, welche Reaktionen der Schriftsteller durch diese literarische Attacke auf sich zog: in den USA eine Rufmordintrige wegen angeblicher Steuerhinterziehung, in Island den Entzug des staatlichen Stipendiums.

Analyse der politischen und ökonomischen Verhältnisse

Eine maximale Krisenerfahrung erleben die Isländer seit 2008, dem Jahr der globalen Finanzkrise und des isländischen Systemabsturzes. Der Absturz war umso härter, als in den zehn Jahren zuvor ein fantastischer Aufschwung stattgefunden hatte. Wie sehr der auch auf dem Grasdachhütten-Komplex beruhte, beschreibt Einar Mar Gudmundsson in seinem Essayband "Wie man ein Land in den Abgrund führt" (Hanser 2010). Der Autor legt eine Analyse der politischen und ökonomischen Verhältnisse vor und breitet das Spektrum der dramatis personae im neoliberalen Finanzdrama Island aus, in Klarnamen.

Wer derart Ross und Reiter nennt, könnte schon mit Nachstellungen rechnen, siehe Laxness, aber Einar Mar Gudmundsson braucht sich darum nicht zu scheren. Sein wirtschaftliches Standbein bilden die weltweiten Übersetzungen seiner Romane. Sein aktuelles Buch "Vorübergehend nicht erreichbar" (Hanser, 2011) führt direkt ins Milieu von Drogensucht und Alkoholismus, den der Dichter sich in einem schmerzhaften Erkenntnisprozess selbst eingestehen musste. Wie diese persönliche Krisenerfahrung zu überwinden war, zeigt auch sein Lobpreis der Liebe, die am krisenhaften Rand der Gesellschaft vor allem eines ist: Solidarität.

Kritik zu üben ist in einem so kleinen Land wie Island schwer. Die Medien sind weitgehend gleichgeschaltet, und der Kritiker findet sich schnell außerhalb einer Gesellschaft wieder, die mangels Masse eher eine große Gemeinschaft darstellt. Diese Erfahrung kennt auch Steinar Bragi, ein Autor der jüngeren Generation, der lange Jahre im Ausland verbrachte und meint: "Die Isländer werden beherrscht von einer Clique von wenigen Familien. Ich meine, dass wir hier nicht unbedingt eine Nation im Sinne des christlichen Abendlandes sind, sondern eine Nation von Stämmen." Damit stellt sich Bragi als echter Intellektueller deutlich gegen den Mainstream.

Weitermachen ist die Devise

Sein Roman "Frauen" (Kunstmann, 2011) sticht auch ästhetisch aus der aktuellen Erzählprosa heraus. Es geht um eine junge Isländerin, die nach Jahren in New York zurück in Reykjavâk einen alles zerstörenden Horror erlebt. Sie lebt in der Luxuswohnung eines ihrer Auftraggeber und wird Opfer einer unfasslichen und undurchschaubaren Verschwörung. Vordergründig am Exempel einer alkoholbedingten Paranoia entwickelt, scheint es in diesem surrealen Albtraum um die mentale Zurichtung der hippen Isländer zu gehen, die am Ende ganz andere geworden sind.

Was bei Andri Snaer Magnason die Ironie als Weg zur Selbstkritik, bei Steinar Bragi eine psychedelische Performance des kapitalistischen Zynismus und bei Einar Mar Gudmundsson wohlgezielte Tiefenbohrungen zu den letzten Ressourcen der Solidarität sind, das ist bei dem Bankangestellten und Jungautor Gudmundur Oskarsson die Fallstudie einer existenziellen Erschütterung. Sein Buch "Bankster" (FVA, 2011) besteht aus Tagebuchaufzeichnungen eines jungen, typischen Mittelklassebürgers, der infolge des Bankencrashs arbeitslos wird und dem Ruin zuschlittert.

Merkwürdig ist bei diesem Krisenroman, dass er ein persönliches Schicksal zwar sensibel seziert, aber relativ lakonisch an das kollektive Schockphänomen bindet: weitermachen ist die Devise! Das ist sehr perspektivlos, brachte dem Debütanten aber immerhin den Isländischen Literaturpreis 2010 ein.

Lesenswertes aus Island

Andri Snaer Magnason: Traumland. Was bleibt, wenn alles verkauft ist? Orange Press 2011. 320 Seiten, 20 Euro.

Halldor Laxness: Atomstation. Roman. Steidl tb 2007. 208 Seiten, 9,90 Euro.

Halldor Gudmundsson: Halldor Laxness. Eine Biografie. Btb 2010. 864 Seiten, 49,95 Euro - oder tb, 18 Euro.

Einar Mar Gudmundsson: Wie man ein Land in den Abgrund führt. Hanser 2010. 208 Seiten, 16,90 Euro.

Ders.: Vorübergehend nicht erreichbar. Eine Liebesgeschichte. Hanser, München, 2011. 333 Seiten. Erscheinungstag: 25. Juli.

Steinar Bragi: Frauen. Kunstmann, 272 Seiten, 19,90 Euro. Erscheinungstag: 29. August.

Gudmundur Oskarsson: Bankster. Roman. FVA 2011. 330 Seiten, 22,90 Euro. Erscheinungstag: 1. September.