Gunther Geltinger hat als Kind gestottert. Seine Suche nach dem Fließen der Sprache hat ihn zum Schreiben gebracht. Jetzt hat er seinen zweiten Roman fertig.

S-Mitte - Mit Schreibstipendien kennt Gunther Geltinger sich aus. Ein halbes Dutzend davon hat er für seinen aktuellen, fast fertigen Roman „Palast der Libellen“ angesammelt. Zwischendurch war er Inselschreiber auf Sylt, auch dem Bachmann-Preis-Wettbewerb zu Klagenfurt hat er einen Besuch abgestattet. Glatt lief es für den 38-Jährigen dort nur beim Publikum, die Jury schwankte zwischen „nicht versetzt“ und „preiswürdig“. Klar Letzteres befand das hiesige Schriftstellerhaus, was Geltinger nun das dritte diesjährige Stipendium des Hauses bescherte: ein vierteljähriger Aufenthalt, mit 4000 Euro dotiert, von Lotto spendiert.

 

Geltinger rührt am Tabu, dass Frauen Kinder missbrauchen

Wer die Nase vorne hat gegen dutzendfache Konkurrenz, der muss etwas Habhaftes auf der Waagschale der literarischen Wahrnehmung liegen haben. Bei Geltinger ist es neben besagtem Manuskript ein Roman-Erstling: „Engel“, eine viel gelobte Coming-Out-Geschichte, bei der es auch ums Schreiben, ums Erzählen und dessen existenzielle Bedeutung geht. Davon handelt auch „Palast der Libellen“. Eine herbe Mutter-Sohn-Geschichte, mit der Geltinger an einem Tabu rührt: am Missbrauch, den Frauen an Jungen begehen. Auf einer zweiten Ebene aber lagert die Geschichte „vom Verstummen eines jungen Autors“. Ein Hinweis, den Geltinger vor dem Beginn seiner Lesung ausdrücklich gibt. Offenbar mit biografischem Hintergrund, denn der Autor legt sogleich ein Bekenntnis nach: „Ich war Stotterer. Das hat mich zum Außenseiter gemacht. Schreiben war für mich eine Suche nach dem Fließen der Sprache.“ Sprachfutter hatte der in einer Germanistenfamilie Aufwachsende meterweise. Und doch „war das Schreiben für mich immer wichtiger als das Lesen“, erklärt er später im Gespräch. „Ich habe mit sieben zu schreiben begonnen.“

Sprache ist hier Lebensmittel

Das ließe direkt an historische Exempel der „kompensatorischen Leistung“ denken. Von Moses bis, wenig bekannt, Marilyn Monroe. Und dazwischen etwa den mit Kieselsteinen gurgelnden Demosthenes oder den hyperfeinen Sprachartisten Henry James. Im Falle von Gunther Geltinger aber wäre das zu schlicht gedacht, wie schon sein langer Studiengang andeutet. Nein, dieser Schriftsteller, das zeigt schon die Lesung aus dem neuen, fast fertigen Roman, sucht nicht den schnellen Weg, schon gar nicht die Abkürzung oder womöglich den äußeren Erfolg. Sprache ist hier Lebensmittel pur: als elementares Medium bohrender Existenzerkundung. Das gibt seiner literarischen Sprache jene Dichte und Intensität, auch jenen Ernst, die das Publikum im Schriftstellerhaus magisch in den Bann ziehen. Feinheit, Genauigkeit und Anschaulichkeit gehen hier im Gleichschritt mit einem Rhythmus, einem Formbewusstsein und einer Phrasierung, die nachgerade musikalisch komponiert scheinen. Und wenn im Vortrag der einstige Stotterer momentweise durchschimmert, wenn die Sprache sich staut und stockt, um sich sogleich kaskadenhaft zu entladen, wirkt das nunmehr wie eine zusätzliche Beglaubigung – für eine Erfahrung und eine Position: Die erworbene Sprachmächtigkeit ist kein sicheres Zuhause – auch die Literatur nicht. Und doch ist ein Leben ohne sie nicht denkbar.

Man darf also gespannt sein auf diesen im Frühjahr erscheinenden Roman, dessen Endkorrektur Geltinger im Schriftstellerhaus vorgenommen hat. Dafür flicht er dem Haus auch gleich ein Dankeskränzchen: „Hier frei arbeiten zu können, das ist eine unglaubliche Chance für junge Autoren. Zumal für mich das zweite Buch ein doppelt schwieriges, mit einigen Erwartungen verbundenes ist. Ich bin sehr dankbar für diese Chance.“