Auf beiden Seiten des Ärmelkanals kann man Steine von Archivars- und Forscherherzen fallen hören. Die mehr als hundert Briefe und Karten, die Franz Kafka an seine Lieblingsschwester Ottla schickte, werden nicht verscherbelt und womöglich in alle Winde zerstreut, sondern bleiben beisammen, werden sicher im Deutschen Literaturarchiv verwahrt und stehen der Philologie weiterhin zur Verfügung. Und dies, ohne dass man in einen unter Umständen peinlich endenden Bieterwettstreit hätte eintreten müssen.

 

Dass die beiden in Sachen Kafka weltweit führenden sammelnden Institutionen, das Marbacher DLA und die Bodleian Bibliothek der Universität Oxford, sich hinter den Kulissen einer erregten Mediendebatte um gefährdetes Kulturgut geräuschlos geeinigt und außerdem hinreichend Finanzquellen aufgetan haben, ist in der Tat beispielhaft. Bisher schon waren die entsprechenden Archive in Deutschland sich darin einig, zwar um Bestände zu konkurrieren, Preistreiberei aber nicht mitzumachen. Dass dies im größeren europäischen Rahmen klappt, ist schon weniger üblich. Und ganz neu ist der Versuch, beim Erwerb wie bei der Erschließung grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten, wie Marbach und Oxford das jetzt vorführen.

Die Angst vor der Kulturschande

Mag sein, die Herren Raulff und Ovenden haben auch ein bisschen gepokert. Was wäre eher angetan gewesen, die Öffentlichkeit, die Vertreter der öffentlichen Hand und auch private Geldgeber aufzuschrecken, als die in überregionalen Feuilletons ebenso alarmiert wie lustvoll ausgepinselte Perspektive, irgendein sinistrer Magnat werde den Bestand erwerben und in seinen Safe sperren oder, schlimmer noch, irgendwann aufteilen und weiterveräußern? Die Angst vor dieser Kulturschande, wie realistisch auch immer, hat die Taschen in Berlin und anderswo geöffnet.

Dass Ottlas Erben, die Kafkas Briefe nach vier Jahrzehnten in Oxford nun auf den Markt bringen wollten, sich angesichts der gefundenen Lösung entzückt zeigen, verwundert nicht. Es war nämlich keineswegs ausgemacht, dass sie die verlangte halbe Million bei der geplanten Versteigerung auch wirklich hätten erlösen können. Was sie jetzt bekommen haben, kann man nur vermuten. Der Wert dieses gemeinsamen Ankaufs liegt in seiner Symbolkraft.

Möglich wurde der Ankauf auf deutscher Seite durch Gelder vom Bund, des Landes Baden-Württemberg, der Kulturstiftung der Länder und mehrerer Spender, namentlich der Verlagsgruppe Holtzbrinck mit ihrer britischen Tochter Macmillan Publishers. Die andere Hälfte der Kaufsumme kommt nicht vom britischen Staat, der seine Kulturausgaben gerade drastisch reduziert, sondern von privaten Stiftern aus dem Freundeskreis der Universitätsbibliothek in Oxford.

Die Erben von Kafkas Schwester waren über die gefundene Lösung so froh, dass sie den Deal mit einer unerwarteten Zugabe krönten: Ohne Aufpreis wandern auch 23 Briefe von Kafkas Mutter, drei Briefe seiner letzten Freundin Dora Diamant und neun Briefe seines Arztes Robert Klopstock ins Archiv. Anders als die Ottla-Briefe sind sie unpubliziert und bisher nur von sehr wenigen Kafka-Forschern konsultiert worden. Das wird sich jetzt ändern. Bereits Ende Mai ist eine Ausstellung der Neuzugänge in Marbach geplant.

Kommentar: Ende gut, alles gut?

Auf beiden Seiten des Ärmelkanals kann man Steine von Archivars- und Forscherherzen fallen hören. Die mehr als hundert Briefe und Karten, die Franz Kafka an seine Lieblingsschwester Ottla schickte, werden nicht verscherbelt und womöglich in alle Winde zerstreut, sondern bleiben beisammen, werden sicher im Deutschen Literaturarchiv verwahrt und stehen der Philologie weiterhin zur Verfügung. Und dies, ohne dass man in einen unter Umständen peinlich endenden Bieterwettstreit hätte eintreten müssen.

Dass die beiden in Sachen Kafka weltweit führenden sammelnden Institutionen, das Marbacher DLA und die Bodleian Bibliothek der Universität Oxford, sich hinter den Kulissen einer erregten Mediendebatte um gefährdetes Kulturgut geräuschlos geeinigt und außerdem hinreichend Finanzquellen aufgetan haben, ist in der Tat beispielhaft. Bisher schon waren die entsprechenden Archive in Deutschland sich darin einig, zwar um Bestände zu konkurrieren, Preistreiberei aber nicht mitzumachen. Dass dies im größeren europäischen Rahmen klappt, ist schon weniger üblich. Und ganz neu ist der Versuch, beim Erwerb wie bei der Erschließung grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten, wie Marbach und Oxford das jetzt vorführen.

Die Angst vor der Kulturschande

Mag sein, die Herren Raulff und Ovenden haben auch ein bisschen gepokert. Was wäre eher angetan gewesen, die Öffentlichkeit, die Vertreter der öffentlichen Hand und auch private Geldgeber aufzuschrecken, als die in überregionalen Feuilletons ebenso alarmiert wie lustvoll ausgepinselte Perspektive, irgendein sinistrer Magnat werde den Bestand erwerben und in seinen Safe sperren oder, schlimmer noch, irgendwann aufteilen und weiterveräußern? Die Angst vor dieser Kulturschande, wie realistisch auch immer, hat die Taschen in Berlin und anderswo geöffnet.

Dass Ottlas Erben, die Kafkas Briefe nach vier Jahrzehnten in Oxford nun auf den Markt bringen wollten, sich angesichts der gefundenen Lösung entzückt zeigen, verwundert nicht. Es war nämlich keineswegs ausgemacht, dass sie die verlangte halbe Million bei der geplanten Versteigerung auch wirklich hätten erlösen können. Was sie jetzt bekommen haben, kann man nur vermuten. Der Wert dieses gemeinsamen Ankaufs liegt in seiner Symbolkraft.