Seit zehn Jahren serviert Gerhard Polacek Literatur und Apfelstrudel in seinem letzten Literaturcafé vor der Autobahn. Er will weitermachen – „bis i ins Grab spring“.

Esslingen - Die einst weit verbreitete Werbebotschaft „Die letzte Tankstelle vor der Autobahn“ ist angesichts einer ausgeuferten Mobilität längst aus dem kollektiven Gedächtnis der Autofahrer verschwunden. „Das letzte Literaturcafé vor der Autobahn“ aber ist nach wie vor quicklebendig – auch im zehnten Jahr seines Bestehens. Der original Esslinger Originalwiener Gerhard Polacek betreibt es im Kabarett-Keller der Esslinger Galgenstricke.

 

In der Wohlfühlatmosphäre des historischen Gewölbes in der Webergasse 9 serviert der inzwischen 64 Jahre alte Schauspieler unter dem Motto „Polacek liest“ jeden letzten Sonntag im Monat Literatur – garniert mit selbst geschnitztem Wiener Apfelstrudel. Wie bei den Äpfeln im Apfelstrudel weiß das Publikum, was es in jeder der gut einstündigen Lesungen erwartet: Gleichgültig, ob Hermann Hesse auf dem Buchdeckel steht, Heinrich Böll oder Slawomir Mrozek – drin ist immer Gerhard Polacek.

„Ich kündige das Programm immer erst eine Wochen vorher an. Ob ich mich dran halte, ist dann gar nicht mal so wichtig. Die Leute kommen nicht deswegen, sondern auch, weil sie Sachen entdecken, die sie vorher nicht kannten“, sagt Polacek, der vor 28 Jahren der Liebe wegen von Wien nach Esslingen gekommen war.

Kein Plan – und das zehn Jahre lang

„Ich habe vor zehn Jahren keinen Plan gehabt, als ich das Literaturcafé ins Leben gerufen habe. Ich wollte einfach lesen und schauen, was passiert“, sagt der vorlesende Schauspieler oder, je nach Lesart, schauspielernde Vorleser. Passiert sind seither mehr als 150 Lesungen und 150 Apfelstrudel mit geschätzt 300 Kilogramm selbst geschälten und eigenhändig zurechtgeschnittenen Äpfeln.

Das Publikum genießt Polacek, den Wiener Schmäh, den er sich auch im Esslinger Exil erhalten hat und die Atmosphäre eines in den Keller ausgelagerten Wohnzimmers. Polacek seinerseits genießt das Publikum. „Ich mache das nicht um zu überleben oder wegen des Geldes. Ich mache das, weil ich für mein Leben gerne anderen Leuten etwas vorlese“, sagt er. Noch nie sei bisher eine Lesung ausgefallen. „Ich lese auch, wenn nur ein Besucher kommt“, erklärt der Apfelstrudelschnitzer glaubhaft. In diese Verlegenheit ist er noch nie gekommen. Wenn es gut läuft, dann ist das Literaturcafé mit den 28 Plätzen ausverkauft. Ganz selten, wenn der Termin ungeschickt liegt, verirrt sich nur eine Handvoll Literaturfreunde in den Keller. „Manche entschuldigen sich schon, wenn sie beim nächsten Mal aus irgend einem Grund nicht dabeisein können“, sagt Polacek.

Der gebürtige Wiener und gelernte Bankangestellte ist erst spät zur Schauspielerei gekommen. „Als ich das erste Mal auf der Bühne stand, war ich schon 35 Jahre alt. Vielleicht habe ich deshalb immer noch das Gefühl, jetzt geht’s erst richtig los“, sagt er. Aktuell spielt er die Hauptrolle in „Unter Tannen“, einer Serienproduktion des Saarländischen Rundfunks. Zwischendurch gibt er den Museumswärter Dave in dem Nick Hornby-Stück „NippleJesus“, das von der Württembergischen Landesbühne und der Villa Merkel auf die Bühne gebracht wird und bereitet sich für das Stuttgarter Theater tri-bühne auf einen Auftritt in William Shakespeares „Was ihr wollt“ vor.

Darüber, was er hinsichtlich der Zukunft des Literaturcafés selbst will, muss er nicht lange nachdenken. „I’ werd des moacha, bis i ins Grab spring.“