Höchst lebendig ist das Ludwisburger Literaturfest am Sonntag über die Bühne gegangen. Dafür sorgten neben teils skurrilen Lesungen auch sehr kreative Inszenierungen – bei denen auch die Lokalpolitik nicht verschont wurde.

Ludwigsburg - Gedichte, Romane und Fachbücher, Kurzgeschichten, Satire und Krimis: beim Literaturfest am Sonntag standen Wörter, Geschichten und Texte im Fokus. An verschiedenen Orten rund um den Rathausplatz haben Autoren und Schauspieler, Poeten und Literaten ihre Werke präsentiert – oder auch erst live vor Ort geschaffen. – Ein Spaziergang durch das breite Angebot von mehr als 40 Veranstaltungen mitten in der City.

 

Fundstücke Stöbern ist angesagt im Großen Saal des Kulturzentrums. In zig Kategorien eingeteilt stehen hier auf langen Tischen hunderte Bücher zu kleinen Preisen bereit, um von Leseratten entdeckt zu werden. Zur Begeisterung der Besucher: eine Frau schafft es kaum, ihren Riesenstapel an Fundstücken selbst zur Kasse zu tragen und ein Mädchen hüpft vor Begeisterung vor ihren Freunden herum, weil sie endlich ein lang gesuchtes Exemplar gefunden hat. Auch Verlage und Buchhandlungen sind mit ihren Werken im Saal vertreten. Derweil können im Foyer davor aktuelle Kreationen bestellt werden: die Wörtchenbude fertigt gegen Honorar Gedichte und Kurzgeschichten mit Begriffen nach Wahl.

Tucholsky In der voll besetzten Kantine des Kulturzentrums herrscht Trauerstimmung. Der Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky ist gerade gestorben – zumindest stellen die Schauspieler Lisa Kraus und Rüdiger Erk dies so dar. Sie rezitieren, stets mit ironischem Unterton, das satirische Gedicht „Letzte Fahrt“ von Tucholsky, in dem er sich sein eigenes Begräbnis ausmalt. Und nicht nur das: Mit geschickten Überleitungen, begleitet von den dumpfen Klängen eines Kontrabasses und immer wieder unterbrochen von Informationen zu biografischen Daten des Schriftstellers, präsentieren die beiden zahlreiche Werke des politischen Provokateurs und bissigen Satirikers – manche modern interpretiert, viele mit Gesten und Mimik untermalt, aber alle mit großer Präzision und einem kleinen Augenzwinkern vorgetragen.

Speisebeschreibungen als Philosophie des Essens

Speisen Etwas zeitgenössischer geht es zu bei der Lesung mit dem Titel „Wir sind keine Veganer, aber...“, die der Nabu organisiert hat. Zwar haben sich nur knapp ein Dutzend Zuschauer in dem Veranstaltungsraum der Stadtbibliothek eingefunden – aber sie amüsieren sich umso mehr über die „Speisebeschreibungen“ von Frank Rebitschek. In diesen geht es allerdings nur am Rande ums Kochen – vielmehr philosophiert der Autor in seinen Kurzgeschichten fantasievoll über Speisen an sich wie beispielsweise über die Verarbeitungsformen von Hackfleisch oder den wenig exquisiten Geschmack von Froschschenkeln. Für besondere Heiterkeit im Saal sorgen aber seine Überlegungen zu Essen und Kaffee „to go“ und seine lebendige Beschreibung einer überaus abenteuerlichen Befreiungsaktion von Hummern – die in der Wirklichkeit vielleicht gar nicht passiert ist.

Nervenstimmer Eine kleine, geschickt arrangierte und durchdachte Theaterinszenierung zeigt die Wortbühne im Stadtmuseum MIK. Im Zentrum steht der schwäbische Arzt Justinus Kerner, der seinen berüchtigten Nervenstimmer so umgebaut hat, dass er durch die Verwendung eines neuen Fluidums Menschen aus der Ludwigsburger Literaturszene materialisieren kann. Das klappt allerdings nur zum Teil – und so kommen die Zuschauer in den Genuss einer ungefilterten literarischen Reise in die Ludwigsburger Vergangenheit.

Der herbeigerufene Casanova kommt wie gewünscht und berichtet, in Gewänder seiner Zeit gekleidet, von seinem Besuch am Hofe von Herzog Carl Eugen. Doch statt Friedrich Wilhelm von Hofen, einem Zeitgenossen Schillers, erscheint eine aufgeregte Literaturagentin, die für ihren Mandanten (von Hofen) die Rechte an Schillers „Wallenstein“ und „Die Räuber“ erstreiten will. Und anstelle der Schriftstellerin Emma von Suckow kommt Auguste Supper, deren Bücher der nationalsozialistischen Ideologie entsprachen – und sorgt für einen Seitenhieb auf die aktuelle Ludwigsburger Politik: Sie rühmt sich, dass hier eine Straße nach ihr benannt sei. Im Sommer hatte es im Gemeinderat heftige Diskussionen über eine Umbenennung gegeben, doch letztlich bleibt der Straßenname.

Auch abseitige Texte sind zu hören

Abseitiges Sehr spezielle Geschichten sind bei der Vorstellung der „Eremitage 18“ zu hören, einer gebündelten Ausgabe von Texten ausgewählter Autoren des Ludwigsburger Literaturforums. Im Pavillon im Ratskellergarten lauschen rund 20 Interessierte der ruhig und geradezu meditativ dahinplätschernden Geschichte von Subramaniy Suresh über einen ereignislosen Sonntag zwischen Weihnachten und Neujahr. Dann folgt der harte Schnitt: Nach einer kurzen Analyse der Bilder des Schriftstellers und Malers Norbert Sternmut durch ihn selbst liest der Autor Albrecht Schau seinen Text über den künstlerischen Wert selbst produzierter Fäkalien.

Lesen Auch abseits des Programms beschäftigen sich die Besucher mit dem Lesen: Sie stöbern in den Neuerscheinungen der Verlage, in alten Ausgaben auf dem Bücherflohmarkt oder im Bücherbus. Eine Familie lässt sich gar spontan auf der Treppe im Kulturzentrum nieder, weil der Vater den Söhnen ein Gedicht vorlesen will.