Live Escape Games florieren weltweit – auch in Stuttgart. Bei der hiesigen Firma Exitgames staunt man über den eigenen Aufstieg. Und am Feuersee eröffnen die zwei Jungs mit ihrer neuen Firma Enmaze weitere Live-Game-Räume.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-West - Die Nerds sind erwachsen geworden. Eine ganze Generation tritt aus ihren Jugendzimmern, wo sie ihre Kindheit verdaddelte, und möchte nun im echten Leben weiterspielen. Das ist – leicht zugespitzt – die Folie, vor der Live Escape Games weltweit florieren. Patrick Österreich und Alexander Zorn wollen sich an diese Entwicklung heften und im September unter dem Namen Enmaze nahe dem Feuersee zwei Rätselräume eröffnet. Die beiden jungen Männer sind nicht die ersten in Benztown: Bereits im März 2014 hat Exit Games den ersten Raum in Stuttgart eröffnet, in Filderstadt bietet Live Room Escape ein Spiel an.

 

Bei Live Escape Games lässt sich eine kleine Personengruppen in einen Raum sperren, aus dem sie sich mit Hilfe der darin versteckten Hinweise und Gegenstände binnen einer Stunde selbst befreien muss. Im Grunde geht es um ein Detektivspiel, das in eine Rahmenerzählung gekleidet ist. Dabei spielen gruppendynamische Prozesse eine nicht unwesentliche Rolle. Die Einrichtung der Räume ist in Stil und Epoche auf die Erzählung abgestimmt und oft historisierend. Die Spielleitung beobachtet das Geschehen über Kameras und greift nötigenfalls korrigierend ein.

Generation Nintendo

Österreicher und Zorn kannten Live Escape Games zunächst bloß aus zweiter Hand. Eine Freundin hatte ihnen Anfang des Jahres von Escape-Räumen in Budapest vorgeschwärmt. Die Jungs waren sofort Feuer und Flamme. Denn sie konnten sich rasch einfühlen: „Wir sind die erste Generation, die mit Nintendo groß geworden ist“, sagt Alexander Zorn. „Wir sind ins virtuelle Spieleding reingewachsen.“ Dass so etwas auch in Echt funktioniert, leuchtete ihnen unmittelbar ein. Schließlich sind Computerspiele die Ahnen dieser neuen, analogen Spielweise.

„Ungarn ist das Mekka der Live Escape Games in Europa“, weiß Patrick Österreicher inzwischen. Ganze Fabrikhallen würden dort für Spiele umgebaut. Das Geschäft boomt. International führend sind die asiatischen Megacitys Peking und Shanghai, wo Spielräume inzwischen oft zur Ausstattung einer besseren Shoppingmall gehören. Aber auch in Europa, USA, Kanada und Australien schießen die Spielräume wie Pilze aus dem Boden. Berlin hat bereits mindestens 16 Live-Escape-Räume vorzuweisen, München acht, und in Stuttgart eröffnet Exitgames demnächst den vierten Raum – unter dem Motto „Horror/Freaky“. Die meisten Spielzimmer haben erst in den vergangenen eineinhalb Jahren eröffnet.

Der Aufwand für die Betreiber ist vergleichsweise übersichtlich: Österreicher und Zorn meldeten ihre Firma an und machten sich auf die Suche nach gewerblich nutzbaren Räumen. An der Weimarstraße wurden sie fündig. „Wir haben drei Zimmer auf 100 Quadratmeter im ehemaligen Tiefbauamt gemietet.“ Die Einrichtung orientiert sich jeweils an der Rätselgeschichte. In „Die Tränen der Gaia“ müssen die Teilnehmer ein Zauberelixier an sich bringen. Professor E. Nigma (ainigma ist das altgriechische Wort für „Rätsel“) aus Stuttgart ist es gelungen, die „Tränen der Gaia“ in seinen Besitz zu bringen. Dessen Assistenten bietet den Spielern an, ihnen Zugang zum Arbeitszimmer des Professors zu verschaffen, um das Elixier zu stehlen. Allerdings hat der Gelehrte das Fläschchen mit geheimen Mechanismen gesichert. Die Spieler haben nun eine Stunde Zeit, die gründerzeitliche Studierstube des Professors zu durchforsten.

Der Retro-Stil liegt schwer im Trend

Gedacht ist das Ganze für Gruppen von zwei bis sechs Spielern. Der Preis für den Raum liegt je nach zusätzlichen Servicewünschen zwischen 99 und 179 Euro. Da alle Spieler dasselbe Ziel verfolgen, ist Teamgeist gefragt, weshalb Österreicher und Zorn sich vorstellen können, dass auch Firmen zwecks Teambuilding an ihren Rätselräumen interessiert sein könnten. Die beiden 29-jährigen Enmaze-Chefs wollen, dass ihre Gäste „sich fühlen, als seien sie in einem Film“, so Alexander Zorn. Die Möblierung ist handverlesen und ergibt „eine Kulisse, die man uns abkauft, in der die Leute in eine andere Welt versetzt werden“. Der wuchtige Schreibtisch des Professors beispielsweise stammt aus dem Nachlass des Journalisten, Schauspielers, Sprechers und Dozenten für Medienrhetorik Fred C. Siebeck. Der zweite Rätselraum führt die Spieler ins Reich der Maya und schickt sie auf die Suche nach einem magischen Artefakt.

Der Retro-Stil der Interieurs liegt schwer im Trend. Zahlreiche Bars, Tattoo-Studios oder Friseursalons pflegen seit einiger Zeit jenen diffus historisierenden Einrichtungsstil, der sich wohl grob zwischen 1880 und 1940 verorten lässt. Beim Spiel impliziert dies zugleich, dass zum Lösen des Rätsels ausschließlich analoge Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Auch hierin erweisen sich Live Escape Games als zeitgeistig, ist doch analog en vogue wie das Revival von Vinyl, Kassettenrekorder und Polaroidkamera belegen. Beide Enmaze-Spiele weichen vom klassischen Prinzip des Escape-Raumes ab, weil es nicht darum geht, dem Raum zu entfliehen. „Flucht hat immer so etwas Beklemmendes“, findet Österreicher. „Dabei kommt ja schon allein durch den Zeitdruck Spannung auf.“

Beim Feuerseefest vom 17. bis 20. September will sich Enmaze mit einem Stand erstmals in der Öffentlichkeit präsentieren. Von Montag, 21. September, gehen die Live Games dann in Betrieb. Für Montag, 21. September, kann man sich online auf www.enmaze.de bereits einbuchen.

Michael Bierhahn über den Aufstieg von Exitgames

Der erste Live Escape Room Stuttgarts, den Oliver Bierhahn mit ein paar Freunden eröffnet hat, war lediglich Amüsement von ein paar Spielfreaks. Doch das Projekt ging ab wie eine Rakete, und inzwischen ist der 29-Jährige ein ziemlich erfolgreicher Unternehmer.

Herr Bierhahn, im März 2014 hat Ihre Firma Exitgames einen Live-Escape-Room in Stuttgart aufgemacht. Die Unternehmung hat sich recht dynamisch entwickelt.
Ja und durchweg positiv. Aus einem Hobby ist ein Firmenverbund mit mehr als 30 Angestellten geworden. Mehr als 1500 Escape Games haben wir bisher allein in Stuttgart durchgeführt und dabei etwa 8000 Menschen von unserem Spielkonzept überzeugt. Die Nachfrage steigt von Monat zu Monat.
Das heißt, Exitgames ist inzwischen zu einem Vollzeit-Job geworden?
Das war nicht mehr so nebenbei zu machen. Kürzlich habe ich deshalb meine Stellung in leitender Position in der Automobilbranche aufgegeben und führe nun als Geschäftsführer in Vollzeit die operativen Geschäfte bei Exitgames.
Was denken Sie, woher rührt dieser Boom von Live Games, der sich ja nicht bloß hier zeigt, sondern sich weltweit beobachten lässt?
In Zeiten der fortschreitenden Urbanisierung bei gleichzeitig starkem Konsumverhalten gibt es eine große Nachfrage nach intensiven und neuartigen Erlebnissen. Bowlingcenter, Kletterparks oder Kartbahnen haben allmählich ihren Reiz verloren. Das Angebot der Live Escape Games scheint genau zur richtigen Zeit zu kommen. Schließlich ist jeder Escape Room einzigartig und bietet auf seine Art die Chance, sich für einen Moment in die Welt von Indiana Jones, Scotland Yard oder Drei Fragezeichen zu begeben. Für den Preis einer Kinokarte erhält der Spieler ein emotionales Erlebnis, dass ihm noch lange in Erinnerung bleibt.
Das Gespräch führte Kathrin Wesely.