Sie kommen aus Japan und erobern jetzt Deutschland: bei Live Escape Games müssen die Teilnehmer Rätsel lösen, um einem Raum zu entkommen. Jetzt gibt es das Konzept auch für zu Hause und als Franchise.

Stuttgart - Noch eine Minute, dann ist der Sauerstoff im Raum weg. Hastig tippen Cécile und Chris vier Codes in das Terminal in der Mitte der Versorgungsstation. Haben sie alle Rätsel richtig gelöst? Stimmen die Zahlenkombinationen? Zum Überprüfen bleibt keine Zeit. Kurze Stille, dann triumphale Musik. Durch die Tür kommt Roman Kirchdorfer und gratuliert: „Für ein so kleines Team wart ihr recht gut“, lobt er. Dabei hat er ordentlich nachhelfen müssen.

 

Kirchdorfer ist der Spielleiter eines so genannten Live Escape Games, im Prinzip eine „Schnitzeljagd“ auf beschränktem Raum. Dabei lassen sich die Teilnehmer in einen Raum „sperren“ und müssen innerhalb einer Stunde Rätsel lösen und Gegenstände finden, um wieder herauszukommen. Wenn es hakt, gibt der Spielleiter über einen Monitor Tipps. Es ist also alles nur gespielt; Cécile (29) und Chris (31) wären in diesem Raum nahe dem Bihlplatz in Stuttgart nicht erstickt, wenn die Codes falsch gewesen wären. Die maximal sechs Spieler sind auch nicht wirklich eingesperrt – das geht nicht aus Brandschutzgründen.

Die Welle schwappte 2011 von Japan nach Europa

Live Escape Games sind in der Freizeitbranche so etwas wie das neue „LaserTag“ – die Extremsituation als Spiel. Ursprünglich ein Online-Spiel aus Japan, schwappte die Welle im Jahr 2011 nach Europa über (siehe Infokasten). Der erste deutsche Anbieter eröffnete im August 2013 in Köln, mittlerweile gibt es mehr als 110 Räume in Deutschland und einen Bundesverband.

Für Michael Bierhahn sind Live Escape Games seine Art modernes Brettspiel. „Jeder wird zu MacGyver oder Indiana Jones“, sagt er. Bierhahn ist Gründer von Exit Games Stuttgart, einem Start-up, das seit anderthalb Jahren auf dem Markt ist und mittlerweile über drei Standorte mit insgesamt neun Räumen verfügt. Auf die Idee kam Bierhahn bei einem Escape Game in Budapest. Was als kleiner Verein mit sieben Mitgliedern und 12 000 Euro Startkapital begann, ist heute eine GmbH mit 49 Mitarbeitern.

Die Räume sind das größte Kapital der Unternehmen

Dabei war es am Anfang nicht leicht, Investoren zu finden: „Bei Dienstleistungen sind die Steigerungsraten nicht so hoch wie in der IT, daher ist es für Investoren nicht so interessant“, erklärt Bierhahn. Der Laden brummt trotzdem: Pro Woche werden nach Angaben des Unternehmens etwa 160 Spiele gespielt, vormittags buchten eher Schulen oder soziale Einrichtungen, abends Firmen und am Wochenende Familien. Ein Raum für sechs Personen kostet insgesamt 99 Euro.

Dabei gibt es ganz unterschiedliche Szenarien, beispielsweise eine ausgebrochene Pandemie, Erbstreitigkeiten in den 60ern oder die Postapokalypse im Bunker, wie sie Cécile und Chris gespielt haben. Der Blutrausch-Horroraum sei nichts für Zartbesaitete, sagt Bierhahn, „da fließen 20 Liter Kunstblut.“ Die verschiedenen Räume mit ihren Rätseln sind das Kapital des Unternehmens; so einen Raum einzurichten koste etwa 40 000 Euro, sagt Bierhahn. Stuttgarter Game-Design-Studenten helfen beim Storytelling und den Rätseln.

Große Escape Events sind der nächste Schritt

Bierhahns Unternehmen ist weiter auf Expansionskurs: Seit November bietet es mobile Exit Games an. Wer will, kann also auch zu Hause oder im Büro den Bombenentschärfer spielen. In München, Nürnberg und Würzburg konnte Bierhahn Franchise-Partner für seine Räume gewinnen. Der nächste Schritt seien dann Escape Events, also groß angelegte Spiele, die eine ganze Stadt als Spielfläche haben und über mehrere Wochen gehen. Marken-Räume, beispielsweise zu Filmen wie „28 Days later“ oder „50 Shades of Grey“ gebe es auch bereits. Wer aber nicht die Lizenzgebühren zahlt, bekommt schnell eine Abmahnung.

Das „Einsperren“ als Geschäftsmodell funktioniert so gut, dass die Exit Games in Stuttgart mittlerweile Konkurrenz bekommen haben: seit September bietet Enmaze in der Innenstadt ebenfalls ein Live Escape Game, hier auch buchbar als Party-Paket mit Bier oder Sekt. Die postapokalyptische Rätselknackerin Cécile jedenfalls ist angefixt: „Ich hab’ meiner Familie zu Weihnachten ein Exit Game geschenkt.“ Passenderweise den 60er-Raum mit dem Erbstreit.

Der Ursprung der Live Escape Games

Japan
Als Zünder für die Idee der Live Escape Games gilt das japanische Online-Spiel „Crimson Room“ von Toshimitsu Takagi aus dem Jahr 2004. In Kyoto gab es dann seit 2007 Events, bei denen kleine Teams beim Lösen von Logik-Rätseln gegeneinander antraten. Mittlerweile gibt es sogar TV-Shows dazu.

Ungarn
2011 erreichte der Trend Europa. Der Sozialarbeiter Attila Gyurkovics gründete in Budapest die Firma ParaPark. Mittlerweile gilt Budapest mit mehr als 60 Anbietern als die europäische Hauptstadt der Live Escape Games.