Die Zahl der Lastwagen-Unfälle auf Autobahnen ist alarmierend gestiegen. Im Fokus steht dabei eine Strecke im Besonderen. Die Polizei nennt Ursachen - und Lösungsvorschläge. 

Mannheim/Heilbronn - In jüngster Zeit scheinen sich schwere Unfälle auf Autobahnen, an denen Lastwagen beteiligt sind, zu häufen. Im Januar etwa ist bei Sinsheim auf der A 6 ein Auto auf das Begleitfahrzeug eines Schwertransportes gerast, der am Eingang eines Parkplatzes stand; zwei Menschen starben. Mitte Februar hat ein Lkw auf der A 5 am Kreuz Walldorf zwei Autos mit großer Wucht auf einen im Stau stehenden Lastwagen geschoben – es gab vier Tote, darunter die Eltern und ein Mädchen einer vierköpfigen Familie. Das macht noch immer vielen, die tagtäglich auf diese Autobahn müssen, Angst. „Der Schock wirkt nach“, sagt Dieter Schäfer, der Direktor der Verkehrspolizei beim Polizeipräsidium Mannheim.

 

Der subjektive Eindruck täuscht nicht. Laut Renato Gigliotti vom Innenministerium lag die Zahl der Lkw-Unfälle auf Autobahnen in Baden-Württemberg 2015 bei 2687 – im vergangenen Jahr schnellte sie auf 3439 hoch. Das ist eine Erhöhung um 28 Prozent. Besonders bitter ist, dass auch mehr Menschen ihr Leben lassen mussten. 2016 starben 92 Menschen bei Unfällen mit Lkws (über alle Straßenarten hinweg); vergangenes Jahr waren es 111 Personen.

Kreuz Walldorf an der A 6 ist besonders belastet

Ein Unfallschwerpunkt ist die hochfrequentierte Region Stuttgart. 1036 Lkw-Unfälle auf Autobahnen gab es 2017 im Bereich des zuständigen Polizeipräsidiums (PP) Ludwigsburg, das allerdings sehr viele Autobahnkilometer betreut. Es folgen 549 beim PP Karlsruhe, 477 rund um Mannheim und 396 beim PP Heilbronn. Allerdings gehen rund um Stuttgart viele Kollisionen einigermaßen glimpflich aus – bei den Lkw-Unfällen mit Schwerverletzten und Toten liegt die Ost-West-Achse der A 6 ganz eindeutig vorne.

Allein am Kreuz Walldorf, wo sich A 5 und A 6 kreuzen, hat es zuletzt täglich drei bis vier Mal gekracht. „Früher hatten wir auch Phasen, in denen gab es einmal einen ruhigen Tag. Heute rennen die Kollegen von einem Unfall zum andern, sie kommen gar nicht mehr raus aus den Stiefeln“, sagt Dieter Schäfer. Das Walldorfer Kreuz mit seinen zwei internationalen Fernstrecken gehört nach seinen Angaben „zu den höchstbelasteten in ganz Deutschland“. Binnen eines Jahres hat sich die Zahl der Unfälle auf vier Streckenabschnitten rund um den Knotenpunkt um 51,8 Prozent erhöht, auf einem davon ist sie sogar um 78 Prozent nach oben geschnellt. Ein Grund ist laut Polizei die starke Nutzung der beiden Autobahnen. „Mit nahezu 100 000 Fahrzeugen am Tag, davon 23 000 Schwerlastfahrzeuge, ist hier die Kapazitätsgrenze zu Spitzenzeiten deutlich überschritten“, sagt Schäfer. „Da führt dann jede kleinste Verzögerung und jede Störung durch nur einen Fahrer zu einem spontanen Stau – und einem erhöhten Risiko für Auffahrunfälle.“

Mancher Lkw-Fahrer schaut sich nebenher einen Film an

Zu denen kommt es nach Schäfers Angaben oft nur deshalb, weil Lastwagenfahrer „unaufmerksam oder abgelenkt sind“. Eine der Hauptursachen sei das digitale Flottenmanagement der Speditionsbetriebe, bei dem die Disponenten den Fahrern jederzeit über Wlan neue Frachtaufträge für unterwegs erteilten könnten. „Manch einer telefoniert dann auch noch mit den Handy zurück“, erklärt Schäfer. „Darüber hinaus gibt es inzwischen nichts mehr, was es nicht gibt: Wir haben schwarze Schafe, die beim Fahren Kaffee kochen, essen, einen Film ansehen oder die Zeitung lesen.“ Kurzfristig Abhilfe schaffen könnte man seiner Ansicht nach mit digitalen und mobilen Stauwarnsystemen, die mit Lichtreflexen wirken. Die Unfallkommission beim Regierungspräsidium Karlsruhe wolle dies bald in einer Sondersitzung beraten.

Auch für den Streckenabschnitt zwischen Sinsheim-Steinsfurt und Kupferzell/Schwäbisch Hall verzeichnet das zuständige Polizeipräsidium Heilbronn einen deutlichen Anstieg. Ereigneten sich 2015 noch 190 Unfälle mit Lkw-Beteiligung (54 Leicht-, 19 Schwerverletzte), stieg die Zahl kontinuierlich an: 2017 waren es bereits 245 Unfälle (33 Leicht-, 17 Schwerverletzte und drei Tote). Relativ konstant ist dagegen die Anzahl der Unfälle mit Lkw-Beteiligung von dort bis zur bayerischen Landesgrenze. Sie liegt zwischen 62 und 66.

Ein Grund für die vielen Unfälle ist der Anteil des Schwerlastverkehrs, der auf der A 6 höher ist als auf fast jeder anderen Autobahn in Baden-Württemberg. Die vier Zählstellen an der A 6 verzeichneten 2017 Spitzenwerte. Am Autobahndreieck Hockenheim betrug der Brummi-Anteil 21,5 Prozent, in Walldorf waren es 25 Prozent, bei Neckarsulm 25,2 Prozent und in Schwabbach, kurz vor der Grenze zu Bayern, sogar 28,4 Prozent. Einen höheren Lkw-Anteil am Gesamtverkehr verzeichnete lediglich die Zählstelle bei Neuenburg an der Autobahn 5 (33,7 Prozent). Die A 6 ist mittlerweile eine der fünf Autobahnen Deutschlands mit den meisten Staus. Nach der A 8, die einer aktuellen ADAC-Liste zufolge in der bundesweiten Staubilanz auf Platz drei der stauanfälligsten Fernautobahnen gelandet ist, gab es vor allem auf der Ost-West-Verbindung einen massiven Zuwachs. Die Strecke zwischen Heilbronn und Mannheim ist von Platz 12 (2016) auf Platz 4 der stauanfälligsten Abschnitte bundesweit gelandet. Das heißt: 2017 standen Fahrer zwischen Sinsheim-Steinsfurt und dem Weinsberger Kreuz 16 458 Kilometer und 4234 Stunden im Stau.

Baustellen sind oft Ursache von Staus – und Unfällen

Ein zweiter Grund neben dem hohen Verkehrsaufkommen sind die Baustellen für den Ausbau auf sechs Fahrstreifen seit April vergangenen Jahres. Mit einem Gesamtvolumen von 1,3 Milliarden Euro ist an der A 6 zwischen Wiesloch/Rauenberg und dem Autobahnkreuz Weinsberg das bisher größte öffentlich-private Partnerschaftsprojekt in Baden-Württemberg an den Start gegangen. Das Ende der Bauarbeiten ist auf Sommer 2022 terminiert.

Zur Einordnung muss man jedoch sagen, dass Unfälle, an denen Lastwagen beteiligt sind, laut ADAC nur rund zehn Prozent aller Kollisionen ausmachen. Auch ereignen sich weniger als neun Prozent aller tödlichen Unfälle auf Autobahnen. Dennoch ist das Thema Lkw-Unfälle für Carsten Bamberg vom ADAC Württemberg hochrelevant: „Denn die Unfallschwere ist überdurchschnittlich hoch.“

Bei vielen Forderungen ist er sich deshalb einig mit Siegfried Brockmann, dem Leiter der Unfallforschung der Versicherer in Berlin. Vor allem müsse das Notbremssystem bei Lastwagen verbessert werden. Es ist zwar mittlerweile für Neufahrzeuge Pflicht. Aber erstens haben es viele ältere Fahrzeuge noch nicht, zweitens lässt es sich von Hand ausschalten, und drittens muss das Fahrzeug nur um zehn Stundenkilometer abgebremst werden können. Brockmann fordert eine Abbremsung auf Null und eine Nichtabschaltbarkeit, Bamberg will eine Abbremsung um 40 Stundenkilometer. Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat angekündigt, sich dafür einsetzen zu wollen – doch die EU-Mühlen mahlen langsam. Weiter sollten Lastwagen und Busse verstärkt kontrolliert werden: „Eine Beanstandungsquote bei einer Kontrollwoche von 41,1 Prozent unterstreicht die Notwendigkeit solcher Kontrollen.“

Vision einer digitalen Kopplung der Lastwagen

Tatsächlich müssten die Lenk- und Ruhezeiten konsequent überwacht werden, sagt auch Bamberg. Die Lastwagen sollten aber auch an den Seiten und am Heck so konstruiert werden, dass Autos nicht mehr darunter geraten könnten. Und es müssten viel mehr Parkplätze auf den Autobahnen gebaut werden, damit die Lastwagen nicht mehr auf Einfahrten und Standstreifen abgestellt werden. Das Verkehrsministerium räumt ein, dass derzeit 2500 Plätze fehlen. Das hängt natürlich mit der Zunahme des Lkw-Verkehrs insgesamt zusammen. Seit 1995 hat sich die Fahrleistung um 22 Prozent erhöht. Die Just-in-time-Lieferung von Warengütern nimmt zu, aber auch der Lkw-Verkehr aus dem Ausland ist gewachsen. Laut Innenministerium hatten zuletzt 21,6 Prozent aller Lastwagen, die in einen Unfall verwickelt waren, ein ausländisches Kennzeichen; bei Unfällen mit verletzten Personen waren es sogar 45,6 Prozent.

Siegfried Brockmann hofft darauf, dass bald neue technische Möglichkeiten vorhanden sein werden, um LkW-Unfälle zu verhindern. Es gebe etwa Pläne, mehrere Lastwagen virtuell zu verbinden: Immer einer übernehme die Führung und lenke und bremse für die anderen Fahrer mit. Die könnten sich dann tatsächlich ausruhen.