Die ruhigere Zeit zum Jahreswechsel nutzen wir, um mit Bürgermeistern über ihr ganz besonderes Amt zu sprechen. Was bedeutet es, im 21. Jahrhundert Oberhaupt einer Kommune zu sein? Was bewegt einen Schultes? Heute: Michael Seiß aus Friolzheim.

Friolzheim - Was den Friolzheimer Schultes Michael Seiß im vergangenen Jahr wohl am meisten beschäftigt hat? Der Verkehr, die schnellere Internetverbindung – oder doch seine inzwischen dritte Kandidatur für das Bürgermeisteramt in seiner Gemeinde? Wir haben mit ihm über die großen Themen in Friolzheim gesprochen, über seine Motivation und das Verhältnis zu den Nachbarkommunen.

 
Herr Seiß, am 4. Februar ist Bürgermeisterwahl, Sie treten wieder an. Mussten Sie lange überlegen, ob sie noch einmal kandidieren?
Nein, gar nicht. Für mich war aus vielen Gründen klar, dass ich mich wieder bewerben möchte. Mir macht der Job nach fast 16 Jahren immer noch wahnsinnig viel Spaß, und wir haben so viele Projekte, die wir noch realisieren möchten. Nicht zuletzt fühle ich mich noch nicht in einem Alter, in dem ich sage: Jetzt möchtest du dich zurücklehnen. Zusätzlich bin ich von den Bürgern darin bestärkt worden. Ich habe in den Monaten, nachdem ich meine Kandidatur bekanntgegeben habe, sehr viel Zuspruch bekommen.
Sie stehen zwar nicht alleine auf dem Wahlzettel, sind aber der wohl einzige aussichtsreiche Kandidat. Ist das für Sie eher eine Erleichterung, oder wäre ein namhafter Gegenkandidat für einen lebendigen Wahlkampf nicht wünschenswert gewesen?
Ich habe ganz unabhängig davon, ob es einen Gegenkandidaten gibt oder nicht, meine Wahlkampfstrategie aufgebaut. Ich habe seit Dezember eine neue Internetseite, vor Kurzem kam mein Wahlkampfflyer heraus und ich habe auch mehrere Wahlkampftermine, bei denen ich mich den Fragen der Bürger stelle. Ich bin der Meinung, wenn die Wahl schon nur alle acht Jahre ist, dass ich das den Wählern dann auch schuldig bin. Daran ändert sich durch die neue Situation nichts.
Friolzheim haben vergangenes Jahr viele Themen bewegt. Eines davon ist der Erwerb eines zehn Hektar großen Stück Lands im Gebiet Reute durch Porsche. Wissen Sie schon, wie und wann es dort weitergehen wird?
Dazu können wir leider noch gar nichts sagen. Wir haben im vergangenen Jahr regelmäßig das Gespräch mit Porsche gesucht und auch gehabt. Da hieß es, dass wir 2018 über das weitere Prozedere sprechen werden. Einen konkreten Termin gibt es dafür aber noch nicht, das heißt, wir wissen auch noch nicht, wann und was dort konkret passieren wird.
Vor allem aus der Bevölkerung kamen zu diesem Projekt kritische und besorgte Stimmen. Gibt es einen Dialog mit den Bürgern?
Den Dialog gab es, inzwischen ist es etwas ruhiger geworden, weil es eben keine neuen Informationen gab. Sobald wir die haben, wird der Dialog auch wieder aufgenommen. Ich habe die ganz klare Zusage gemacht, dass, wenn neue Informationen vorliegen, das transparent kommuniziert wird und die Bürgerschaft aktiv einbezogen wird.
Neues Gewerbe bedeutet immer auch mehr Verkehr. Bertrandt hat im Gewerbepark Dieb seinen Standort erweitert, das neue Gewerbegebiet Egelsee in Heimsheim kommt, und Porsche erweitert in Weissach: Was bedeutet das zusammen mit der Entwicklung in der Reute für die Verkehrsbelastung in Friolzheim?
Zu 100 Prozent kann das heute natürlich niemand sagen. Zunächst sind wir froh, dass wir die Reute so anbinden können, dass keiner dafür durch die Ortsdurchfahrt Friolzheim fahren muss. Wir werden natürlich Mitarbeiter haben, die in Friolzheim und Umgebung wohnen, die meisten werden aber von außerhalb kommen. Die Frage, die wir uns jetzt stellen – damit meine ich also auch die Nachbargemeinden wie Heimsheim und Mönsheim – ist: Wie kann diese stetig steigende Verkehrsbelastung gemanagt werden? Ende letzten Jahres gab es dazu ja viele Diskussionen, gerade um den Kreisverkehr am Gewerbegebiet Dieb.
Ein Problem ist ja, dass, wenn der Verkehr sich auf den Hauptstraßen erst staut, auch in den Orten schnell nichts mehr geht. Gibt es dafür schon konkrete Ansatzpunkte, zum Beispiel eine Umgehungsstraße?
Eine Umgehungsstraße war bei meinem ersten Bürgermeisterwahlkampf vor 16 Jahren schon ein Thema, das weiß ich noch. Aber das ist bei uns aus topografischen Gründen schwierig. Wir haben das Problem, dass wir von der Autobahn kommend eine Straße haben, die in den Ort hineinführt, die sich hier aber in drei Landes- oder Kreisstraßen splittet, Richtung Tiefenbronn, Heimsheim und Richtung Wimsheim. Wir machen uns deshalb große Sorgen, weil wir tagtäglich sehen, was im Ort los ist, wenn die Autobahn zu ist. Spätestens ab nächstem Jahr werden wir das umso mehr spüren, wenn die Autobahn im Enztal ausgebaut wird.
Obwohl die Strecke durch Friolzheim keine offizielle Umleitung ist?
Die Leute fahren heute nicht mehr nach den blauen Hinweisschildern, sondern nach dem Navi. Und die schnellste Route führt eben über Friolzheim und Wimsheim. Das ist jetzt schon ein Problem, und wenn dann wirklich mal Stau ist, ist bei uns Land unter. Im Dezember sind wir mit dem Regierungspräsidium Karlsruhe dazu ins Gespräch gekommen, im Hinblick auf die Enztal-Baustelle ist da aber leider sehr wenig Entgegenkommen zu spüren. Dort sieht man sich gut gerüstet. Was die allgemeine Verkehrsbelastung durch Gewerbegebiete angeht, sind das RP und das Landratsamt dankenswerter Weise in die Diskussion mit eingestiegen, aber auch hier werden wir, also alle umliegenden Gemeinden, einen langen Atem haben müssen.
Auch ein großes Thema, allerdings weniger in Friolzheim, sondern in Wimsheim: Das Gewerbegebiet Breitloh West II, in dem die Goldscheideanstalt C. Hafner angesiedelt ist. Friolzheim war an der Klage beteiligt, den Bebauungsplan der Gemeinde Wimsheim für unwirksam zu erklären. Das Gericht gab ihnen Recht. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?
Ich denke, da kann man nicht viel zu sagen. Die Klage ist zu unseren Gunsten entschieden worden, ich kann da aber nicht von Genugtuung sprechen oder so etwas. Es gab den Willen im Rat und in der Bevölkerung, dass man das nicht so stehen lassen möchte und dass wir zusammen mit anderen eine entsprechende Normenkontrollklage auf den Weg bringen. Aber es war ja keine Klage gegen die Ansiedlung von Hafner, sondern gegen die Entstehung des Bebauungsplans, in dem Fehler vermutet wurden.
Eine sehr positive Entwicklung hat sich Anfang 2017 in Sachen Internetanbindung ergeben: Die Telekom hat mit dem Vectoring begonnen, das die Verbindungsrate für ältere Anschlüsse verbessert. Ist das inzwischen durch?
Ja, sie haben Wort gehalten, ich war ganz begeistert. Die Entwicklung hat sich über Jahre sehr schwierig dargestellt, man kennt das aus anderen kleinen Gemeinden. Da hat es mich sehr gefreut, dass die Telekom damals auf mich zukam und gesagt hat: Ja, wir wollen etwas machen. Seit Mitte November ist das Netz aktiv geschaltet. Damit haben wir einen wichtigen Meilenstein geschafft, der aber sicherlich nicht das Ende der Entwicklung darstellen wird und darf. Im gesamten Ortsgebiet haben wir jetzt eine Versorgung von mindestens 50 Megabit pro Sekunde, darüber hinaus haben wir in circa der Hälfte der Gemeinde eine Versorgungsstruktur über Kabel liegen, wo noch deutlich höhere Bandbreiten möglich sind.
Es gibt jetzt also keine „weißen Flecken“ mehr in Friolzheim, auch nicht in den Randlagen?
Ich kann Ihnen von einer Randlage berichten, weil ich selbst in einer wohne. Vor dem Ausbau durch die Telekom hatten wir zu Hause maximal dreieinhalb bis vier Megabit, es gab Zeiten, da hatten wir weniger als einen. In der Zwischenzeit sind bei uns vor der Haustüre 90 drin.
Es liegt schon etwas länger zurück, hat seinerzeit aber für viel Gesprächsstoff gesorgt: Friolzheim wollte sich nicht an der Bildung einer Gemeinschaftsschule beteiligen, das hat zwischen den Kommunen für Unfrieden gesorgt. Haben sich diese Wogen inzwischen wieder ganz geglättet, oder ist Ihnen das Thema doch noch regelmäßig begegnet?
Kurz gesagt: Gemeinschaftsschule ist in Friolzheim kein Thema. Es gab damals die Entscheidung, nicht in das Projekt einzusteigen. Das hat Wellen geschlagen, aber inzwischen herrscht ganz normaler Schulalltag.
War es, aus heutiger Sicht, die richtige Entscheidung?
Ob Sie mir das jetzt glauben oder nicht, ich habe von niemandem aus der Bevölkerung oder dem Gemeinderat je eine negative Rückmeldung zu diesem Entschluss bekommen.
Als Bürgermeister sind Sie bekannt dafür, die Konfrontation mit anderen Gemeinden und Behörden nicht zu scheuen. Thema Gemeinschaftsschule, Hafner in Wimsheim, zuletzt die Ampel am Diebkreisel, zu der Sie sehr kritische Worte in Richtung Landratsamt Enzkreis und Regierungspräsidium Karlsruhe geschickt haben. Wie sehen Sie persönlich Ihr Verhältnis zu den Nachbarkommunen?
Die Entwicklung um die Gemeinschaftsschule hat man uns sicher übel genommen in den umliegenden Gemeinden, das muss ich gar nicht verhehlen. Aber wenn Sie das Verhältnis auf Bürgermeister-Ebene meinen, dann ist das ein ganz normales, um nicht zu sagen partiell ein herzliches. Wir arbeiten gut zusammen und ziehen auch – Sie haben ja gerade den Diebkreisel angesprochen – an einem Strang.
Schließt das auch Wimsheim ein, Thema: Breitloh West?
Ich habe auch mit dem Kollegen Mario Weisbrich ein ganz normales, konstruktives Verhältnis, wir arbeiten auch gut im gemeinsamen Wasserzweckverband zusammen. Das passt.
Sehen Sie sich selbst auch als jemanden, der immer sagt, was er denkt?
Ich lege schon Wert darauf, dass man bei mir weiß, woran man ist. Und wenn mir etwas stinkt, dann sage ich das auch offen. Wenn ich an meine Amtseinführung vor acht Jahren zurückdenke, da hat mein Kreistagskollege Winfried Scheuermann aus Illingen mir gewünscht, dass ich mir mehr Gelassenheit zu eigen mache. Ich denke, ich bin gelassener geworden, aber wenn es Themen gibt, die für Friolzheim wichtig sind und die mich persönlich umtreiben, dann möchte ich damit nicht hinterm Berg halten. Und wenn einem zum Beispiel beim Thema Verkehr vom Regierungspräsidium vermittelt wird: „Das ist doch alles gar nicht so schlimm, ihr könnt doch zufrieden sein“, und wenn einem wörtlich gesagt wird: „Ihr seid doch eigentlich selber schuld an der Verkehrssituation, weil ihr immer weiter aufsiedelt und immer mehr Gewerbe an die Straße kommt“, dann berührt mich so etwas auch emotional. Und da kann ich dann, vielleicht auch in nachvollziehbarer Weise, nicht gelassen reagieren. Trotzdem suche ich immer das Gespräch.
Wenn Sie gewählt werden am 4. Februar: Was möchten Sie in den nächsten acht Jahren gerne noch erreichen oder anstoßen?
Kurzfristig wären das die Rathaussanierung und der Neubau unseres Mehrzweckgebäudes. Aber es gibt auch viele langfristige Themen, die einen dauerhaft beschäftigen und die nie wirklich abgeschlossen sind. Kinderbetreuung zum Beispiel und Verbesserungen im Verkehr. Langfristig wünsche ich mir außerdem die Neugestaltung der Ortsmitte. Man sieht es dem Marktplatz an, dass er inzwischen in die Jahre gekommen ist, vor allem der damals moderne Ziegelbelag wird schnell rutschig, was gerade für ältere Menschen gefährlich ist. Das ist keine schöne Sache mehr und wäre mir eine Herzensangelegenheit.