Die Grünen verdächtigen den EU-Kommissar, als Atomlobbyist unterwegs gewesen zu sein – der dementiert. Gegenstand der Aufregung ist ein umstrittenes Kernkraftwerk in Ungarn.

Berlin - Am 19. Mai ist Günther Oettinger in Budapest gewesen und hat als EU-Digitalkommissar an einer Konferenz über das „Auto der Zukunft“ teilgenommen – die Frage, was er dort außerdem machte, hat ihm nun mit Verzögerung den Vorwurf eingetragen, jenseits seiner Amtszuständigkeit einen Deal mit Ungarns Regierung zur Zulassung des umstrittenen Kernkraftwerk-Neubaus Paks eingefädelt zu haben. Aus der Bundestagsfraktion der Grünen kommen nun kritische Fragen, Oettinger wiederum wirft ihnen „einseitige Schlussfolgerungen“ auf der „Basis von Spekulationen“ vor.

 

Ausgelöst hat den Wirbel das ungarische Nachrichtenportal „444.hu“. Unter Hinweis auf anonyme Quellen berichtete es am 21. Juni, nach der Digitalautoveranstaltung sei es auch zu einem Gespräch Oettingers mit dem ebenfalls anwesenden ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban gekommen. Mit von der Partie soll dem Bericht zufolge auch der ehemalige Daimler-Manager Klaus Mangold gewesen sein, der langjährige Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft mit guten Kontakten zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Gesprächsthema soll demnach die Erneuerung des Atommeilers gewesen sein, den Orban in einem spektakulären Deal mit Putin Anfang 2014 vereinbart hatte. Der sieht vor, dass Russland über den Staatskonzern Rosatom zwei neue Reaktorblöcke baut und eine halbstaatliche Bank den entsprechenden Milliardenkredit gleich mitliefert. Allerdings hat die EU-Kommission Ende 2015 deswegen zwei Prüfverfahren gegen Ungarn eingeleitet – eines wegen wettbewerbsverzerrender Staatsbeihilfe, eines wegen der vermuteten Umgehung der europäischen Regeln für öffentliche Ausschreibungen.

„Wenn an den jetzt geäußerten Vorwürfen etwas dran ist, entstünde der Eindruck, dass Brüssel zwar nach außen hin akribisch prüft, aber Herr Oettinger hinter den Kulissen bereits einen atomfreundlichen Deal mit Ungarn aushandelt“, sagt Sönke Tangermann von Greenpeace Energy, dem Ökostromanbieter der Umweltschutzorganisation, der bei der EU-Kommission wegen der ungarischen Kernkraftsubventionen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro vorstellig geworden war: „Dies wäre eine herbe Enttäuschung für uns als Verfahrensbeteiligte – und für jeden, der auf die EU-Kommission als strenge und neutrale Hüterin der Wettbewerbsregeln in der Union setzt.“

Oettinger bestreitet Treffen mit Orban nicht

Den Vorwurf, dass Oettinger mit Orban erörtert haben soll, wie die Brüsseler Verfahren möglicherweise eingestellt werden können, hat nun in Deutschland die grüne Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl aufgegriffen. In einem Brief an Oettinger, der dieser Zeitung vorliegt, fordert die atompolitische Sprecherin ihrer Fraktion Aufklärung. „Ich halte es für unabdingbar, dass Sie dem bereits entstandenen Reputationsschaden nun zumindest unverzügliche und vollständige Transparenz folgen lassen“, schrieb die Karlsruherin Mitte vergangener Woche nach Brüssel.

Beim Auswärtigen Amt hat Kotting-Uhl bereits nachgefragt. „Der Bundesregierung sind entsprechende Medienberichte über das fragliche Treffen bekannt“, lautete die Antwort von Europa-Staatsminister Michael Roth. Zum Rahmen und den Gesprächsinhalten lägen ihr jedoch „keine eigenen Informationen vor“.

Oettingers bestreitet nicht, sich mit Ungarns Premier am Rande der Budapester Tagung zum vernetzten Fahren separat gesprochen zu haben. „Um die Konferenz vorzubereiten, die mit Reden des Kommissars wie auch des ungarischen Ministerpräsidenten eingeleitet wurde“, heißt es in dem Antwortbrief von Oettingers Kabinettschef Michael Hager, „trafen sich der Ministerpräsident und der Kommissar.“ Den Vorwurf, es sei dabei in irgendeiner Weise um das Nuklearprojekt 100 Kilometer donauabwärts von Budapest gegangen, streitet das dieser Zeitung vorliegende Schreiben dagegen unmissverständlich ab: „Das Thema Atomkraft war nicht Gegenstand des Austauschs.“

Hat auch der ehemalige Daimler-Manager Mangold am Treffen teilgenommen?

Auf die Frage, ob auch Mangold an dem Treffen teilgenommen hat, der nach Informationen der Umweltorganisation Greenpeace am Zustandekommen des ungarisch-russischen Abkommens zu Paks 2 beteiligt gewesen sein soll, geht der Brief aus Oettingers Kabinett dagegen nicht ein. Seine Anwesenheit wird weder bestätigt noch dementiert.

Die Grüne Kotting-Uhl ist damit nicht zufrieden: „Wenn so ein schwerwiegender Verdacht falsch ist, ist Oettinger in der Bringschuld“, sagte sie am Wochenende dieser Zeitung: „Er muss das in Ungarn öffentlich klar stellen und diese Klarstellung auch hier veröffentlichen.“ Sollte aber doch etwas dran sein an den Vorwürfen, „geht das gar nicht und muss Konsequenzen haben – ich fordere eine klare Ansage der Bundesregierung“.

Der EU-Kommissar wiederum sieht dafür keinerlei Grund und zieht über seinen Kabinettschef die Ernsthaftigkeit von Kotting-Uhls Schreiben in Zweifel: „Mit Erstaunen nehme ich zur Kenntnis, dass Sie in Ihrem Brief zunächst in mehreren Absätzen den Inhalt eines Gespräches kritisieren, um erst am Ende zu erfragen, ob das Thema überhaupt angesprochen wurde.“