Auf dem Papier gilt der Kreis Ludwigsburg bei Fachärzten in der Kinder- und Jugendmedizin als überversorgt. Handlungsbedarf ist trotzdem vorhanden.

Ludwigsburg: Andreas Hennings (hen)

Was kann eine Stadt oder Gemeinde tun, damit die ärztliche Versorgung vor Ort zufriedenstellend gewährleistet ist? Kann sie überhaupt etwas tun? Diese Fragen könnten bald in Kornwestheim aufkommen, wenn Vertreter der Stadtverwaltung und die Ärzte in der Stadt die Situation gemeinsam erörtert haben. Passieren wird das Ende Januar bei einem runden Tisch.

 

Geht es nach der FDP-Fraktion im Gemeinderat, besteht Handlungsbedarf, vor allem im Bereich Kinder- und Jugendmedizin. In einem Schreiben ans Rathaus schildert sie „schlechte telefonische Erreichbarkeit und unzumutbare Wartezeiten auf Termine und Behandlungen“. Die Rede ist von Eltern, die den Vormittag am Telefon verbringen. Eine Mutter, die anonym bleiben möchte, bestätigt, dass es seit etwa einem Jahr sehr schwierig ist, zeitnah einen Termin zu bekommen. Das Team sei freundlich und hilfsbereit, aber überlastet. Weil es in vielen anderen Praxen einen Aufnahmestopp gibt, gelang es ihr nicht, zu wechseln. Sie würde sich wünschen, dass sich ein weiterer Kinder- und Jugendarzt in Kornwestheim niederlässt.

Reicht eine Gemeinschaftspraxis in Kornwestheim?

Denn: In der 34 000-Einwohnerstadt gibt es nur die eine Kinderarzt-Gemeinschaftspraxis. Zu wenig aus FDP-Sicht, die ebenfalls sieht, dass die Praxis „sich höchstmöglich um das Wohl der Kinder“ bemühe. Um die Kapazität zu erhöhen, fordert sie die Stadt aber auf, „im Rahmen ihrer Möglichkeiten“ darauf hinzuwirken, dass für den Landkreis und speziell Kornwestheim ein zusätzlicher Arztsitz in die Planung aufgenommen wird. Das Treffen mit den Ärzten war schon vereinbart, als das FDP-Schreiben auf dem Rathaus eintraf. „Das hat sich überschnitten. Wir möchten den Status quo abfragen, um zu sehen, ob die Versorgung gegeben ist oder ob die Ärzte die Nachfrage nicht mehr gestemmt bekommt“, sagt Bürgermeisterin Martina Koch-Haßdenteufel. Je nach Ergebnis werde man überlegen, welche Schritte man als Stadt gehen wird.

Dem Arzt Kurt Burger, Teil der Gemeinschaftspraxis, sind die Probleme der Erreichbarkeit bekannt. Besserung soll bald erfolgen, telefonisch und durch ein Online-Terminmanagement. Bald, da das mit einer Praxisvergrößerung einhergehen soll. Ab Mitte Januar stehen zehn statt sechs Räume zur Verfügung. Und: personell ist man ebenfalls gewachsen. Es wirken vier Fachärzte und zwei Ärzte in Weiterbildung mit. Gute Nachrichten, was die Versorgung angeht. Man nehme auch noch Neugeborene, Säuglinge und Zugezogene auf, sagt Kurt Burger. Wie jede Praxis sei aber auch seine immer voll, nicht zuletzt wegen des RS-Virus. „Wir sehen auch, dass die Nachfrage im Kinder- und Jugendbereich insgesamt gestiegen ist.“

Die Agentur Dostal & Partner, von der Stadt beauftragt, kommt gar zum Ergebnis, dass in Kornwestheim – im Vergleich zur Ärztezahl in Ludwigsburg und angepasst auf die Einwohnerzahl – je ein HNO- und Hautarzt fehlen, zwei Frauenärzte, vier Psychotherapeuten – und acht Kinderärzte. Allerdings dürften einige Patienten, auch Kinder, sowieso in Ludwigsburg zum Arzt gehen.

Doch selbst wenn sich der erhöhte Bedarf auch am runden Tisch bestätigt: Einfach wird es für die Stadtverwaltung nicht, etwas zu bewegen. „Das haben schon viele Städte probiert. Ich finde aber gut, dass sie sich kümmert“, sagt Kinderarzt Kurt Burger. Als vor einigen Jahren eine zweite Kinderarztpraxis geschlossen hatte, gelang es ihm, einen Kinderarztsitz von Ludwigsburg nach Kornwestheim zu verlegen. Schwierig wird es für die Stadt grundsätzlich, da der Versorgungsgrad landkreisweit bewertet wird, nicht in den Kommunen. „Die Denkweise des Gesetzgebers ist, dass die Eltern sich im Landkreis bewegen“, sagt Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Und: Mit einem Wert von 112,4 gilt der Kreis Ludwigsburg bei Kinderärzten auf dem Papier zudem als überversorgt. Wobei diese Regelung eher aussagt, wie viel Geld für den Bereich parat steht – er ist gedeckelt, damit die Krankenkassenbeiträge im Rahmen bleiben. Der Maßstab ist also politisch, nicht wissenschaftlich basiert, so Kai Sonntag. Den reellen Bedarf gibt er nur bedingt wieder. Die KV ist aber daran gebunden. „Würde die Stadt Kornwestheim also auf uns zukommen, weil ein Kinderarzt sich niederlassen möchte, müssten wir erst mal sagen: Nein.“ Der Versorgungsplan wird dreimal jährlich vom Landesausschuss, bestehend aus Ärzten und Krankenkassen, aktualisiert.

Stadt hat wenige Möglichkeiten, einzugreifen

Eine neue Praxis zu gründen ist also schwierig, wenn offiziell kein Bedarf besteht. „Dann würde es auch nichts bringen, wenn eine Stadt eine Werbekampagne startet, um Ärzte anzulocken“, sagt Sonntag. Doch es gäbe Wege, die Ärztezahl aufzustocken. Etwa wenn ein Weiterbildungsassistent nach seiner Ausbildung bleiben möchte. Beantragt werden kann dann Sonderbedarf. Von der Praxis, nicht der Stadt. Dann entscheidet der Zulassungsausschuss von Krankenkassen und Ärzten. In Kornwestheim hat das bereits funktioniert: Die heutigen Fachärzte Anke Mader und Ulrike Grözinger konnten so in der Gemeinschaftspraxis gehalten werden.

Veränderung
 Dass weniger Ärzte als benötigt nachkommen, ist seit Jahren zu beobachten. Und wer nachkommt, strebt oft nicht nach einer eigenen Praxis. „Die neue Generation ist weniger bereit, das in Vollzeit zu machen“, sagt Kai Sonntag von der Kassenärztlichen Vereinigung. Der Anteil an Frauen, die die Fachärzteprüfung ablegen, liegt laut dem Kornwestheimer Kinderarzt Kurt Burger bei 75 Prozent. Um in Teilzeit zu arbeiten, bilden sich immer mehr Gemeinschaftspraxen. Wie in Kornwestheim. Von sechs Kinderärzten arbeiten hier drei bis vier so, dass der tag abgedeckt ist.

Schließungen
 Die Zahl an Kinderärzten nimmt ab, da sie vor dem Ruhestand keinen Nachfolger finden. Burger: „In Kornwestheim spüren wir auch, wenn in Stuttgart Praxen schließen.“