Der Online-Versandhandel brummt – gerade in den Wochen vor Weihnachten. Ohne moderne Technik ist die Menge der Pakete nicht zu schaffen. Bei Amazon will man noch weiter automatisieren. Aber Roboter kommen mit der Produktvielfalt noch nicht zurecht.

Leipzig - Der Roboterarm fährt leise surrend nach vorn, nimmt das Glas Marmelade behutsam in seine metallische Hand und stellt es in einer Transportkiste ab. Als nächstes holt er an einer anderen Stelle eine Packung mit Lego-Spielzeug aus dem Regal. Zum Schluss kommt ein T-Shirt hinzu – die Roboterhand dreht sich, damit sie das Kleidungsstück besser packen kann. Damit ist die Bestellung abgeschlossen, und in der Transportkiste wandern die drei Produkte zur Verpackung.

 

So stellt man sich bei Amazon in wenigen Jahren das automatisierte Arbeiten vor. Doch der Weg dorthin ist noch weit. In Science-Fiction-Filmen agieren Roboter immer elegant und schwungvoll – in der Realität dauert es lange, bis sie das tun. Es dürften noch Jahre vergehen, bis Roboter verschiedenste Gegenstände greifen können. Denn anders als in der Autoindustrie, wo Roboter dem immer gleichen Bewegungsablauf folgen und die stets gleichen Bauteile transportieren, stellt das Greifen von verschiedenen Gegenständen die Maschinen vor immer neue Herausforderungen: Wie stark darf die Roboterhand zudrücken? Und wie hebt man den Gegenstand an, ohne dass er herunterfällt?

Beim Versandhändler Amazon lagern in den Logistikzentren rund um den Globus Milliarden verschiedener Produkte. Mitarbeiter nehmen sie aus den Regalen und verschicken sie. Doch das Unternehmen will verstärkt Roboter einsetzen. Unterstützt wird es von deutschen Forschern, etwa dem Robotics & Biology Lab der Technischen Universität Berlin. Unter Leitung von Oliver Brock gewann das Labor einen von Amazon initiierten Wettbewerb, die „Amazon Picking Challenge“. Dazu mussten Roboter gebaut werden, die 27 vorbestimmte unterschiedliche Gegenstände erkennen, aus dem Regal nehmen und in einen Behälter legen. „Das Besondere daran war, dass es sich dabei um einen Einsatz in der realen Umgebung eines Logistikzentrums handelte“, sagt Brock.

Seit Wochen schon im „Weihnachtsmodus“

Dies wäre der nächste große Schritt der Automatisierung im Online-Versandhandel, der ohnehin bereits auf viele technische Innovationen setzt. Das ist auch nötig, denn es gibt viel zu verschicken. In Amazons Logistikzentrum in Leipzig – drei Hallen, die so groß sind wie elf Fußballfelder – sind die Mitarbeiter schon seit Wochen im „Weihnachtsmodus“. Wie in einem Bienenstock summt es wenige Tage vor Heiligabend in den Hallen, in denen aktuell rund 3500 Menschen in zwei Schichten arbeiten. Die Amazon-Mitarbeiter stehen an Förderbändern, tragen alle möglichen Produkte durch die riesigen Hallen, schneiden Pakete auf und kleben andere zu.

Es sieht verwirrend aus, doch ist der Arbeitsablauf geordnet und dem Besucher auch schnell erklärt: Auf der einen Seite der Versandhallen kommt die Ware an und wird ausgepackt. Der Barcode verrät dem Warenwirtschaftssystem alles über die Art des eingetroffenen Produkts: Es kennt nun seine Größe, sein Gewicht und seinen Verkaufspreis. Das Produkt wird eingelagert, bei einer Bestellung später eingesammelt, verpackt und verschickt – mal als Einzelpaket, mal zusammen mit anderen Produkten, die ein Kunde ebenfalls bestellt hat.

Jens Lichtenberger, technisch verantwortlich für das Leipziger Logistikzentrum, steht neben einer großen Förderanlage. Unablässig bewegt sich neben ihm das Band, schiebt ein Paket nach dem anderen vorbei. Möglich wird das durch eine ausgetüftelte Kombination von Handarbeit am Fließband und Computerprogrammen, die selbstständig entscheiden, wann welches Paket verschickt wird und welches Produkt mit welchem in eine Kiste kommt. Das eigens von Amazon entwickelte Warenwirtschaftssystem garantiert dabei, den Überblick über Millionen Produkte zu behalten.

Der Computer berechnet Laufwege für Mitarbeiter

„Die Algorithmen denken sozusagen für uns mit und voraus“, erläutert Lichtenberger. Auf 150 mal 200 Meter Platz lagern im sogenannten Pick-Tower auf vier Ebenen Computerspiele neben Musik-CDs, Waschmittel neben Playmobil-Spielzeug, Katzenfutter neben Perlen-Ohrringen. Gelagert werden die Dinge nach dem System der chaotischen Lagerhaltung, dort, wo gerade Platz ist. „Echtes Chaos bricht dadurch aber nicht aus“, sagt Lichtenberger. Jedem Stellplatz ist eine feste Lagerplatznummer zugewiesen, diese wird über den Handscanner mit dem Produkt „verheiratet“, wie es in der Logistikbranche heißt. Somit ist stets klar, wo was zu finden ist.

Zusammengestellt wird der Inhalt der Pakete von sogenannten „Pickern“, die aus den endlosen Regalreihen die Produkte für mehrere Bestellungen gleichzeitig einsammeln. Ein handliches Navigationsgerät, das zudem Handscanner ist, weist ihnen den Weg. Es zeigt an, welcher Weg zu laufen ist, damit keiner doppelt gegangen werden muss – auch hier sind wieder Algorithmen im Spiel: Der Weg, den das System für die Picker berechnet, ist stets der effizienteste. In Schlangenlinien geht es für die Mitarbeiter daher durch die Regale, im Idealfall müssen sie ihren Bestellwagen nie umdrehen. Am richtigen Regalplatz angekommen, scannen die Mitarbeiter das Produkt ein und legen es in die Transportkiste.

Doch so fußläufig soll es nicht bleiben. Im polnischen Wroclaw etwa, wo Amazon ebenfalls ein Versandzentrum unterhält, müssen die Mitarbeiter mittlerweile nicht mehr zu den jeweiligen Regalen laufen, um die Produkte zu holen, sondern Roboter bringen die Regale zu den Mitarbeitern, um Zeit zu sparen. Die Systeme bewegen sich mit 5,5 Stundenkilometern durch die Hallen. Sie werden von Barcodes auf dem Fußboden durch das Lager navigiert. Wie moderne Autos besitzen die Transportroboter Infrarotkameras und Sensoren. Stellt sich ihnen etwas in den Weg, stoppen sie. In den USA setzt Amazon bereits mehr als 15 000 solcher Transportsysteme sein. „In Deutschland haben wir das noch nicht, arbeiten aber daran“, sagt Lichtenberger.

Der nächste Schritt: Lieferung per Drohne

Dass eine moderne Sensorik aber auch ohne den Einsatz von Robotern für eine effiziente Logistik eingesetzt werden kann, zeigt die Verpackung der Produkte. „Jeder, der schon einmal bei uns eingekauft hat, weiß, dass Amazon-Pakete in verschiedenen Größen zu den Kunden kommen. Auch das entscheidet bei uns die hinterlegte Logik“, sagt Lichtenberger. Das System spiele sozusagen Tetris – das bekannte Klötzchenspiel, bei dem verschieden geformte Bausteine passend zusammengesetzt werden müssen. Denn weil das System Größe und Gewicht der einzelnen Produkte kennt, kann es berechnen, welche Produkte zusammen in welches Paket passen. An 278 Packplätzen wandern die Produkte somit in die Pakete, die dann von Förderbänden in die schon wartenden Lieferwagen hineinfallen – noch.

Denn Amazon bereitet schon den nächsten Schritt vor: den Einsatz von Drohnen. Derzeit spricht das Unternehmen mit Behörden und Politikern in vielen Ländern, um die Amazon-Lieferung von Drohnen Realität werden zu lassen. Diese Technik soll eines Tages ermöglichen, auch in Deutschland Pakete in 30 Minuten oder weniger auszuliefern. Laut Amazon sollen die Drohnen bald schon so normal wirken, wie derzeit Postautos auf der Straße. Der Weihnachtsmann – er käme dann tatsächlich angeflogen.