Sponsoren werben gern mit der Nachhaltigkeit ihrer Produkte. Doch Adidas sieht sich schweren Vorwürfen ausgesetzt. Der Konzern nutze Arbeitskräfte aus und sorge nicht für deren Bezahlung, so etwa in Kambodscha. Adidas wehrt sich.

In den Augen von Sithyneth Ry war Adidas immer eine Qualitätsmarke. Heute sieht er das anders. Wenn der Präsident des Unabhängigen Gewerkschaftsbunds in Kambodscha jetzt über den deutschen Sportartikelhersteller redet, fällt das Wort „Lohnraub“: „Bei acht Zulieferern von Adidas hat es 11,7 Millionen US-Dollar Diebstahl an 30 000 Arbeitskräften gegeben.“ Dies sei Geld, das den Menschen zustehe, die für Adidas Kleidung hergestellt haben.

 

Die Zahlen basieren auf einer Schätzung von der „Kampagne für Saubere Kleidung“, einem Verbund von NGOs und Gewerkschaften. Es sind schwere Vorwürfe, die Sithenyth Ry auf einer Veranstaltung der NGOs Gesellschaftsspiele e. V. und Fairness United Ende Mai in Berlin erhoben hat. Die Kurzfassung: Adidas habe es zugelassen, dass Arbeitskräfte in seiner Lieferkette nicht bezahlt worden seien – und unternehme bis heute nichts dagegen.

Gerade während der Fußball-Europameisterschaft der Männer ist so ein Vorwurf brisant. Adidas gehört zu den offiziellen Sponsoren der EM, deren Veranstalter betonen, die nachhaltigste Europameisterschaft aller Zeiten zu organisieren. Hört man den Gewerkschafter Ry, kommen Zweifel auf. Kambodscha ist einer der wichtigsten Produktionsstandorte für Adidas.

Der Verdienst reicht nicht aus

Im südostasiatischen 17-Millionen-Land beträgt der Mindestlohn 204 US-Dollar pro Monat – schon das ist zu wenig für einen angemessenen Lebensstandard. Als aber wegen der Coronapandemie die Produktion in Kambodscha gestoppt werden musste, hätten viele Arbeitskräfte nur eine geringe Lohnfortzahlung erhalten und sich deswegen verschuldet, erzählt Ry. Hulu Garment, ein Betrieb in der Hauptstadt Phnom Penh, der Kleidung für Adidas hergestellt hat, habe dies ausgenutzt.

„Nach einem Monat, im April 2020, wurden die Arbeitskräfte zurückgeholt“, berichtet Ry. „Der Betrieb hat ihnen einen Vertrag vorgelegt, den sie unterschreiben müssten, damit ihnen der Lohn ausgezahlt werden könnte. Rund 200 Personen unterschrieben das auch.“ Erst einige Tage später hätten sie bemerkt, was sie da unterschrieben hatten: „Es war ein Aufhebungsvertrag! Damit haben sie alle Ansprüche auf eine Abfindung oder Kündigungsfrist verloren.“

Es folgten Proteste. Ein Schiedsgericht im Quasi-Ein-Parteienstaat Kambodscha, das von der Gewerkschaft als kaum neutral angesehen wird, entschied aber: Unterschrieben ist unterschrieben. Hulu Garment schulde seinen Ex-Angestellten nichts weiter. Artemisa Ljarja von der Kampagne für Saubere Kleidung sieht Adidas dennoch in der Verantwortung. „Nach unserer Meinung sind die Modemarken eigentlich diejenigen, die die Macht haben gegenüber Zulieferern.“ Man wisse zwar, dass die Betroffenen nicht die direkten Arbeitnehmerinnen von Adidas waren, so Ljarja. „Aber ein Konzern wie Adidas hat so viel Macht, wie diese Lieferkette gebaut ist, dass sie eigentlich genauso dafür verantwortlich sein sollten.“ Der Jahresumsatz von Adidas hat 2023 rund 21 Milliarden Euro betragen. Das Bruttoinlandsprodukt – also die Summe aller in einem Jahr produzierten Güter und Dienstleistungen – von ganz Kambodscha war zuletzt nur leicht höher: 27,5 Milliarden.

Adidas weist jede Schuld von sich

Bei Adidas ist man sich keiner Schuld bewusst. Auf Anfrage heißt es: „Wir weisen die Vorwürfe entschieden zurück, sie sind unzutreffend. Die Zusammenarbeit zwischen dem Hersteller Hulu Garment und einem unserer Lizenznehmer war von vornherein befristet und ist wie vertraglich vereinbart im August 2020 ausgelaufen. Alle Aufträge wurden abgearbeitet und vollständig bezahlt.“

Adidas stelle seit mehr als 25 Jahren mit vielfältigen Maßnahmen faire und sichere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten seiner Lieferkette sicher, schreibt das Unternehmen: „Ein Team von weltweit rund 50 Expert*innen arbeitet an der Anwendung und Einhaltung unserer Arbeitsplatzstandards. Im Jahr 2023 führte Adidas mehr als 1200 Fabrikaudits bei Zulieferern durch. Bei Verstößen gegen unsere Standards gibt es einen Sanktionsmechanismus bis hin zur Beendigung der Geschäftsbeziehung.“

Aber nicht nur eine kambodschanische Gewerkschaft erhebt Vorwürfe. In einem offenen Brief an Adidas von der Initiative „Sport handelt Fair“, der von 49 Institutionen unterzeichnet wurde, heißt es im Januar dieses Jahres: „Es darf nicht sein, dass Arbeiter*innen auch in Ihren Zulieferbetrieben wochenlang Überstunden leisten müssen, gesundheitliche Schäden durch mangelnden Arbeits- und Gesundheitsschutz erleiden, Hungerlöhne erhalten, unter zu hoher Arbeitslast arbeiten (. . .).“

„Ausbeuterische Arbeitsbedingungen“

Auch wird angeprangert, dass Arbeitskräfte „ihre Jobs verlieren, sobald sie sich gegen die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen wehren“. Daran anschließend die Forderung der Initiative: „Bitte kümmern Sie sich umgehend darum, dass mehr als nur ein Prozent des Trikotpreises bei den Textilarbeiter*innen ankommen und es keine Zwangsarbeit in der Trikotproduktion mehr gibt.“ Gewerkschafter Sithyneth Ry hat weitere Vorschläge: „Die Verbraucherinnen können auch Druck ausüben. Durch ihr Kaufverhalten.“

Zudem solle Adidas seiner Meinung nach einen Fonds auflegen, der dann bei Lohnausfällen eingreifen könnte. „Wenn Adidas nur 15 Cent pro hergestelltem Schuh zurücklegen könnte, wäre das schon eine Hilfe.“

Aber solche Schritte seitens großer Sportartikelhersteller werden Sithyneth Ry und seine Mitstreiter wohl hart erkämpfen müssen. Denn nach Auffassung von Adidas ist die eigene Lieferkette offenbar längst nachhaltig.