Oliver von Schaewen veröffentlicht im Gmeiner-Verlag seinen vierten Roman „Liebestrug“. Der Krimi ist eine Auseinandersetzung mit Friedrich Schillers „Kabale und Liebe“ in der heutigen Gesellschaft. Im Interview erzählt der Autor und Lokaljournalist von seiner Motivation und gibt Einblicke in die Welt des fiktionalen Ermittlers Peter Struve.

Stuttgart - Oliver von Schaewen sitzt in einem Café in der Stuttgarter Stadtmitte. Vor ihm liegt ein Buch: Es ist sein neuester Schiller-Krimi „Liebestrug“, der nur ein paar Kilometer weiter nördlich in Ludwigsburg spielt. Hauptfigur ist, wie in den Vorgängern „Schillerhöhe“, „Räuberblut“ und „Glockenstille“, der Kommissar Peter Struve. Dieser ist bei der Polizei rausgeflogen und arbeitet nun als Ladendetektiv in einem Einkaufszentrum. Er verliebt sich in die Buchhändlerin Carina, die das Schiller-Stück „Kabale und Liebe“ aufführen will. Dann geschieht etwas Mysteriöses: Struve erfährt, dass Carinas Ex-Freund einen Gewerkschaftsaktivisten erstochen haben soll. Je tiefer Struve sich in die Ermittlungen stürzt, desto mehr Abgründe tun sich vor ihm auf.

 

Worum geht es in Ihrem neuen Krimi „Liebestrug“?

Es ist eine Aktualisierung von Schillers ‚Kabale und Liebe’ in die heutige Zeit, verpackt in einen Kriminalfall. Die romantische Liebe übernimmt hier eine Art Hauptrolle, gebrochen an den Figuren. Das führt dazu, dass der Roman auf mehreren Ebenen spielt. Am wichtigsten ist mir die Sozialkritik im Krimi.

Wie ist diese aktuelle Sozialkritik zu verstehen?

In Zeiten von Friedrich Schiller gab es Standesgrenzen. In ‚Liebestrug’ wird die Frage gestellt, was uns heute trennt. Kann ein Geflüchteter so einfach in eine schwäbische Familie einheiraten? Soziale Grenzen verlaufen heute anders: Das sieht man allein schon an der Glitzerwelt des Einkaufszentrums, in dem Peter Struve nun als Ladendetektiv arbeitet. Hier gibt es eine Art Ständegesellschaft zwischen dem glamourösen Management des Zentrums auf der einen Seite sowie unterdrücktes Personal auf der anderen. Struve setzt sich dafür ein, einen Betriebsrat zu gründen. Er wird zu einem Klassenkämpfer wider Willen.

Wie findet der Leser dabei Schillers Werk „Kabale und Liebe“ wieder?

Eine Gruppe Geflüchteter soll ‚Kabale und Liebe’ aufführen und probt dafür. Ich habe spannende Passagen aus Schillers Drama in die moderne Sprache übertragen. Das soll auch das Interesse für das Original wecken. Jedoch habe ich das Buch bewusst so geschrieben, dass man Schillers Drama nicht gelesen haben muss, um der Geschichte folgen zu können.

Wie sieht es mit den Vorgängern zu „Liebestrug“ aus? Muss man Struves erste drei Fälle gelesen haben, um der Geschichte folgen zu können?

Nein, alle vier Bände stehen für sich. Beim Erstling ‚Schillerhöhe’ (2009) ging es um den Verlust von Freiheit durch die innerdeutsche Teilung – und deren Ende. Der Tyrannenmord von ‚Wilhelm Tell’ stand Pate. Bei ‚Räuberblut’ (2012) ist die Geschichte streng symmetrisch zu Schillers ‚Die Räuber’ aufgebaut: Die Schlösser in Ludwigsburg fungieren als Mahnmale des Absolutismus, die NS-Vergangenheit holt die Jetztzeit ein. ‚Glockenstille’ (2014) beruht auf Schillers ‚Lied von der Glocke’. In diesem Band kritisiere ich indirekt die immer noch fehlende Gleichberechtigung der Frau in der katholischen Kirche und die mangelnde Aufarbeitung von sexuellen Missbrauch.

Welche Bindung haben Sie nach nun vier Romanen mit Peter Struve als Hauptcharakter zu dieser Figur?

Er ist eine Art Alter Ego von mir, was sich in den ersten Bänden noch stärker äußert. Leute, die mich kennen, entdecken an ihm Züge von mir, wobei ich manches zuspitze und selbst nicht in dieser Konsequenz leben wollte: Struve ist ein Fremdkörper in seiner sozialen Umgebung. Der Leser blickt tief in sein Inneres.

Wie kam es dazu, dass Sie aus Stücken von Schiller Krimis konzipieren?

Dazu haben verschiedene Dinge geführt. Erst einmal ist mir als Lokalredakteur in Marbach aufgefallen, dass es keinen Krimi gibt, der im Raum Marbach spielt. Zudem rückte damals das Schillerjahr 2009 näher. So entdeckte ich „Wilhelm Tell“: Der 20. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November sowie Schillers 200. Geburtstag am 10. November fielen fast auf den Tag zusammen. Mein Vater stammt aus der damaligen DDR, er litt jahrzehntelang unter der Trennung seiner Familie. Auslöser für den ersten Roman war eine Begegnung mit Christa Wolf im Jahr 2004. Das war ein starkes Erlebnis, das mich nicht losgelassen hat.

Was fasziniert Sie an Schiller?

Die Art, wie er Personen beschrieben hat. Er hatte ein Herz für Menschen und für seine Figuren. Die Sprache ist heutzutage gerade für jüngere Schüler nicht leicht verdaulich. Hat man sich aber erst einmal eingefunden, erkennt man die Sprachgewalt. Schiller ist für mich ein poetisches Genie, das sehr ausdrucksstark geschrieben hat. Dabei habe ich zwar noch nicht jedes Schiller-Stück gelesen, arbeite mich aber vor: Momentan bin ich bei Don Karlos. 

Was ist ihr Lieblingswerk von Schiller?

Ganz eindeutig die beiden Sturm-und-Drang-Stücke ‚Die Räuber’ und ‚Kabale und Liebe‘. Die Kritik am Absolutismus war mutig. In ‚Kabale und Liebe’ etwa kritisierte er 1784, dass sich Adelige und Bürgerliche nicht über die Standesgrenzen hinweg heiraten durften. Sechs Jahre später ehelichte er Charlotte von Lengefeld, die daraufhin ihr Adelsprivileg verlor. Im Jahr 1802, drei Jahre vor seinem Tod, erhielt Schiller – und damit auch seine Frau – auf Fürsprache Goethes den Adelsbrief.

Wie geht es weiter mit Peter Struve? Haben Sie schon Ideen für einen neuen Schiller-Krimi?

Ich weiß es noch nicht. Schiller hat noch einige andere Dramen geschrieben. Stoff wäre also noch genügend da. Es kommt allerdings auch darauf an, was in den nächsten Jahren in unserer Gesellschaft passiert. In jedem meiner Krimis soll der Kern des Dramas mit Problemen der Jetztzeit in Verbindung treten.

Info

 Oliver von Schaewen liest aus seinem Krimi „Liebestrug“ vor. Die beiden Lesungen am Samstag, 12. September, und am Samstag, 26. September, bei den Weingärtnern in Marbach sind ausgebucht. Es gibt einen dritten Termin am Freitag, 30. Oktober, um 19 Uhr. Dieses Mal ist die Musikerin Sally Grayson mit dabei. Einlass ist um 18 Uhr, der Eintritt ist frei. Die Weingärtner bewirten. Eine telefonische Anmeldung ist wegen der begrenzten Platzzahl unter der Telefonnummer 07144/6419 erforderlich.