Wer bei Marco Grenz im neu hergerichteten Kursaal in Bad Cannstatt isst, kann sich sowohl bei der Einrichtung als auch beim Essen entschieden: modern oder gut bürgerlich. Beide Richtungen haben die Testesser überzeugt.

Stuttgart - Heute lieber gut bürgerliche oder moderne Küche? Wer sich in dieser Frage nicht entscheiden kann, ist im Kursaal Cannstatt richtig. Denn in dem Anfang Oktober unter neuer Ägide wieder eröffneten Restaurant ist beides geboten. Und nicht nur, was die Speisekarte angeht. Der Gast kann sich auch entscheiden, ob er im vorderen moderneren Teil des großen Restaurants mit 180 Sitzplätzen dinieren möchte oder in der aus alten Zeiten beibehaltenen Stube im hinteren Teil.

 

Wir entscheiden uns für die urige Variante. Die gemütlichen Sitzecken mit viel Holz und einem Kachelofen wirken durch moderne Deko überhaupt nicht verstaubt. Einzig die Aufmachung der Speisekarte will nicht so recht passen: Die losen Seiten sind einfach mit Klammern zusammengeheftet.

Der Inhalt der monatlich wechselnden Karte kann sich hingegen sehen lassen. Obwohl die Anzahl der Speisen begrenzt ist, kommt jeder auf seine Kosten. Ein günstigeres Tagesgericht – an diesem Abend Kassler mit Kartoffelsalat – rundet das Angebot ab. Auch Frühstück, Kaffee und Kuchen sowie ein Mittagstisch unter zehn Euro werden angeboten. Im Mai soll der Biergarten mit 400 Plätzen öffnen. Wirt Marco Grenz (zuvor elf Jahre in der Alten Kanzlei) will ein Restaurant für Jedermann und alle Geschmäcker schaffen.

Ein köstlicher Zwiebelbraten

Ganz dem Konzept nach bestellen wir eine schwäbische und eine eher moderne Menüfolge. Dazu lokale Weine: einen Grauburgunder der Weingärtner Cannstatt (7,20 Euro) und einen Lemberger der Edition Nashorn vom Weingut Gert Aldinger aus Fellbach (6,20 Euro), der nicht nur durch seinen Namen überzeugt.

Die bodenständige Vorspeise ist eine Flädlesuppe mit Schnittlauch (4,20 Euro). Zwar schmeckt man, dass die Brühe selbst ausgekocht ist, dennoch könnte sie kräftiger sein. Das Thunfisch-Tataki (13,20 Euro), serviert auf Sprossensalat und gebackenen Glasnudeln ist optisch eine Wucht. Der Fisch hat Sushi-Qualität, leider wird sein Geschmack jedoch von der Schärfe des Pfefferrands fast gänzlich übertüncht, die Glasnudeln sind in ihrer Konsistenz schwer in den Mund zu bekommen.

Zweimal Rind heißt es bei der Hauptspeise. Einmal als köstlich zarter Zwiebelrostbraten (18,70 Euro) mit handgeschabten Spätzle, die man uns problemlos statt der eigentlich angebotenen Röstkartoffeln serviert. Ein Kartoffelgratin und Mini-Gemüse begleiten ein perfekt gebratenes Rinderfilet (22,80). Geschmackliches Highlight ist der cremige Balsamicojus. Als Nachspeise gibt es eine wenig aufregende weiße Schoko-Mousse mit Kürbisragout (6,50 Euro) sowie eine Pannacotta vom Blauschimmelkäse an karamellisierten Birnen (6,50 Euro). Letzteres Dessert ist auf einer Schiefertafel toll präsentiert und – wenn sich Auge und Kopf trotz Dessertoptik an den deftigen Geschmack gewöhnt haben – eine tolle Kombination.

Die Bewertung

zur Erklärung: +++++ = herausragend, ++++= überdurchschnittlich, +++ = gut, ++= Luft nach oben, + = viel zu verbessern

Die Beurteilung berücksichtigt auch das Preis-Leistungs-Verhältnis. Das günstige Lokal um die Ecke wird nach anderen Kriterien bewertet als ein Sternerestaurant. Der Test gibt Aufschluss über die Tagesform der Küche.