Ein Container vor dem Geschwister-Scholl-Gymnasium in Stuttgart-Riedenberg ist Schauplatz des Theaterstücks „Pass.Wort. Wie Belal nach Deutschland kam“. Erzählt wird die Odyssee eines minderjährigen Flüchtlings aus Afghanistan.

Sillenbuch - Es kommt nicht oft vor, dass ein Theaterabend einen derart intensiven Eindruck vom Leben der Schauspieler vermittelt. In einem Container vor dem Geschwister-Scholl-Gymnasium zeigt in diesen Tagen das Theater Lokstoff das Stück „Pass.Worte. Wie Belal nach Deutschland kam“. Es gewährt Jugendlichen ab der neunten Klasse einen beklemmenden Blick auf die Erlebnisse von minderjährigen Flüchtlingen aus Afghanistan. An einem Abend hatten auch Eltern und Lehrer Gelegenheit, das Stück zu sehen.

 

Vor dem Eingang des Gymnasiums wurde ein zum Theaterraum umgebauter Schiffscontainer platziert, der sonst vor dem Stuttgarter Theaterhaus steht. Es ist eng, nur 49 Zuschauer finden Platz. Es ist kalt, die Schauspieler teilen Decken aus. Das karge Bühnenbild zeigt ein Büro mit Akten. Am Tisch sitzen ein Herr im Anzug (Sebastian Schäfer) und ein junger Mann mit dem Namen Khanzada.

Eine Anhörung vor der Behörde

Gespielt wird eine Anhörung: der junge Flüchtling erzählt seine Geschichte, der namenlose Beamte fungiert als Übersetzer. Während der Schülervorstellungen an den Vormittagen übernehmen drei Schauspieler und sechs junge Afghanen alternierend diese Rollen.

Erzählt wird das Schicksal von Belal, einem Minderjährigen aus Afghanistan. Auf Dari berichtet der Schauspieler von seinem Heimatdorf, vom gefahrvollen Leben des Bruders, der als Übersetzer für die Briten arbeitet, vom Schwager, der dem Jungen die Flucht ermöglicht.

In dem bilderreichen, eindrücklichen Text wird die Bedrohung durch die Taliban geschildert: „Sie erschießen nicht, sie schneiden ihren Gegnern die Kehle durch – ganz langsam.“ Geschrieben hat den Text Alexa Steinbrenner, die „Pass.Wort.“ gemeinsam mit Regisseur Wilhelm Schneck und dem Dramaturgen Werner Kolk konzipiert hat. In vielen Gesprächen mit minderjährigen Flüchtlingen hat sie Fakten gesammelt und zu einem Stück zusammengefügt, das durchweg realistisch erscheint.

Ein Passwort für die Schlepper

Die Sprache ist drastisch, aber auch nicht ohne Witz. Während sich Belal noch in Afghanistan bei seiner Schwester versteckt, lernt er Englisch durch James-Bond-Filme. Fünf Liebesgeschichten für einen Krimi, fordert die ältere Schwester: Belal soll nicht nur Filme sehen, in denen geschossen wird.

Doch bei seiner Odyssee in Richtung Westen erlebt der Junge – und mit ihm die Zuschauer – eine bittere Realität: Gewalt, Bedrohung, Panik, gelegentlich etwas Hoffnung, Rückschläge, ein bulgarisches Gefängnis. Immer wieder muss Belal den Schleppern ein Passwort nennen, das ihn an sein Ziel bringen soll. Als er nach vielen Monaten Deutschland erreicht, ist er kein Junge mehr, sondern ein traumatisierter junger Mann. Im wahren Leben heißt Belal Shahamahmood Jalaly. „Wir wollten ihm aber nicht zumuten, den Text selbst zu sprechen“, hat Autorin Alexa Steinbrenner vor der Vorstellung erläutert. Und auch im Stück gibt es einen Moment, in dem Belal nicht mehr sprechen kann. Sebastian Schäfer, der sich als verhörender Beamter anfangs bewusst sachlich gegeben hat, übernimmt und wirkt von da an nicht mehr unberührt. Er fühlt sich ein in den Flüchtling, über dessen Leben er letztlich mitbestimmt.

Der junge Khanzada hat wie seine afghanischen Kollegen ein ähnliches Schicksal erleben müssen. Das Programmheft stellt die sechs Schauspieler, die über einen Sprachkurs in Kontakt mit dem Theater kamen, mit Steckbriefen vor. Herkunft, Alter, Ankunft, Dauer der Flucht, Fluchtroute. Es sind zum Teil 13-Jährige, die sich alleine auf den Weg gemacht haben. Nicht, um im Westen ein besseres Leben zu finden, sondern um schlichtweg zu überleben. „Du hast keine Zukunft in Afghanistan, Belal“, hat der Schwager im Stück gesagt: „Du kannst auf der Flucht sterben, aber hier bist du schon tot. Also halte dich an deine Hoffnung. Deine Hoffnung muss stärker sein als deine Angst und stärker noch als deine Traurigkeit.“

Die Hoffnung muss stärker sein als die Angst

Illustriert wird die Erzählung durch Geräusche im Hintergrund: der Klang einer Stadt, Türenschlagen, Gesprächsfetzen. Auf einer Leinwand hinter den Schauspielern liefern Filmaufnahmen atmosphärische Bilder. Am Ende wird die Fluchtroute auf einer Karte gezeigt. Bei Khanzada, dem Schauspieler an diesem Abend, ging es über Pakistan, Iran, die Türkei, ein Land, dessen Namen er nicht kennt, und Frankreich nach Deutschland. Dauer der Flucht: unbekannt. In Stuttgart geht er jetzt zur Schule, hat Deutsch gelernt und möchte Mechatroniker werden.