Die ehemalige Weltklasse-Dressurreiterin startet sportlich wieder durch.

Korntal - Auf die Frage, was sie aus Deutschland in Australien vermisst, lacht Lone Jörgensen herzlich: „Den Leberkäse und die schwäbischen Maultaschen.“ Für ersteren hat sie in Melbourne eine Metzgerei gefunden, wo sie hin und wieder vorbei schaut und sich einen gönnt. „Ansonsten haben wir mit unserem Umzug alles richtig gemacht“, sagt die aus Dänemark stammende Berufsreiterin, die 2012 von Korntal-Münchingen ausgewandert ist.

 

Mit ihrem Mann Uli Eggers und ihrer mittlerweile 28-jährigen Tochter Monica – die im Februar ihren australischen Verlobten heiratet – lebt sie im Staat Victoria, südlich der Metropole Melbourne auf der 50 Kilometer langen Halbinsel Mornington – dort, wo viele Einwohner Melbournes ihre Sommerferien verbringen. Somers heißt die kleine Stadt, das Anwesen ist rund 800 Meter vom Strand entfernt. „Den registriert man irgendwann nicht mehr, wenn man den Alltag bestreitet“, sagt Jörgensen. Es gibt einen Supermarkt und Restaurants. Der nächste Nachbar der Auswanderer wohnt 300 Meter entfernt. „Man kann hier sehr gut leben.“

Bevor die Familie den Neuanfang wagte, besaß sie einen Ausbildungsstall in Münchingen. Lone Jörgensen hatte große sportliche Dressur-Erfolge gefeiert, nicht nur als Teil der dänischen Nationalmannschaft. In den Jahren 2000 und 2004 war sie bei den Olympischen Spielen. In Sydney wurde sie mit ihrem erfolgreichen Württemberger Fuchswallach FBW Kennedy Siebte in der Einzelwertung, landete mit der dänischen Equipe auf Platz vier. Internationale Erfolge feierte sie auch auf Ludewig, Donna Asana oder FBW De Vito. Die Reise zu den Olympischen Spielen nach Sydney brachte Jörgensen und Eggers vor 20 Jahren auf die Idee, dass es sich dort ganz gut leben könnte. „Ein tolles Land, das uns auf Anhieb super gefallen hat“, sagt die 57-Jährige rückblickend.

Zwölf Jahre hat die Verwirklichung gedauert

Von der Idee bis zur Verwirklichung vergingen insgesamt zwölf Jahre, in denen die Familie alles in die entsprechenden Bahnen lenken konnte. „So schnell wollten und konnten wir die Zelte ja nicht abreißen, zumal unsere Tochter damals acht Jahre alt war und in Deutschland zur Schule ging.“ Drei bis vier Jahre vor dem Umzug flog Lone Jörgensen regelmäßig für fünf bis sechs Wochen nach Australien, war dort als Trainerin gefragt und gab verschiedene Lehrgänge.

„Wir nutzten die Reisen, um uns einen Freundeskreis, einen Kundenstamm und Kontakte aufzubauen. Das war sehr wertvoll“, sagt Jörgensen. Nachdem auch der ganze Papierkram für die Auswanderung erledigt war, verkauften sie in Münchingen alles – das Haus, den LKW und auch die Pferde. Allein Tochter Monica durfte ihr geliebtes Springpferd mitnehmen. Und der quirlige Norfolk Terrier Higgins wanderte natürlich auch aus. „Er hatte hier noch einige schöne Jahre, ist vor zwei Jahren leider gestorben“, sagt Jörgensen. In Somers hatten die Auswanderer ein ideales Grundstück gefunden. Sechs Hektar groß, allerdings sehr herunter gekommen. „Das hatte einem geschiedenen Ehemann gehört, der dort zwei Jahre alleine gelebt und nichts mehr gemacht hat. Perfekt für uns, wenn auch größer als gedacht.“

Die deutsche Einstellung hilft

Für Jörgensen und Eggers begannen intensive und arbeitsreiche Monate. „Da hat uns unsere deutsche Einstellung weiter geholfen, alles möglichst schnell erledigen zu wollen. Wir haben unter anderem den Boden und die Fenster erneuert, die Substanz des Hauses war zum Glück in Ordnung. Auch die Außenanlage brachten wir auf Vordermann.“ 2014 folgte der Bau einer Reithalle und des Stalles mit sechs Boxen. „Unsere Pferde wollten wir nicht woanders unterstellen, dafür waren wir schon zu lange selbstständig.“

Ruhiger ist es, nachdem alles fertig war, keineswegs geworden. „So ein Anwesen bedeutet viel Arbeit. Zur Ruhe setzen können wir uns keinesfalls, und das ist ja auch schön.“ Zumal Jörgensens reiterliches Wissen stark gefragt ist. Sie ist in ganz Australien unterwegs, einige Kunden kommen auch zu ihr nach Somers. Durch Zufall lernte sie Emma Booth kennen, eine Reiterin mit Handicap, die im Rollstuhl sitzt. Die gebürtige Dänin begleitete die Sportlerin im Sommer 2016 zu den Paralympics nach Rio de Janeiro. Das sollte weitere Folgen haben. „In der Zwischenzeit bin ich nicht nur der State-Coach in Victoria, sondern auch Para-Beauftragte für ganz Australien.“

Eine sportliche Karriere war kein Muss

Eine sportliche Karriere hatte Lone Jörgensen nicht mehr zwingend geplant, wollte es aber auch nicht ausschließen, sollte ihr ein entsprechend talentiertes Pferd „über den Weg laufen“. Und genau das ist der 57-Jährigen nun passiert. Ihre Kundin Pauline Carnovale trainierte regelmäßig mit ihrer dänischen Warmblutstute Corinna auf Jörgensen Anlage – und kam irgendwann an ihre Grenzen. „Da habe ich gesagt, wenn es mit Corinna weitergehen soll, muss ich sie reiten“, sagt Lone Jörgensen. Carnovale willigte ein. Fast ein Jahr dauerte es, bis Jörgensen die Stute auf Grand Prix-Niveau hatte.

Anfang Mai 2019 ritt sie mit Corinna das erste Turnier, es folgten sieben weitere Grand Prix- Prüfungen, bevor sie sich entschied, bei den australischen Dressur-Meisterschaften mitzumachen. Jörgensen gewann. „Australien ist allerdings kein starkes Reiterland“, sagt sie fast entschuldigend. Dabei startete die Dänin keineswegs außer Konkurrenz.

Eine offizielle Australierin

Im vergangenen Jahr hat sie die australische Staatsbürgerschaft erhalten. Was ihr natürlich auch neue sportliche Wege eröffnet. Sollte sie sich für die Olympischen Spiele 2020 in Tokyo qualifizieren, wird sie auch diese Herausforderung für ihr neues Heimatland annehmen. „Wir haben vier bis fünf potenzielle Kandidaten. Mal schauen, welche drei letztendlich im Team sind.“ In dieser Hinsicht ist Jörgensen, als langjährige Berufsreiterin, entspannt. „Pläne kann man ohnehin nicht schmieden. Wenn man mit Tieren arbeitet, kann so viel dazwischen kommen.“

Dagegen hat sie konkrete Vorstellungen, wo sie die nächsten Jahre mit ihrer Familie verbringen wird. „Hier in Australien, nach Deutschland kehren wir nicht zurück.“ Die Freundschaften in ihrer alten Heimat und auf der ganzen Welt pflegt sie weiterhin – den modernen Kommunikationsmöglichkeiten sei Dank. Nur auf die eine oder andere Leckerei müssen sie Down Under einfach verzichten.