Lore Alt ist Weltmeisterin einer vergessenen Kunst: dem Schnellschreiben auf der Schreibmaschine. Mehrere Weltmeistertitel hat sie dafür seit den 1950er Jahren gewonnen.

S-Nord - Die Schreibmaschine steht mittlerweile ungenutzt im Schrank; doch Stenografie schreibt Lore Alt noch heute. Bei jedem Telefonanruf macht sie sich Notizen, die ihre Enkelin kaum entziffern kann. Das Leben der Jubilarin, die in diesen Tagen ihren 90. Geburtstag gefeiert hat, drehte sich viele Jahre lang um das Schreibmaschineschreiben. Beruflich wie privat: Viermal holte die Sekretärin den Weltmeistertitel nach Stuttgart. Und unterrichtete junge Frauen, von denen eine wiederum an der Weltspitze stand. Nebenbei gehörte sie mit ihrem Mann Alfred zu den Sozialdemokraten der ersten Stunde. Sie waren nach dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam mit anderen Gleichgesinnten wesentlich am Wiederaufbau der SPD in Stuttgart beteiligt.

 

Geboren im Stuttgarter Westen

Als Lore Alt am 29. November 1925 im Stuttgarter Westen zur Welt kommen sollte, musste sich der Vater durch einen halben Meter Schnee kämpfen, um die Hebamme zu holen. Der Vater, ein Schlossermeister, stammte aus dem Hohenlohischen, die Mutter vom Schwarzwald. Die Familiengeschichte, so erzählt Lore Alt, ist im Grunde tragisch: Die erste Frau ihres Vaters starb an der nach dem Ersten Weltkrieg grassierenden Spanischen Grippe und hinterließ zwei Töchter. Auch die zweite Ehefrau starb frühzeitig, und der Vater heiratete Lore Alts Mutter. „Meine eigene Kindheit war sehr schön“, sagt die Jubilarin. „Ich bin von meinen zwölf und dreizehn Jahre älteren Halbschwestern sehr verwöhnt worden.“

Für die Eltern war es damals selbstverständlich, dass auch die Jüngste eine gute Ausbildung machen sollte. „Das ist das Einzige, was ich euch mitgeben kann“, habe der Vater gesagt. So absolvierte sie nach ihrem Pflichtjahr bei einer Familie in Bad Cannstatt eine einjährige kaufmännische Ausbildung. Die private Handelsschule, von strengen Franziskanerinnen geleitet, wurde bald darauf von den Nationalsozialisten geschlossen.

Als Absolventin einer Schule mit gutem Ruf fand sie schnell ihre erste Stelle bei der Südwestdeutschen Ferngas-AG. Anschließend arbeitete sie zehn Jahre als Sekretärin im Büro von Paul Hofstetter, dem Vorsitzenden der Arbeiterwohlfahrt und SPD-Landtagsabgeordneten. Lore Alt: „Das war ein feiner Mann.“ Politisch war sie allerdings schon zuvor vom Elternhaus geprägt worden, und auch ihr Mann Alfred, ein technischer Angestellter, war überzeugt von der sozialdemokratischen Bewegung.

Zur WM nach Monaco

Im nächsten Jahr sind es 70 Jahre, die Lore Alt der SPD die Treue hält. Mit der späteren Stadträtin Inge Hörner gab sie anfangs bei großen SPD-Veranstaltungen Kabarett- und Steptanz-Vorstellungen. Und gemeinsam mit Renate Kurz organisierte sie 28 Jahre lang die Veranstaltungen von „SPD am Nachmittag“. Doch auch für den Sport schlug ihr Herz. Besonders lebhaft in Erinnerung ist ihr die Zeit, als sie sonntags im Tagblatt-Turm für den Sportberichterstatter der Stuttgarter Zeitung, Hans Blickensdörfer, telefonisch die Fußballergebnisse entgegennahm, um möglichst schnell die Spielberichte weiterzugeben. So auch an dem Tag, als die deutschen Fußballer in Bern 1954 Weltmeister wurden.

Mit dem Wechsel zur Berufsfachschule Oettling-Thiele, wo sie als Lehrerin für Maschineschreiben und Stenografie unterrichtete, vermischten sich berufliches Interesse und privater Ehrgeiz. 1950 gab es den ersten Wettbewerb in Schwäbisch Gmünd, wo sie mit der Maschine in einer Obstkiste anreiste. Nachdem sie den baden-württembergischen und den deutschen Meistertitel gewonnen hatte, fuhr sie 1955 – ohne ihrem Chef Bescheid zu sagen – nach Monaco, um an ihrer ersten Weltmeisterschaft teilzunehmen. Und kam mit dem Weltmeistertitel im Schnellschreiben nach Stuttgart zurück. Die dort gewonnene Uhr ziert noch heute das Bücherregal in ihrem Haus an der Erzberger Straße.

Zwei Jahre später holte sie den Weltmeistertitel in Mailand, 1959 in Wien dann gleich zwei Titel: sie wurde Weltmeisterin im Schnellschreiben und im sogenannten Sicherheitsschreiben, bei dem es darum ging, möglichst fehlerlos zu tippen. Auch abseits der Wettbewerbe durfte sie viel im Dienst der Schreibmaschine reisen: Für die Auslandsvertretungen der Firma Adler fuhr sie nach Holland, Spanien oder sogar Nordafrika. Dies zu einer Zeit, als von Tourismus noch kaum die Rede war. Doch um die Benutzung eines Computers macht sie einen Bogen: dafür sind Sohn, Schwiegertochter und Enkelin zuständig.