Seine Figuren stehen jedem vor Augen: Herr Dr. Klöbner, Wum und Wendelin sowie Pappa und Ödipussi. Doch das Münchner Literaturhaus zeigt ein paar Seiten am Gesamtkünstler Loriot, die eher unbekannt sind.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Vielleicht sollte man, damit es keine Missverständnisse gibt – wiewohl Missverständnisse, weiß Loriot, das Leben überhaupt erst interessant machen – vielleicht sollte man also zuerst mal aufzählen, was es in der Ausstellung im Münchner Literaturhaus an Loriotana (wenn man so sagen darf) nicht gibt. Es fehlen: Herr Dr. Klöbner, Wum und Wendelin, Pappa und Ödipussi, ein Klavier (oder doch, es gibt eines, aber ein anderes). Es fehlt, um es kurz zu machen, überhaupt fast alles, was die Leute gemeinhin so verknüpft haben mit Vicco von Bülow, der im November neunzig Jahre alt geworden wäre.

 

Gestorben ist der Wahlammerländer von Bülow alias Loriot vor gut zwei Jahren gesegnet geistig gesund und im Bewusstsein, dass er’s, nehmt alles nur in allem, zum Lieblingshumoristen der Deutschen gebracht hatte. West-ost-übergreifend konnte man sich jederzeit auf ihn einigen, schließlich gleicht ja so ein Frühstück da wie dort dem anderen, vom Ei und dem Härtegrad desselben nicht zu reden. Aber, wie gesagt, selbst der schönste, noch nicht genug belachte Mainstream-Loriot hat in dieser Ausstellung Pause.

Das bürgerliche Wohnzimmer kurz vor der Detonation

Stattdessen sieht man, wo der Adlige beruflich her kam, nämlich aus der Nachkriegsschule deutscher Malerei und Grafik, und wie er mit seinem frechen Strich zuerst einmal gehörige Irritationen auslöst in den deutsche Illustriertenredaktionsstuben, für die er in den Fünfzigern Cartoon-Serien zeichnen wollte. Die Fünfziger muss man sich retrospektiv am besten ein wenig wie im „Doppelten Lottchen“ von Erich Kästner vorstellen, wo der Chefredakteur zur Umbrecherin in der Sauregurkenzeit sagt, sie solle doch ruhig die herzigen Zwillinge als Bild auf den Titel heben, „so etwas gefällt dem Publikum immer“.

Loriot aber war (übrigens bis zum Schluss) eines sicher nicht: betulich. Im Gegenteil. Er hatte ordentlich Spaß daran, wenn das kleine, bürgerliche Wohnzimmer kurz vor der Detonation stand. Dass genau dies schneller passieren kann als der festlich sich befriedende Mensch so denkt, kündigt sich in Loriots Schaffen, wie man jetzt sieht, schon sehr früh an: da platzen nämlich durchs splitternde Fensterglas eine Krake und ein paar Fische in die gute Stube, was einen Mann, den bereits ein Anflug von Knollennase ziert, ziemlich entsetzt dreinschauen lässt. „Atlantische Störung“ heißt die Zeichnung, ist dann aber, wie auch andere Versuche in diese Richtung, länger nicht nach dem Geschmack der jeweiligen Vorgesetzten von „Quick“, „Stern“ und „Weltbild“. Dennoch lässt die „Schriftleitung“ den Kontakt zu Loriot nicht abreißen. Man rät ihm, die „Saturday Evening Post“ zu studieren. Da könne man nämlich mal sehen – und lernen: „Gehen Sie gleich ans Werk, Meister!“ So etwas hört man als sensibler und origineller Mensch ja immer gern.

Schon in den Werbefilmen steckt der ganze Loriot

Vicco von Bülow bleibt – das Beste, was man da machen kann, und ein bisschen alimentiert von daheim war er natürlich schon – geduldig. Höflich. Fleißig. Und schaut, dass er schnell sein eigener Herr wird. Wie er das ist, zeigen ein gutes Dutzend Werbefilme, die Loriot Ende der sechziger Jahre für eine dänische Tabakfirma anfertigt. Die Filme kulminieren akustisch in einem in Ton und Wort aufsteigenden Klang: „Drei Dinge braucht der Mann – Feuer, Pfeife, Stanwell.“ Den Spruch kannte jedes Kind der siebziger Jahre.

In diesen Filmen, über die man jederzeit eine Doktorarbeit schreiben könnte, steckt bereits fast der ganze Loriot. Zum Beispiel hängt ein Mann an der Bergeskante. Kommt ein anderer Mann und ruft: „Was brauchen Sie denn? Ein Seil? Warme Unterwäsche? Einen Tee mit Zitrone?“ Na, jedenfalls schreit der Abstürzler immer wieder heiser „Nein“ und „Nein, nein“ zurück, und wen Loriot einmal derart auf der Rolle hat, den lässt er nimmer runter. Hier also findet sich der Archetyp des Dr. Klöbner, der diese Ausstellung nun doch noch, gewissermaßen durch die Hintertüre, betritt. Und alle, alle sind sie auch sonst schon da: der notorische Verführer, der preußisch schnappende Militarist, der sich selbst zuarbeitende Beamte und, rein semantisch gesehen, die legendäre Wendung „Ach was?“. Das ist schon sehr aufschlussreich. Aber damit nicht genug.

Bisweilen ist der Meister von seinen Figuren nicht weit entfernt

Es haben nämlich die Kuratoren in der „Spätlese“ betitelten Ausstellung sowohl letzte, öfter sehr dunkle „Nachschattengewächse“ ausgestellt (also Bilder aus der Spätphase, als Loriot wieder richtig malte), wie auch jenes „Gästebuch“ nachgestellt, welches Loriot in den Sechzigern daheim zu führen begann. Fotografiert wurden am immer gleichen Ort die Besucher – ob sie sich inszenieren wollten oder nicht: Horst Buchholz, Marianne Koch, Georg Kreisler. Sehr schön 1973 der Bundespräsident, Gustav Heinemann, entspannt lachend (ein rarer Moment) und mit der Gattin Hilda im Arm. Eine Illustration des Heinemann’schen Satzes, dass er keine Staaten, sondern seine Frau liebe. Was auch hätte von Loriot sein können.

Mittendrin und doch ein bisschen versteckt unter der Überschrift „Loriot und die Bildung“ ein Tondokument ersten Ranges: Zunächst vergleichsweise kurz angebunden erklärt Loriot einem angereisten Abiturientengrüppchen vom Stuttgarter Eberhard-Ludwigs-Gymnasium als Altschüler, warum der Mensch ganz gut ohne sphärische Trigonometrie, nicht aber ohne Schiller und Shakespeare und griechische Dichtung auskomme.

Je länger je engagierter kommt er dann über den Massentourismus und die ewige Stadt Rom zum Obelisken auf dem Petersplatz. Und so weiter, en Detail. Loriot ist zwischendurch nicht mehr weit von seinen besten Figuren entfernt. Folglich beendet er sein episches, inhaltlich sehr aufschlussreiches Bildungsplädoyer mit den Worten „kurz und gut“. Auch dies: ein Klassiker.

Bis 12. Januar, Mo-Fr 11-19 Uhr; Sa-So 10-18 Uhr.

Im Diogenes-Verlag sind die Bände „Spätlese“ und „Loriot: Gästebuch“ erschienen.