Lost Place im Wald Neue Tafel erklärt die geheimnisvolle Ruine auf dem Venusberg

, aktualisiert am 20.10.2025 - 12:01 Uhr
An die riesige Antennenanlage auf dem Aidlinger Venusberg erinnern nur noch Ruinen. Foto: stefanie schlecht

Auf dem Venusberg befindet sich die Ruine einer Militäranlage aus dem Zweiten Weltkrieg. Eine Gedenktafel des Heimatgeschichtsvereins Aidlingen erklärt, was es damit auf sich hatte.

Am 26. Dezember 1944 macht sich ein Aufklärungsflugzeug der britischen Royal Air Force auf einen gefährlichen Flug über Südwestdeutschland. In der Nähe von Stuttgart, auf dem Aidlinger Venusberg, entdeckt die Besatzung eine große Militäranlage mit einer haushohen Antenne, einem Sendeturm, weiteren Gebäuden zur Stromversorgung sowie einer Flak-Stellung mit 20-mm-Geschützen gegen Tieffliegerangriffe.

 

Heute erinnern nur noch ein mit Moos überwucherter Betonkreisel mit vereinzelt hervortretenden Stahlstreben und ein zerfallenes Bauwerk in der Mitte daran, dass hier auf einstmals völlig flachem Gelände einmal streng geheime Militärtechnik der Wehrmacht stand. Spaziergänger, die den Ort nicht kennen, sind immer wieder verblüfft, wenn sie die geheimnisvolle Ruine in einem kleinen Waldstück am Rande eines Feldwegs zwischen Aidlingen und dem Ortsteil Lehenweiler entdecken. „Das war irgendwas mit Radar“, heißt es dann, wenn ein ortskundiger Begleiter zumindest ein bisschen Wissen zu diesem rätselhaften „Lost Place“ inmitten des größten Naturschutzgebiets des Landkreises beitragen kann.

Der Historiker Norbert Prothmann erklärt vor der neuen Gedenktafel die Geschichte der Aidlinger Drehfunkfeueranlage. Foto: Langner

Mit dem Rätselraten ist es ab jetzt vorbei: Am Dienstag enthüllte der Heimatgeschichtsverein Aidlingen nämlich dort am Waldrand, nur wenige Meter von dem Steinkreisel entfernt, eine Informationstafel zu der Anlage. In Zusammenarbeit mit der Stuttgarter Forschungsgruppe Geschichte Untertage erklärt der Verein hier in kompakter Form, was genau es mit diesem Bauwerk auf sich hat.

Es handelte sich um eine sogenannte „Bernhard-Anlage“ – eine frühe Form der Radartechnik, mit der die Luftwaffe die Position ihrer eigenen Flugzeuge bestimmen und so beispielsweise Nachtjäger von den Fliegerhorsten in Malmsheim, Hailfingen-Tailfingen, Großsachsenheim und Nellingen auf Abfangkurs gegen feindliche Bomber leiten konnte. „Das Verfahren war damals neu. Heute ist es längst Standard in der Luftfahrt“, sagt Norbert Prothmann, Projektverantwortlicher bei der Forschungsgruppe Untertage.

„Die Anlage in Aidlingen ist die letzte, die fertiggebaut wurde“, sagt Prothmann. Es handelte sich um das einzige Drehfunkfeuer in Süddeutschland und die letzte von insgesamt 14, die noch komplett fertiggebaut wurden. Im Abwehrkampf gegen britische, kanadische und amerikanische Bomberstaffeln hätte diese Flugnavigationssystem noch wichtig werden können. „Zu diesem Zeitpunkt kamen die Angriffe vor allem aus Richtung Frankreich, weil im Westen die Luftabwehr deutlich schwächer war“, erklärt Prothmann. Der 61-Jährige arbeitet hauptberuflich in der IT-Branche. Gemeinsam mit seiner Frau Sabine, der Vorsitzenden der Forschungsgruppe, arbeitet er die Geschichte der beiden Weltkriege in Württemberg auf.

Feierliche Enthüllung der Infotafel (von links): Udo Stetzler, Jessica Mast, Helena Österle, Norbert Prothmann, Gudrun Breiting und Tasneem Kaufmann. Foto: Langner

Das Interesse für dieses Thema rührt bei Prothmann aus der eigenen Familiengeschichte. „Mein Vater war Jahrgang 1920 und Wehrmachtssoldat“, erzählt er. Seine Mutter stammte aus einer sozialdemokratisch geprägten Familie. „Als Kinder haben wir schon früh dieses Spannungsfeld zwischen unseren Eltern wahrgenommen“, erzählt er.

Zum Aidlinger Drehfunkfeuer weiß Prothmann eine Menge zu erzählen. Zum Beispiel zu der Frage, warum die Anlage trotz Entdeckung durch die Luftaufklärung für die alliierten Bomber wohl kein lohnendes Ziel darstellte. „Vermutlich hatten sie aus den Luftbildern erkannt, dass die Anlage noch nicht in Betrieb war“, meint Prothmann. Tatsächlich befand sich das Drehfunkfeuer von Januar bis März 1945 erst im Testbetrieb. Am Ende war es die Wehrmacht selbst, die das Bauwerk am 16. April in die Luft sprengte – einen Tag, nachdem französische Soldaten Calw besetzt hatten.

Anhand der Fotografie einer ähnlichen Anlage, die in Frankreich im Einsatz war, bekommt man auch einen Eindruck von der 28 Meter hohen und 35 Meter breiten Antenne, die sich trotz ihres Gewichts von 120 Tonnen auf einem Schienkreisel in einer Minute zweimal um die eigene Achse drehen konnte. Gebaut wurde die Anlage von der sogenannten Organisation Todt, die dafür rund 35 Zwangsarbeiter einsetze und vor Ort in Baracken unterbrachte.

Nach dem Krieg musste der Besitzer sein eigenes Grundstück zurückkaufen

Das Projekt war im Geheimen. Nicht einmal der Grundstücksbesitzer, ein Aidlinger Malermeister namens Wilhelm Breitling, durfte erfahren, was hier gebaut wurde. „Und nach dem Krieg hat er es sogar vom Staat zurückkaufen müssen“, erinnert sich seine Schwiegertochter Gertrud Breitling. Die ältere Dame kann sich auch noch daran erinnern, dass sich hier, wo heute dicht beieinander stehende Bäume in den Himmel ragen, einmal ein Segelflugplatz befunden hatte.


Gertrud Breitling war am Dienstag mit dabei, als Tasneem Kaufmann, die Vorsitzende des Heimatgeschichtsvereins, die Tafel gemeinsam mit Aidlingens Bürgermeisterin Helena Österle und im Beisein der Grafikerin Jessica Mast und des Aidlinger Metallbauers Udo Stetzler feierlich enthüllte. Kaufmann bedankte sich bei der Familie Breitling dafür, dass sie das Grundstück seit Jahren für Geschichtsinteressierte zugänglich macht und nun auch die Aufstellung der Tafel auf ihrem Grundstück erlaubte.

Ganz sicher werden es ihr auch die Spaziergänger danken, die künftig den Venusberg ein bisschen schlauer verlassen werden, als sie ihn betreten haben.

Drehfunkfeueranlage

Funktionsweise
Ein Drehfunkfeuer besteht aus zwei leicht zueinander gedrehten Antennenkonstruktionen. Mittels zwei überlappender Richtstrahlen lässt sich damit die Position eines Flugzeugs über einen an Bord eingebauten Empfänger genau bestimmen. Das Prinzip ist auch heute noch in der Luftfahrt üblich. Zumeist wird dafür die englische Bezeichnung VOR (kurz für VHF Omnidirectional Radio Range) verwendet.

Bernhard-Anlage
Die UKW-Drehfunkfeueranlage FuSAn 724/725 mit dem Decknamen „Bernhard“ war eine Entwicklung von Telefunken. Sie hatte eine Reichweite von rund 400 Kilometern. Eine erste Testanlage ging 1941 in Trebbin, südlich von Berlin, in Betrieb. Insgesamt hatte die Luftwaffe 17 solcher Systeme bauen lassen, fünf weitere waren in Planung. Standorte waren unter anderem in Frankreich, Holland, Polen und Dänemark. Fünf weitere waren in Planung. Das Drehfunkfeuer in Aidlingen war zum Jahresbeginn 1945 zwar fertiggestellt, kam allerdings nicht mehr über einen Probebetrieb hinaus.

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