Das quer liegende Oval der seit 2019 verwaisten XXL-Disco Penthouse sieht aus wie ein Ufo aus Glas. Jetzt küssen Kreative den Lost Place für Theater und Tanz auf Zeit wach.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Brachflächen sind eine Chance für kreative Pioniere. Quer durch die Stadt stehen Gebäude leer, weil die Eigentümer entweder alles neu gestalten wollen, aber es Jahre dauert, bis ihre Bauanträge durch sind, oder weil Firmen aufgeben und sich keine neuen Mieter zum gewünschten Preis finden. Wenn der Leerstand gute Ideen hervorruft, blühen Pop-up-Projekte mit Kultur oder Gastro an ungewohnten Orten auf.

 

Das Zauberwort lautet: Zwischennutzung! Die vorübergehenden Mieter zahlen weniger, als der Markt sonst verlangen würde – und sie machen mit ihrer oft überraschenden Kreativität eine Stadt spannend.

Im Hotel am Schlossgarten brummt die Zwischenlösung, die Studio Amore heißt

Das Studio Amore im Hotel am Schlossgarten ist ein prächtiges Beispiel dafür. Noch immer haben die Eigentümer den Bauantrag für den Umbau des Areals nicht gestellt – die Wirte des temporären Treffs können vielleicht sogar bis Ende des Jahres die Discokugel in der einstigen Nobelherberge kreisen lassen, mit ihrer boomenden Location quer durch die Generationen die Gäste erfreuen.

Bald könnte ein zwischengenutzter Glasbau in Feuerbach ebenfalls zum Star auf Zeit werden. Die ovale Form der oberen Etagen über dem Großmarkt Selgros zieht die Blicke der Autofahrerinnen und Autofahrer an, die sich in Massen auf der Heilbronner Straße bewegen. Manch einer fragt sich: Was wird aus dieser markanten Brache mit Aussicht?

Premiere im Penthouse ist am 17. März

Seit knapp vier Jahren läuft nix mehr im Penthouse. Bereits vor Corona hat die 2007 eröffnete Großraumdiskothek, in der bis zu 2500 Gäste auf 2000 Quadratmetern gefeiert haben, für immer geschlossen. Nun haben das Citizen.Kane.Kollektiv, eine freie Theatergruppe, das Rave-Kollektiv Trabanten und die Initiative Queerdenker* den Lost Place aus dem Dornröschenschlaf wachgeküsst. Seit Tagen wird für die Premiere am 17. März geprobt. Molnárs Theaterklassiker „Liliom“ – harter Tobak mit Gewalt, Drogen, Alkohol und sexueller Belästigung – wird aufgeführt, aber „queerfeministisch“ überarbeitet. Fünf Vorstellungen münden in Rave-Partys. Ein nächtlicher Treff für die queere Community sowie für Theaterfans entsteht. Außerdem gibt’s samt Bewirtung Workshops, Infostände, Tanz, Nachtgespräche. Mit der Lust an Utopien wollen alle zeigen, wie Stadtleben pulsieren kann.

Die Stuttgarter Queer-Aktivistin Ida Liliom spielt mit

Regisseur Christian Müller und sein Team proben für „Liliom – Theater.Rave.Utopie“ im früheren Penthouse, in dem noch schmutzige Gläser auf Theken stehen. Die staubige Patina auf Sitzecken unter hohen Wänden lässt die Vergangenheit spüren, als gebaggert, geknutscht, getanzt, getrunken wurde. Die Theatergruppe hat ein Gitter um den DJ-Pult gebaut und eine Musik- und Lichtanlage mitgebracht – die Discobetreiber ließen von der Technik nichts zurück. Der Blick durch die Glasfront auf den Autoverkehr und die Stadt ist faszinierend.

Die Queer-Aktivistin Ida Liliom, Gründerin der Initiative Queerdenker*, ist eine der Schauspielerinnen. „Viele meiner romantischen Beziehungen wurden vor allem von cis-Männern nicht als ,echt’ anerkannt, sobald sie außerhalb der Heteronorm stattfanden“, sagt die junge Frau mit ungarischen Wurzeln, deren Vorfahren jener Schausteller Liliom ist, der im 1909 uraufgeführten Stück mit seiner Widerlichkeit dargestellt wird. Das Original spielt auf einem Jahrmarkt in Budapest. Für die queerer Korrektur ist die Geschichte in einer Diskothek angesiedelt – das Penthouse passt also perfekt dafür.

Die Wirtschaftsförderung der Stadt hat dem Theater- und Ravekollektiv die Location vermittelt. Beim Rundgang fragt man sich: Warum stehen diese so großzügigen und großstädtischen Räume so lange leer? Könnten da nicht noch mehr Kulturinitiativen, noch mehr Partys rein? Die Eigentümer, heißt es, wollen hier keine Großdisco mehr machen, dafür ist die Zeit wohl vorbei. Solange sie keine Mieter gefunden haben, die zu Marktpreisen einsteigen, haben sie das Penthouse zur Zwischennutzung der städtischen Leerstandbörse anvertraut.

Im Rathaus treibt Zwischennutzungsmanagerin Maike Jakoby kreative Übergangslösungen voran. Auf roomstr.de steht, wo was frei ist für Pop-up. Auf diesem Portal können Eigentümer ihre leer stehenden Räume gebührenfrei anbieten. Mit geringen Investitionen und einfachen Mitteln lässt sich oft viel machen. Je bunter und ideenreicher eine Stadt ist, je weniger leer steht, desto attraktiver ist sie. Der temporäre Tanz im Penthouse ist mehr als Nostalgie.