Der verstorbene Lothar Späth hat zwar viel für Baden-Württemberg erreicht. Aber es gab im Leben des Politikers auch Schattenseiten, die bis heute die CDU belasten, kommentiert Thomas Breining.

Stuttgart - Ein Einzelner kann im globalisierten Weltgeflecht nichts gegen den Gang der Dinge ausrichten. So sagt man immer. Aber das ist falsch. In die Zeit passen muss man schon; es kann einer das Rad erfinden, aber wenn die Umwelt diese Idee nicht begreift, wird er vergessen und ein anderer für dieselbe Leistung 100 oder 200 oder 300 Jahre später gefeiert. Freilich: das Zeug, das Rad zu erfinden, muss man erst mal haben.Und dann auch den Drang und die Energie, seine Vision Wirklichkeit werden zu lassen, sie den Menschen begreifbar zu machen und sie für sich zu gewinnen. Lothar Späth gehört zu denen, die das gekonnt, den Gang der Dinge beeinflusst und somit Geschichte geschrieben haben.

 

Das spürt man gerade heute – 25 Jahre nachdem Späth als Ministerpräsident von Baden-Württemberg aus dem Amt geschieden ist. Man sieht es daran, dass sich all jene, die ganz aktuell darum ringen, eine neue Landesregierung zu bilden, auf Späth, sein Wirken und seine Hinterlassenschaften berufen können. Die Grünen als neue Großpartei im Südwesten würdigen Späths Grenzen sprengenden Innovationsdrang. Er installierte 1987 ein eigenständiges Umweltministerium im Land, anerkennend, dass man sich um die ökologischen Probleme kümmern muss. Die SPD weiß nur zu gut, wie attraktive Politik für die Arbeitnehmer aussieht. Hat Späth doch der Sozialdemokratie die klassische Industriearbeiterschaft abspenstig gemacht und sie in Scharen der CDU zugeführt. Späths undogmatischer Geist – zumal direkt nach der Ära Filbinger – sorgte dafür, dass damals kaum jemand das liberale Element in der Regierung vermisste.

Chef der Baden-Württemberg GmbH

Späths Umtriebigkeit als Vordenker und Gestalter einer „postindustriellen Revolution“ war das Zeitgemäße in jenen späten Siebziger- und in den Achtziger-Jahren des Aufbruchs und Umbruchs. Dass von zehn Ideen neun zerplatzt sind, wiegt nicht so schwer, wenn am Ende der Strukturwandel gelingt und die Wirtschaft unter günstigen Rahmenbedingungen arbeiten kann. Also geschah’s. Niemand wird bestreiten, dass die baden-württembergischen Unternehmen einen allgegenwärtigen Fürsprecher ihrer Belange hatten. Sei es auf Zukunftsmärkten im fernen Asien, sei es in den eigenen Staatsapparat hinein. Nicht umsonst prägte sich in jenen Jahren das Bild von der Staatskanzlei als Chefetage der Baden-Württemberg GmbH.

Späth war ein Identitätsstifter für Baden-Württemberg. Die von ihm angestoßene Kulturpolitik sorgte dafür, dass der Südwesten auch dort und nicht nur im Ökonomischen ganz vorne dabei ist. Die meisten Menschen waren – zumindest heimlich – stolz auf das „Cleverle“. Man galt etwas in Deutschland und in der Welt.

Das Risiko des Charismatikers

War Späth also eine Type, über deren Mangel in der Gegenwartspolitik so sehnsuchtsvoll geklagt wird? Ja das war er, und hier wird auch die Problematik des Späthschen Erbes sichtbar. Das Risiko des Charismatikers ist, dass ihm der Erfolg letztlich doch schadet. Das galt auch für Späth. Sein mangelndes Unrechtsbewusstsein im Kontext der „Traumschiff-Affäre“ legt offen, dass auch er Machtausübung schon als selbstverständlich ansah. Dass sich die CDU als Staatspartei fühlte, ähnlich wie die CSU in Bayern, ist bei drei Alleinregierungen allein unter Späth vielleicht sogar gedanklich nachvollziehbar. Doch bekam da die Nähe der Partei zu den Bürgern Risse, die doch so stolz sein wollen auf ihr Land und ihre Vorleute.

Das vergisst man nicht. Und heute sind – 25 Jahre nach Lothar Späth – die Christdemokraten dafür abgestraft worden, dass sie es immer noch nicht geschafft haben, diese strapazierte Verbindung zu erneuern. Das war kein Problem, so lange andere Parteien nicht mit starken Typen von diesem Mangel zu profitieren verstanden. Doch ist jetzt eine solche Figur nachgewachsen – der Wahlsieger 2016, Winfried Kretschmann.