Vom neuen Louvre-Chef Jean-Luc Martinez werden wahre Wunder erwartet. Seinem Vorgänger Henri Loyrette ist es gelungen, die Zahl der Besucher in einem der größten Museen der Welt auf jährlich zehn Millionen zu steigern.

Paris - Willensstark ist er, eigensinnig bis hin zum Autoritären. Die Kollegen sagen das. Wie sonst hätte es der in einer Sozialwohnung der Pariser  Banlieue aufgewachsene Spross einer spanischen Einwandererfamilie denn auch ganz nach oben bringen sollen, wenn nicht mit außergewöhnlicher Willenskraft, außergewöhnlichem Durchsetzungsvermögen? Denn dort ist Jean-Luc Martinez nun angelangt. Frankreichs Staatschef François Hollande hat ihm die Leitung des Louvre anvertraut, des mit 2000 Angestellten und jährlich rund zehn Millionen Besuchern größten Museums der Welt. Für den 49-Jährigen ist das der Olymp. Höher hinauf geht es für einen Kunsthistoriker, Archäologen und Konservator nicht.

 

Willensstärke war natürlich nicht die einzige Tugend, mit der sich der als Geschichtslehrer ins Erwerbsleben Gestartete für den Posten des „Président-Directeur du Louvre“ empfehlen konnte. Hinzu kam die leidenschaftliche Liebe zur Antike, zu griechischen Skulpturen zumal. Mit fast schon heiligem Ernst grub er als Angehöriger der „Französischen Schule von Athen“ auf Delos und in Delphi nach Kunstschätzen, wachte später im Louvre über die Siegesgöttin Nike von Samothrake und die Venus von Milo.

1997 hatte er dort als Konservator angeheuert, zehn Jahre später die Leitung der Abteilung für griechisches, etruskisches und römisches Altertum übernommen. „Zu einem großen Weisen“ habe es Martinez in dieser Zeit gebracht, sagt einer seiner Weggefährten anerkennend, der Vorsitzende des Vereins der Freunde des Louvre, Marc Fumaroli.

Der Wechsel bedeutet einen Einschnitt

Für das Museum ist der Wechsel an der Spitze ein Einschnitt. Der neue Kapitän soll das Flaggschiff der französischen Museen in ruhigeres Fahrwasser führen. Wo der Vorgänger expandierte, soll der Nachfolger konsolidieren.

Der Vorgänger, Henri Loyrette, hatte die Abteilung „Kunst des Islam“ geschaffen, eine Louvre-Filiale in Lens eröffnet, eine zweite in Abu Dhabi auf den Weg gebracht. Er lieh dem High Museum im amerikanischen Atlanta für 13 Millionen Euro 183 Kunstwerke, verdoppelte daheim in zwölfjähriger Amtszeit die Besucherzahlen. Als „weltoffenen Wissenschaftler und Unternehmer, der das Geld der Gönner anzog und das Museum vortrefflich im Ausland repräsentierte“, hat der Louvre-Mäzen Marc Ladreit de Lacharrière den nach vier Amtszeiten auf eine fünfte verzichtenden Loyrette gepriesen. Was nicht heißen soll, dass der am vergangenen Sonntag feierlich verabschiedete Chef unumstritten gewesen wäre.

Der Spezialist für französische Kunst des 19. Jahrhunderts sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, die Sammlung des Louvre zu verschleudern, vom Glanz des Goldes geblendet bedeutende Werke nach Atlanta oder Lens fortzugeben und den noblen Namen des 1793 gegründeten Museums für drei Jahrzehnte nach Abu Dhabi. Loyrette hat solche Vorwürfe stets zurückgewiesen. Aus seiner Sicht hat er die Wirklichkeit angenommen, wie sie nun einmal ist. Anstatt den nicht mehr so üppig fließenden staatlichen Zuschüssen nachzutrauern, hat er sich nach Kräften bemüht, neue Geldquellen zu erschließen.

Ein altes Fossil wollte Loyrette nicht sein

Erstaunliche Managerqualitäten hat der Kunsthistoriker an den Tag gelegt. So hat er den Scheichs aus Abu Dhabi für das Recht, ihr Museum dreißig Jahre lang Louvre nennen zu dürfen, 400 Millionen Euro abgetrotzt. Zugeständnisse an den Geschmack des Massenpublikums hat er gemacht, das Museum zum Entsetzen der Puristen mit Schildern bestückt, die den kürzesten Weg zur Mona Lisa weisen. Auch hat der im Pariser Nobelvorort Neuilly geborene Sohn eines renommierten Anwalts amerikanischen Sponsoren das Museum für ein Popkonzert mit der Band Duran Duran vermietet. Als Modernisierer bezeichnet zu werden, hat Loyrette einmal gesagt, sei ihm allemal lieber, als im Ruf des alten Fossils zu stehen.

Vom Nachfolger wird nun erwartet, dass er das Erreichte sichert. Martinez solle dafür sorgen, dass der Louvre-Besucher rundum zufrieden – und mit großer Lust wiederzukommen – nach Hause gehe, so lautet der von der französischen Kulturministerin Aurélie Filippetti erteilte Auftrag. Für den Archäologen heißt dies zunächst einmal, das Museum von Taschendieben zu säubern. Immer dreister gehen die meist jugendlichen Täter zu Werke, die als Minderjährige freien Eintritt genießen. Aufseher, die einzuschreiten versuchten, wurden beschimpft und verprügelt. Um auf den Missstand aufmerksam zu machen, trat das Personal am vergangenen Mittwoch in Streik – mit der Folge, dass weder Diebe noch Opfer Einlass fanden und Innenminister Manuel Valls rasche Abhilfe versprach.

Der Neue muss Bestehendes konsolidieren

Taschendieben das Handwerk zu legen, Bestehendes zu konsolidieren, das klingt indes leichter, als es ist. Was Martinez festigen soll, bröckelt nämlich. In Zeiten leerer Staatskassen erhält der Louvre jedes Jahr 2,5 Prozent weniger Subventionen. Für den neuen Leiter bedeutet dies, dass er seinem Vorgänger wohl oder übel wird nacheifern, Neuland betreten, Sponsoren umwerben müssen.

Auch für Martinez heißt es, mit den Reichen und Mächtigen der Welt lockeren Umgang zu pflegen, schnöde Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Außer wissenschaftlichem Ernst hat der Archäologe verführerischen Charme, schillernde Leichtigkeit aufzubringen. Aber jemandem, der es als Sohn einer Hausmeisterin und eines Briefträgers aus den Niederungen des Vorstadtghettos auf den Kunst-Olymp geschafft hat, ist auch das zuzutrauen. Sprachlich ist der neue Chef bestens gewappnet. Außer Latein und Altgriechisch beherrscht er auch moderne Fremdsprachen. Auf Englisch, Spanisch, Italienisch, Deutsch und Japanisch kann er sich ausdrücken. Und was sagen die Kollegen? Wenn er wolle, könne Martinez durchaus liebenswürdig sein, versichern sie.