Akten belegen, dass der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland sehr wohl im Vorfeld über Warnungen informiert worden ist.

Duisburg - Wenige Tage vor dem Großereignis beschlich die Macher ein ungutes Gefühl. Seit neun Uhr vormittags saßen sie jetzt schon im Duisburger Rathaus beisammen, aber unter dem Strich waren mehr Fragen aufgetaucht, als Antworten gefunden worden waren.

Die Fachleute aus unterschiedlichen Ämtern der Stadt Duisburg hatten mit den Experten von Polizei sowie Feuerwehr und natürlich dem Veranstalter, der Lopavent GmbH, debattiert. Vor allem die Vertreter von Lopavent hatten mehr als einmal deutlich gemacht, dass sie ihre Parade am 24. Juli für genehmigungsfähig halten und etliche der den Vormittag über debattierten Einwände nicht nachvollziehen könnten. Die Stimmung war unter anderem deshalb nicht heiter, weil vor allem der Vertreter des Bauamtes gewichtige Einwände vorgetragen und auf fehlende Unterlagen hingewiesen hatte. Der Protokollant wird am Tag darauf festhalten: "Herr Düster teilte mit, dass er noch keine Aussage zum Genehmigungsverfahren machen kann". Obwohl die Loveparade mit rund einer halben Million Menschen schon in neun Tagen stattfinden sollte, konnte das zuständige Dezernat nicht sagen, ob es überhaupt eine Genehmigung geben würde.

Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe scheint diese Stimmung nicht verborgen geblieben zu sein. Obwohl er in diesem Treffen - wie bei zahlreichen anderen Sitzungen vorher schon - massiv darauf hingewiesen hatte, wie politisch wichtig das Großereignis für die Ruhrstadt sei, ist ihm ein Hinweis wichtig, der heute natürlich besonders ins Gewicht fällt. "Herr Beigeordneter Rabe hat nach jedem Vortrag gefragt, ob es Fragen, Anregungen oder Kritik geben würde", heißt es am Tag darauf im Protokoll. "Hier gab es keine Wortmeldung." Heute, zwei Wochen nach der Katastrophe, liest sich dieser Vermerk natürlich unter einem anderen Blickwinkel; erfahrene Verwaltungsleute werten den Hinweis des Beigeordneten als einen Versuch, Verantwortung zu delegieren, weil er offensiv um Kritik gebeten hat.

Heftige Debatten und Streits


Vor allem Rabe taucht in den uns vorliegenden Akten zur Loveparade sehr häufig auf; er hatte innerhalb der Duisburger Verwaltung offenbar die Aufgabe sicherzustellen, dass sie stattfinden kann und dass alle Mitarbeiter der Duisburger Stadtverwaltung in diesem Sinne zu arbeiten haben. "Herr Rabe teilte mit, dass der Ministerpräsident des Landes NRW in der Vergangenheit aber bereits eine Aussage getroffen habe, dass die Loveparade in Duisburg stattfinden sollte", steht im Vermerk vom 20. Oktober 2009. Damals wurde intensiv über die Zugänge diskutiert, es wurde auch infrage gestellt, ob die Zuwege über die Tunnel in der Karl-Lehr-Straße wirklich geeignet seien; also genau jene Stelle, an der sich später das Unglück ereignete. Aus den Dokumenten geht weiter hervor, dass noch im März des laufenden Jahres grundlegende Einwände diskutiert wurden.

Am 2. März stellten die Teilnehmer einer Runde städtischer Experten die Frage, ob die Versammlungsstättenverordnung überhaupt eine geeignete Grundlage für die Genehmigung biete, da sie "eins zu eins" kaum umzusetzen sei. In diesem Gespräch hörte die Runde auch davon, dass der Veranstalter, also die Lopavent GmbH, plane, das Gelände beim Güterbahnhof zu verkleinern, "da die Herrichtung großer Geländeteile zu kostspielig sei". Die Größe des Geländes war nicht unwichtig, weil davon die Teilnehmerzahl abhängt und sie begrenzt wäre, wenn man die Gesetze einhalten wollte. Die Teilnehmer der Runde debattieren ausweislich des Protokolls ausdrücklich über die Rechtsfolgen, sollten sie sich daran nicht halten: "Auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen für die MA (Mitarbeiter) von Genehmigungsbehörden wurde hingewiesen."

Zu diesem Zeitpunkt lag der Stadt ein an Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) persönlich adressierter Antrag auf Genehmigung einer Loveparade am 24. Juli vor. Dem vierseitigen Schreiben war ein vorläufiges Konzept beigefügt, in dem der Veranstalter um den Chef von Lopavent, Reiner Schaller, erläuterte, wie er sich den Ablauf der Parade vorstellte. Um dieses Konzept wurde dann in unzähligen Runden gerungen, und mehr als einmal sah es so aus, als wenn die Einwände stärker als die positiven Argumente waren. In den Tagen vor dem Ereignis eskalierte dieser Streit. Am 14. Juli - zehn Tage vor der Parade - hat das Bauamt Lopavent noch einmal fast ultimativ aufgefordert, noch fehlende Unterlagen endlich einzureichen.

Zehn Tage vorher gab es noch kein Sicherheitskonzept


Es fehlt praktisch alles, was für die Genehmigung benötigt wird, schreibt der zuständige Dezernent: es gibt zu diesem Zeitpunkt weder ein Brandschutz- noch ein Sicherheitskonzept. Am 18. Juli verliert der zuständige Baudezernenten Dressler die Geduld. Er bekommt einen Aktenvermerk vorgelegt, in dem praktisch alle wichtigen Fragen streitig gestellt wurden. Der Veranstalter wollte mehr Menschen auf dem Gelände unterbringen, als gesetzlich zulässig ist, er weigerte sich, die ausreichende Zahl an Fluchtwegen bereitzustellen, und sein Brandschutzkonzept war unzureichend. Obwohl Dezernatskollege Wolfgang Rabe auch hier wieder mitgeteilt hatte, "schließlich wolle der OB die Veranstaltung", lässt sich Dressler davon nicht beeindrucken.

Mit Durchschrift an den Oberbürgermeister persönlich lehnt er jede Verantwortung für die Loveparade ab und hält das gesamte Planungsverfahren für unzureichend. "Ich lehne aufgrund dieser Problemstellung eine Zuständigkeit und Verantwortung ab", schreibt er und fügt hinzu, "dieses entspricht in keinerlei Hinsicht einem geordneten Verwaltungshandeln". Neben seine Paraphe stellt er den ausdrücklichen Wunsch, dass Oberbürgermeister Adolf Sauerland seine Bedenken persönlich vorgelegt werden müssen. Zum gleichen Zeitpunkt stapeln sich auf dem Schreibtisch des Oberbürgermeisters die erneuten Anträge von Lopavent, in denen man ständig nachbessert und zu begründen versucht, warum man bestimmte Auflagen nicht einhalten muss.

In dieser Situation kommt als Gutachter Michael Schreckenberg ins Spiel. Der Physikprofessor der Universität Duisburg ist als Stauexperte für Autobahnen in der Öffentlichkeit bekannt; er ist für Baudezernent Rabe eine Art Lebensversicherung. Schreckenberg, so steht es in einem Vermerk, soll das immer noch fehlende Fluchtwegekonzept "absegnen". Er soll prüfen, ob die Angaben von Lopavent ausreichen. In dem Papier ist die Rede davon, dass er als Sachverständiger auftreten soll und deshalb ein einfaches "Drüberschauen" über das Konzept nicht ausreicht.

Die Parade sollte um jeden Preis stattfinden


In einem anderen Papier bestätigt Ordnungsdezernent Rabe dem Stauforscher Schreckenberg, dass er für seinen "Prüfauftrag für die bestehenden Planungen der Zu- und Abwege sowie des Veranstaltungsgeländes" eine Vergütung von "20.000 Euro (inkl. Mehrwertsteuer)" erhalten soll. Schreckenberg hat danach in der Tat auf die eine oder andere Mail reagiert, einen wirklichen Prüfauftrag will er auf Nachfrage aber nicht erhalten und auch keine Rechnung gestellt haben. In verschiedenen Interviews hatte er gesagt, dass er das Gelände nicht besucht hätte.

So bleibt das Bild einer Stadtverwaltung, die die Veranstaltung um offenbar jeden Preis durchsetzen wollte und dabei viele wesentliche Fragen ausgeklammert oder nicht wirklich beantwortet hat. Ob es im Tunnel, wie von den Experten der Polizei vorhergesagt, zu Problemen kommen könnte, dazu findet sich in den uns vorliegenden Akten kein Hinweis. Die Polizei wurde im Übrigen mit Hinweis auf Professor Schreckenberg besänftigt, er habe ihre Kritik ausgeräumt, hieß es dort. Schreckenberg mag das nicht bestätigen.