Einer der frühesten Vorfahren des Menschen trägt den Namen Lucy. Mit dem Namen wird das am 24. November 1974 im äthiopischen Afar-Dreieck entdeckte Teilskelett eines weiblichen, 3,2 Millionen Jahre alten Individuums der Art Australopithecus afarensis bezeichnet. Eine Spurensuche zum 50. Jahrestag der Entdeckung von Lucy.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Die ersten Ur-Menschen lebten vor mehreren Millionen Jahren. Andere Ahnen von uns entwickelten sich zu den heutigen Menschenaffen. Der Mensch stammt tatsächlich von Affen ab. Aber nicht von heute lebenden Affen, sondern von Affen, die unsere gemeinsame Vorfahren sind.

 

Früher dachte man, Gott hätte den Menschen in nur einem einzigen Tag erschaffen und Adam und Eva seien die Stammeltern der gesamten Menschheit. Heute wissen wir, dass unsere Vorfahren ganz anders aussahen als wir heute. Sie waren am ganzen Körper dicht behaart, hatten eine breiten Mund und wulstige Knochen über den Augen. Bis zum heutigen Menschen war es ein sehr langer Entwicklungsweg.

Addis Abeba: Im Ethnologischen Museum liegt eine Tafel mit Abbildungen der Funde von Lucy, einer 1974 im Afar-Dreieck entdeckten Teilskelett eines als weiblich interpretierten Individuums der Art Australopithecus afarensis. Foto: Imago/H.Tschanz-Hofmann

Evolution – die Entwicklung des Lebens

Vor rund sieben Millionen Jahren verzweigte sich der Stammbaum von Mensch und Affen. Damals gab es noch keinen Ur-Menschen, aber schon Lebewesen, die den heutigen Menschen und Affen ähnlich waren. Ein paar Vertreter dieser Art entwickelten sich und wurden nach und nach zum Menschen. Sie fingen an, aufrecht zu gehen und konnten ihre Hände frei bewegen. Später begannen sie Werkzeuge und Waffen für die Jagd zu basteln. Experten nennen diese Entwicklung von Leben Evolution.

Evolution (vom Lateinischen Verb „evolvere“ – entwickeln) meint die allmähliche Veränderung von vererbbaren Merkmalen einer Population von Lebewesen von Generation zu Generation. Diese Merkmale sind in Form von Genen festgelegt (sogenannter genetischer Code), die bei der Fortpflanzung kopiert und an den Nachwuchs weitergegeben werden.

Rekonstruierter Schädel von Lucy. Foto: Imago/Pond5 Images

Mutationen – Variabilität und Vielfalt

Durch Mutationen – dass heißt, dauerhafte Veränderungen des Erbgutes – entstehen unterschiedliche Varianten dieser Gene (auch Allele genannt) Die genetischen Varianten wiederum können veränderte oder ganz neue Merkmale verursachen.

Die Varianten sowie Rekombinationen – darunter versteht man die Neuanordnung von genetischem Material wie DNA (Desoxyribonukleinsäure oder DNS, englisch für Deoxyribonucleic acid) und RNS (Ribonukleinsäure oder RNA, englisch für Ribonucleic acid) – führen zu erblich bedingten Unterschieden. Daraus entwickelt sich die genetische Variabilität und Vielfalt zwischen Individuen.

Evolution ist nicht zielgerichtet, sie ist immer Zufall. In der Evolutionsgeschichte hat es Lebewesen gegeben, die an eine bestimmte Umwelt besser angepasst gewesen waren und sich deshalb stärker vermehrten als andere, schlechter angepasste, die schließlich ausstarben.„Die Geschichte des Menschen hätte auch ganz anders ausgehen können und vielleicht geht sie ja auch noch anders aus – in der Zukunft.

Nachbildung des Skeletts von Lucy in Adis Abeba. Foto: Imago/Ipon

Stammbusch statt Stammbaum

Wir sprechen heute nicht mehr vom Stammbaum, sondern vom Stammbusch des Menschen, weil man inzwischen weiß, dass die Entstehungsgeschichte von Affen und Mensch ähnlich verzweigt ist wie ein Busch. Irgendwann hatten sich die Ur-Affen dauerhaft auf zwei Beinen aufgerichtet. Das sich das so entwickelte, hat mit Anpassungen an veränderte Umweltbedingungen zu tun. So funktioniert Evolution: Lebewesen passen sich an veränderte Klima- und Lebensbedingungen an.

Möglicherweise hat sich vor einigen Millionen Jahren der Urwald gelichtet, so dass die Affen aufrecht Feinde und Wildtiere besser sehen konnten. Irgendwann konnten die zukünftigen Menschen etwas ganz Besonderes: sprechen.

Die Sprache war ganz wichtig für die menschliche Entwicklung. Kein anderes Tier kann reden und sich so genau über Gedanken und Gefühle austauschen wie der Mensch. Bevor die Menschen sprachen, verständigten sie sich wohl mit Gesten und Lauten – ähnlich wie die Affen heute.

3D-Replik des Lucy-Skelettes. Foto: Imago/Imagebroker

Charles Darwin – Vater der Evolutionslehre

Der Mann, der uns die Augen für die Geheimnisse der Evolution geöffnet hat, war Charles Darwin, ein Theologe und Naturwissenschaftler, der von 1809 bis 1882 in England lebte. Darwin erklärte als erster, wie die unzähligen lebenden und ausgestorbenen Arten auf der Erde entstanden.

Mit 22 Jahren ging er auf Reisen und fuhr mit dem Forschungsschiff Beagle fünf Jahre lang um die Welt. Dabei beobachtete er Tiere und sammelte Tausende Pflanzen, Insekten und Knochen. Ihm fiel auf, dass viele Pflanzen und Tiere perfekt an ihre Umwelt angepasst waren.

Eine Erstausgabe von Charles Darwins Buch „The Origin of Species“ von 1859 im Londoner Natural History Museum. Das Opus Magnum des Vaters der Evolutionslehre ist einer der bedeutendsten Meilensteine in der Wissenschaftsgeschichte. Foto: AFP

1859 veröffentlichte er nach zwei Jahrzehnten des Forschens ein Buch, das zu einem der wichtigsten naturwissenschaftlichen Schriften überhaupt wurde: „The Origin of Species“ – „Über die Entstehung der Arten“. In ihm stellte er die Überlegung auf, dass alle Lebewesen auf gemeinsame Vorfahren zurückgehen.

Der Mensch – ein klügerer Affe

Diese veränderten sich im Laufe von Hunderten von Millionen Jahren mehr und mehr, bis sich die verschiedenen Lebewesen herausbildeten. Darwin behauptete darin auch, dass Mensch und Affen einen gemeinsamen Ahnen gehabt haben könnten, von dem aus sie sich in zwei verschiedene evolutionäre Richtungen entwickelt hätten.

Im Tierreich gehört der Mensch zur Gruppe der Menschenaffen. Das Erbgut von Mensch und Schimpanse ist zu 98,6 Prozent identisch. Demzufolge ist der Mensch ein etwas klügerer Affe.

Australopithecus afarensis

Alle frühen Funde von Urmenschen stammen aus Ostafrika. Deshalb glauben Paläoanthropologen, dass die Gattung Homo in Afrika – der Wiege der Menschheit – ihren Ursprung hatte und sich von dort über den gesamten Globus ausbreitete. Diese Hypothese wird auch als „Out-of-Africa-Theorie“ bezeichnet.

Einer der frühesten Vorfahren des Menschen trägt den Namen Lucy. Mit dem Namen wird das 1974 im äthiopischen Afar-Dreieck entdeckte Teilskelett eines weiblichen Individuums der Art Australopithecus afarensis bezeichnet. Lucy war vermutlich etwas größer als ein Meter.

So könnte Lucy ausgesehen haben. Foto: Imago//Dreamstime

24. November 1974: Lucys Entdeckung

Lucy wurde am 24. November 1974 in Hadarin Äthiopien von Donald Johanson entdeckt, der an diesem Tag in Begleitung des Post-Doktoranden Tom Gray am Fundort 162 unterwegs war. Am Hang einer Senke wurde zunächst „das Fragment eines hominiden Arms“ und kurz darauf „die Rückseite eines kleinen Schädels“ sowie in unmittelbarer Nähe das Bruchstück eines Oberschenkelknochens aufgefunden.

Als man am Abend dieses Tages die zusätzlichen Funde im Forschercamp katalogisierte, wurde wiederholt die Beatles-Tonkassette Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band vom Kassettenrekorder abgespielt, auf der unter anderem der Song „Lucy in the Sky with Diamonds“ enthalten war. Zunächst spaßhaft gemeint, wurde die Bezeichnung Lucy rasch auch außerhalb des Camps zur üblichen Abkürzung für den Fund.

Als man die Knochenreste von Lucy fand, haben Forscher zum ersten Mal nachweisen können, dass der Ursprung der Menschheit mehr als drei Millionen Jahre zurückliegt. Es sind viele Einzelteile an diesem Skelett erhalten. Sonst findet man nur einzelne Zähne oder einen Armknochen. Lucy war das erste fast vollständige Skelett, das man gefunden hat. Das Fossil wurde schließlich auf ein Alter von 3,2 Millionen Jahren datiert.

Der Originalfund umfasst diese Fragmente des Skeletts von Lucy. Foto: Imago/Kena Images

Der Neandertaler

Auf der Erde lebt heute nur noch eine Art Mensch, zu der wir alle gehören: der „Homo sapiens“ (lateinisch: der weise Mensch). Aber viele Tausend Jahre lang lebte in Europa und im vorderen Teil von Asien eine ganz anderes Exemplar: der Neandertaler.

1856 wurden in einem Tal bei Düsseldorf Knochenreste von ihm gefunden. Sie verraten sehr viel über ihn und seine Lebensweise: Der Neandertaler war sehr kräftig und hatte stärkere Knochen als wir. Er war etwas kleiner, kompakter gebaut und bastelte sich schon Waffen für die Jagd. Vielleicht konnte er sogar sprechen.

So könnte eine Neandertalerin vor 75 000 Jahren ausgesehen haben. Foto: © BBC Studios/Jamie Simons

Neandertaler und Homo sapiens

Später kam dann auch der „Homo sapiens“ nach Europa und Vorderasien. Einige Tausend Jahre lebten beide Menschentypen in den gleichen Gegenden. Vermutlich begegneten sie sich.

Aber was passierte dann? Haben sie miteinander gesprochen, einander bekämpft oder sich vielleicht sogar gepaart? Heute glauben Forscher: Es gab damals tatsächlich gemeinsame Kinder von Neandertalern und modernen Menschen. Sie vermuten sogar, dass die allermeisten Menschen Erbgut von Neandertalern in sich tragen. Die Neandertaler starben vor etwa 30 000 Jahren aus.

Als 1856 Knochen vom Neandertaler gefunden wurden, glaubten die Menschen noch an die biblische Schöpfungsgeschichte. Neandertaler sind uns ein mahnendes Beispiel. Sie waren eine sehr gut an ihrem Lebensraum in Europa angepasste Menschenart. Und doch sind sie ausgestorben – wahrscheinlich aufgrund eines Klimawandels.