In einem Ludwigsburger Altenheim ist ein dementer Bewohner mit seinem Rollstuhl eine Treppe herunter gefahren. Er konnte er den Sturz in die Tiefe aufhalten, verletzte sich aber. Jetzt steht die Pflegerin vor Gericht.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Weil sie nach einem Unfall die Verletzungen eines Heimbewohners ignoriert haben soll, muss sich seit Freitag eine Altenpflegerin vor dem Ludwigsburger Amtsgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft der 40-Jährigen unterlassene Hilfeleistung vor. Die Pflegerin weist dies zurück.

 

Der 78-jährige Bewohner war im November 2011 mit seinem Rollstuhl das Treppenhaus eines Ludwigsburger Altenheims heruntergefahren. Trotz seiner Demenz gelang es ihm, sich nach wenigen Stufen am Geländer festzuhalten und den Sturz aufzuhalten – wobei er sich einen Finger brauch und Blutergüsse im Gesicht zuzog. Die Pflegerin habe diese schmerzhaften Verletzungen bagatellisiert und versäumt, rechtzeitig einen Arzt einzuschalten, so der Staatsanwalt.

Der Bewohner ist mit dem Rollstuhl die Treppe hinab gefahren

Die 40-Jährige hatte an dem Samstagnachmittag, als sich der Vorfall ereignete, die Aufsicht im dritten Stock des Heims. Ein anderer Bewohner habe sie alarmiert, „dass da ein Mann im Treppenhaus hängt“, berichtete sie vor Gericht. Sie sei sofort mit einer Kollegin ins Treppenhaus gerannt. Der Rollstuhl sei glücklicherweise am Geländer hängen geblieben, weshalb sich der 78-Jährige habe festhalten können.

Die Frauen zogen ihn wieder hoch und brachten ihn ins Bett. Die 40-Jährige erklärte, sie habe den Körper untersucht und bis auf eine kleine Einblutung am Auge keine Verletzungen entdeckt. „Er klagte auch nicht über Schmerzen.“ Auch am folgenden Tag seien zunächst keine Wunden erkennbar gewesen.

Am Sonntagnachmittag kam die Tochter des Bewohners zu Besuch – und fand ihren Vater wimmernd, mit stark geschwollener Hand und blutunterlaufenem Auge im Bett. So jedenfalls schilderte sie dem Richter die Szene. Als sie die Pflegerin mit den Verletzungen konfrontierte, soll diese geantwortet haben: „Ich weiß genau, dass da nichts gebrochen ist.“

Die Tochter vereinbarte für Montag einen Arzttermin, bei dem ein Bruch des Mittelfingers diagnostiziert wurde. Ihr Vater könne die Hand seither praktisch nicht mehr benutzen, sagte sie.

Das Seniorenheim hat die Pflegerin nach dem Vorfall entlassen

Die Pflegerin wurde nach dem Vorfall fristlos entlassen. Vor dem Arbeitsgericht einigte sie sich später mit dem Seniorenheim auf eine fristgerechte Kündigung inklusive Abfindung. Auch die ehemalige Kollegin, die damals mit ihr den Rollstuhl wieder hochgezogen hatte, wurde jetzt als Zeugin befragt – und entlastete die 40-Jährige. „Es waren wirklich keine Verletzungen zu sehen, überhaupt nichts.“

Am nächsten Verhandlungstag muss nun ein Rechtsmediziner klären, ob es möglich ist, dass die Blutergüsse und Schwellungen erst mit deutlicher Verzögerung aufgetreten sind. Die Frage, wie es überhaupt zu dem Unfall kommen konnte, wurde bislang lediglich am Rande erörtert.

Für den Bewohner galten damals offenbar keine Einschränkungen, das heißt, er durfte sich frei in dem Heim bewegen. Offenbar ist er mit dem Rollstuhl durch eine Tür gefahren und so ins Treppenhaus gelangt. Er selbst kann nicht befragt werden, weil die Demenz inzwischen zu weit vorangeschritten ist. Er lebt heute in einem anderen Seniorenheim.