Annett Louisan wickelt ihr Publikum bei der Visite im Scala um den kleinen Finger – und lässt es dann auch dran baumeln. Sie bemüht die Süße der Welt und dann mit bitterbösen Beobachtungen aufzuwarten.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Ludwigsburg - Ach ja. Vielleicht ist alles doch nicht so schlimm da draußen in der Welt, in der komplizierte Frauen immer wieder an komplizierte Männer geraten, die Thorsten Schmidt oder so ähnlich heißen und eine Erinnerung an eine unsägliche Affäre sind. Es kann schließlich auch dort ganz kuschelig sein, wo Menschen großes Theater spielen und dabei doch nur um sich selbst kreisen. Die Sängerin Annett Louisan jedenfalls hat ihren ganz persönlichen Ausweg aus dem Wahnsinn gefunden. Und der ist offenbar stark mehrheitsfähig, deutet man die Publikumsreaktionen (riesiger Rosenstrauß und schon vom dritten Song an versunken tanzende Frauen am Bühnenrand).

 

Sie lässt sich selbst als Geist aus der Flasche

Louisans Vorschlag zur Weltflucht: öfter mal den Geist aus der Flasche lassen. Denn sie ist so selbst etwas wie ein Flaschengeist. Nur dass die Frau mit der zartsüßen Stimme und den bitteren Wahrheiten nicht die Dienerin eines allmächtigen Herren ist. Sie beherrscht die Kunst des Entkorkens ganz selbstständig und mit viel selbstbewusster Raffinesse. Mal ist sie die bezaubernde Annett aus der Flasche, mal die Frau am Korken – gemäß ihres Mottos: „Ich will doch nur spielen.“

Das Wechselspiel klappt, weil Annett Louisan selbst sich nicht bierernst nimmt. Schön darf man schon sein, so wie sie. Verführerisch auch. Mit jeder Faser ihres Körpers ist die 35-Jährige auf der Scala-on-Tour Bühne in der Waldorfschule Weib. Doch sie geht mit diesem aufreizenden Ich wohldosiert um. Zu diesem koketten Spiel mit sich und ihrem Publikum gehört auch, dass sie irgendwann die Highheels abstreift, um für ein Lied barfuß zu singen. Was für ein Moment! Man sieht ihre Fußnägel, wenn man genau hinschaut. „Es ist mein erstes Konzert in Ludwigsburg“, hat sie zuvor gesagt, „wir kennen uns doch noch gar nicht so gut.“ Das klingt, als böte sie einem dennoch das Du an. Und schon hat sie ihr Publikum dort, wo sie es haben will. Sowohl Männer als auch Frauen, die hier auch oft als Paar auftreten, schmelzen dahin. Es ist doch auch schön, sich mal hinzugeben.

Hier meint es eine gut mit ihrem Publikum

Und Annett Louisan schaut fast verschreckt von so viel Zuneigung. Dabei bricht sie doch ständig mit der süßen Welt des Kitsches. Aber die ineinander vergrabenen Paare („Ich habe eine Pärchenallergie“) stört’s nicht. Die Hand bleibt auf ihrem Knie. Hier in der Halle ist es warm. Hier meint es eine gut. Und draußen ist es ohne Annett Louisan wahrscheinlich wieder ganz schön garstig.