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as hat die Zukunft Ludwigsburgs mit einem alten Schloss und der Stadtgründungsfeier zu tun? Offenbar jede Menge, wie die Nachhaltigkeitsexpertin der Bundesregierung Marlehn Thieme meint.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Ludwigsburg - Es steht noch immer an derselben Stelle, trotz des täglich vorbeiströmenden Verkehrs, und juckt sich nicht am Zeitgeist – was gibt es Beständigeres als das Ludwigsburger Barockschloss? Den Zweiten Weltkrieg hat es unversehrt überstanden, weshalb es sich nun zusammen mit Versailles rühmen darf, eine der besterhaltenen barocken Schlossanlagen zu sein. Da könnte man fast ganz neuzeitlich von Nachhaltigkeit sprechen.

 

Und das taten anlässlich der Feier zur Wiederkehr der Stadtgründung auch einige. Denn nicht nur das Schloss ist ein echtes Pfund, mit dem die Stadt wuchern kann. Dieses Jahr sind es auch schon zehn Jahre, in denen sich Ludwigsburg auf den Weg der Nachhaltigkeit begeben hat. Ganz vorn mischt es da bundesweit mit, wenn es um die nachhaltige Stadtentwicklung geht, zu der nicht etwa nur das behagliche Einrichten in der Gegenwart gehört, sondern auch der Blick in die Zukunft kommender Generationen – und jede Menge Bürgerbeteiligung.

Stadtgründungsfeier als Architektur der Gemeinsamkeit

Und das ist dann schon der Knackpunkt, weswegen das Schloss vielleicht vom Grundgedanken nicht als ganz so nachhaltig gelten darf. Denn gefragt hat keiner, ob es erbaut werden sollte. Da gab es keine Zukunftskonferenz auf unbebautem Acker. Da soll es hin, entschied der adlige Chef, ließ planen – und danach einen Grundstein legen. Die Tatsache, dass sich die Bürger jedes Jahr feierlich dieses Aktes erinnern, stufte Marlehn Thieme, die Vorsitzende des Rates für Nachhaltigkeit der Bundesregierung, in ihrer Rede am Freitagabend dann aber als Gemeinschaft stiftende Geste ein, als eine Rückversicherung auf das Bestehende. Thieme nannte die Stadtgründungsfeier einen Teil der Architektur einer nachhaltigen Entwicklung. Demokratie, so sagte Thieme, brauche eine aktive Bürgergesellschaft und Bürgerengagement, „das sich auf kommunaler Ebene, nicht nur auf Parteiebene formulieren muss“.

Eine Stadt in der Größe Ludwigsburgs ist dafür aus Sicht Thiemes geradezu ideal. Hier lasse sich eine Architektur entwickeln, die das Gemeinsame als Kon-struktionsplan entstehen lasse, der dann in Entwürfen für Projekte und Konzepte zum Rohbau des Gemeinsamen werde. Thieme attestierte Ludwigsburg die dafür nötige Vielfalt und die Freiräume ebenso wie viel Verbindendes und Überblickendes. Und weil der Prophet im eigenen Land ja oft nicht so viel gilt, hob sie ausdrücklich Werner Spec als einen von 27 Oberbürgermeistern hervor, die sich seit 2010 im bundesweiten Dialog „Nachhaltige Stadt“ als Vorreiter für eine kommunale Nachhaltigkeitspolitik einsetzen. So gab es fast einen zweiten Geehrten an diesem Abend.

Bürgermedaille für Hermann Aigner

Denn zur Tradition der Stadtgründungsfeiern gehört auch die Ehrung mit der Bürgermedaille der Stadt. Die bekam dieses Jahr der Buchhändler Hermann Aigner. Dessen Buchhandlung ist zwar mit etwas über 200 Jahren nicht ganz so alt wie das Schloss, aber auch sie trotzte so manchen Stürmen des Lebens. Spec hatte nachschauen lassen und konnte in seiner Laudatio die stolze Zahl von über 500 Lesungen in 60 Jahren nennen. Auch sonst hat sich der mittlerweile 82-jährige Aigner in so manchem Verein und vielen Initiativen engagiert. Auf diesem Feld kam die oberbürgermeisterliche Addition auf eine Zahl über 30. Die Wiederbelebung der Venezianischen Messe etwa geht auf Aigners Idee zurück. Der Geehrte bedankte sich in Gedichtform – und reimte unter Gekicher der Zuhörer „Spec“ auf „stets“. Der hatte zuvor jeden Einzelnen in die Pflicht genommen, der als Wähler und Verbraucher sein Plazet zur Weichenstellung in Politik und Wirtschaft gebe. Überflüssig zu sagen: auch in diesem Jahr endete die Stadtgründungsfeier pünktlich um 23 Uhr mit dem kollektiven Absingen des Liedes der Schwaben – der Rückversicherung auf Gemeinsamkeiten. Den Kitt, der alles zusammenhält.