Xenia Busam lässt ihre Zuhörer in die Welt von Hexen, Drachen und Elfen abtauchen. Sie will sie mit Spannung fesseln und erheitern – und eine andere Sicht auf die Dinge bieten.

Ludwigsburg - Xenia Busam wirkt auf den ersten Blick nicht gerade wie jemand, der in anderen Sphären schwebt. Sie trägt einen schwarzen Kapuzenpulli und Jeans, antwortet geradeheraus auf Fragen und scheint insgesamt sehr bodenständig zu sein. Dabei ist ihr Job alles andere als ein etabliertes Metier: Die 46-Jährige erzählt Märchen. Und zwar für Erwachsene. Um diese in ihre Zauberwelt abtauchen zu lassen, spricht sie von Hexen und Drachen, von Elfen und anderen Fabelwesen. Nur eins ist tabu: Die Märchen der Gebrüder Grimm.

 

Eigentlich hatte Xenia Busam mit Märchen nie viel zu tun – außer, dass sie diese als Kind gern las. Xenia Busam wollte Lehrerin werden und schulte später auf Erwachsenenpädagogik und Coaching um. Eines Tages fragte eine Freundin, ob sie mit ihr zusammen eine Ausbildung zur Märchenerzählerin machen wolle. Sie willigte kurzerhand ein. Zwei Jahre lang besuchte sie jeweils an Wochenenden Seminare zur psychologischen Deutung der archaischen Geschichten, machte Sprach- und Atemübungen und lernte die passende Gestik und Mimik für Märchen.

Nicht nur Kinder wollen der Erzählerin zuhören

Dann passierte erst einmal nicht viel. Busam trat ab und zu bei Veranstaltungen für Kinder auf und ging ansonsten ihrem Beruf nach. Doch dann kamen die Anfragen. Immer mehr Menschen wollten der Märchenerzählerin zuhören – längst nicht nur Kinder. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass mir das Erzählen vor Erwachsenen mehr liegt“, sagt Busam. Seit einigen Jahren biete sie deshalb kaum noch Veranstaltungen für Kinder an – dafür umso mehr für Erwachsene. Vor allem in der Vorweihnachtszeit ist die Ludwigsburgerin gefragt: Fünf Termine in der Woche sind keine Seltenheit.

Oft wird Xenia Busam privat gebucht: bei Familienfeiern, runden Geburtstagen oder Firmenfesten sind ihre Geschichten über Helden, Zwerge und Ungeheuer offenbar ebenso gefragt wie in sozialen Einrichtungen oder bei Veranstaltungen der Stadt. Auch spezielle Stadtführungen bietet die Pädagogin an. Erfahrungsgemäß seien Frauen Märchen gegenüber aufgeschlossener, sagt Busam. Aber auch bei den Männern komme sie nach einer anfänglichen Abwehrhaltung oft doch noch ans Ziel: „Ich will, dass die Leute richtig in die Geschichte versinken und den Alltag komplett ausblenden können.“ In erster Linie wolle sie eine gute Unterhaltung bieten.

Märchen haben eine besondere Kraft

Doch das ist nicht alles. Busam glaubt, dass Märchen eine besondere Kraft haben. Sie könnten die Menschen durch ihre archaischen Bilder und die mal mehr, mal weniger verklausulierte Moral zum Nachdenken anregen. Inzwischen nutze sie Märchen deshalb auch in ihrer Arbeit als Coach. Denn wenn die Geschichte zur persönlichen Situation passe, könne man sich in der ein oder anderen Figur wiedererkennen – und aus der Distanz heraus analysieren. Das sei auch in der Pädagogik oft ein sinnvoller Ansatz: Erst jüngst habe sie einen Kurs für Sozialarbeiter gegeben, die mit gewalttätigen Männern arbeiteten und sich einen besseren Zugang erhofften.

Busam ist nicht auf eine bestimmte Märchenart festgelegt. Sie erzählt uralte Geschichten, neuere Versionen und eigene Kreationen. Sie bedient sich an Überlieferungen aus aller Welt, aus Asien ebenso wie aus Afrika oder Amerika. Nur die Geschichten der Gebrüder Grimm rührt sie nicht an: Sie sind aus ihrer Sicht zu perfekt. „Sie haben so eine wunderschöne Sprache, dass man sie Wort für Wort auswendig erzählen müsste“, findet Busam. Das aber liege ihr nicht. Sie merke sich stets nur die „inneren Bilder“ der jeweiligen Geschichte und erzähle dann frei. Je nach Bedarf schmücke sie die Handlung mehr oder weniger aus.

Märchen können grausam sein – oder auch nicht

Die situationsabhängige Gestaltung ist der 46-Jährigen wichtig – insbesondere, wenn sie doch mal vor Kindern auftritt. „Viele behaupten, Märchen wären grausam, aber es kommt immer darauf an, wie man sie erzählt“, betont Busam. Sie sei durchaus in der Lage, eine Hexe sehr böse erscheinen zu lassen – sie könne ihr aber auch einfach wenig Beachtung schenken. Deshalb beobachte sie ihr Publikum immer sehr aufmerksam: Bei Kindern sei die Stimmung sehr leicht zu erraten. Aber inzwischen erkenne sie auch bei den Erwachsenen, ob sie ihren Erzählstil anpassen müsse oder nicht: „Ich sehe das an den Augen.“

Geschichten im Fokus

Berufe:
Xenia Busam ist nicht nur Märchenerzählerin. Sie bietet auch Seminare zu Themen wie Moderation, Präsentation und Kommunikation sowie individuelles Coaching an. Bei Bedarf integriert sie auch Märchen in ihre Kurse.

Ausbildung:
Busam hat ihre Ausbildung zur Erzählerin am Märchenzentrum DornRosen in Nürnberg absolviert. Die Einrichtung, die als Verein organisiert ist, bietet neben der umfassenden Ausbildung zum Märchenerzähler auch verschiedene Wochenend- und Tagesseminare zu dem Thema an.