Mit Höhe hat Wolfgang Danner kein Problem. Der 82-Jährige wollte 1992 unbedingt ins Marstallcenter ziehen und wohnt dort im zwöften Stock. Für ihn ist der Bau architektonisch gesehen ein modernes Neuschwanstein.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Ludwigsburg - Wenn Wolfgang Danner Besuch bekommt, der noch nie bei ihm war, verabredet er sich gerne unten am Farbenladen gleich um die Ecke und holt den Gast dort ab. Unten, das ist die Ludwigsburger Unterstadt. Die Treppenhäuser des Marstallcenters und die Fahrstühle sind nicht von überall für jedermann zugänglich. Oder zumindest muss man genau wissen, wo der Einstieg in den Moloch Marstallcenter ist. Und so braucht man Wolfgang Danner als Scout, um hoch hinauf in den zwölften Stock des Wohnturms zu kommen.

 

Denn es gibt für diesen Aufstieg neben den Treppen auch Fahrstühle, die nur mit einem Extra-Schlüssel funktionieren und für die Öffentlichkeit somit nicht zugänglich sind.

Das Marstallcenter als modernes Neuschwanstein

Der Gebäudekomplex, der das Ludwigsburger Stadtbild seit seiner Fertigstellung im Jahr 1973/74 prägt wie sonst nur noch das ihm quasi in Blickkontakt stehende Residenzschloss und vielleicht noch das Krankenhaus, ist Wolfgang Danner zur Heimat geworden. Auch wenn manche das Marstallcenter nur als Schandfleck in der Stadt betrachten. Bevor er hier zusammen mit seine Frau eingezogen ist, betrieb Wolfgang Danner als Küchenchef das Restaurant „Kaiserhalle“ an der Friedenskirche, etwa 300 Meter Luftlinie entfernt. Jetzt lebt und genießt er hier seinen Ruhestand. Seit fünf Jahren allerdings alleine. Da ist ist seine Frau gestorben.

Wolfgang Danner lebt seit 1992 in dem Haus, das dort steht, wo einmal der Marstall mit den Pferden stand. Der 82-Jährige will hier nie mehr weg. Gespannt wartet er schon auf die Zeit, wenn die Geschäfte wieder öffnen und er zum Einkaufen mit dem Fahrstuhl nur ein paar Stockwerke nach unten fahren muss. Barrierefrei. „Das ist mein Altersruhesitz“,sagt er und schiebt eine verklausulierte Liebeserklärung an das Gebäude mit seinen 201 Wohnungen nach. Das sei das moderne Neuschwanstein habe ein Architekt gesagt, der es ja eigentlich wissen müsse.

Erhöhte Lage über dem Häusermeer

Wie das Gebäude, in dem er wohnt, von außen aussieht, muss ihn ja auch gar nicht interessieren. Das ist eher Thema bei Diskussionen in der Stadt. Für Danner zählt die erhöhte Lage über dem Häusermeer. Als er hörte, dass eine Wohnung frei werde, rief er den Besitzer an. Ein paar Stunden später saß er mit dem Verkäufer beim Notar. Da hatte Danner sein zukünftiges Domizil noch nicht einmal besichtigt. Aber er war wild entschlossen, im Marstallcenter einzuziehen. Er kaufte die Idee, in den Wolken zu leben.

Unter seinem Balkon liegt der Holzmarkt. Aber viel imposanter breitet sich kurz dahinter der Marktplatz aus. Danner findet es wunderbar, mitten in der Stadt zu leben. Und hätte es eines Arguments bedurft warum, dann wäre es dieser Blick. Im Wohnzimmer im zwölften Stock steht ein großes Fernrohr. „Ich muss ja schließlich wissen, wie die Kartoffelpreise auf dem Markt sind“, witzelt Danner. Wenn er beim Durchschauen Bekannte entdecke, „dann laufe ich los, um sie zu treffen“.

Eine Stadtführung von oben

Aber wer die Stadt kennenlernen will, braucht gar nicht wieder runterfahren. „Ich kann Ihnen auch eine Stadtführung von oben geben“, sagt der Mann, der seit einigen Jahren zur Garde der Schloss- und Stadtführer gehört. Wohlgemerkt der mehrsprachigen. Englisch hat er sich morgens vor der Arbeit im Telekolleg im Fernsehen angeeignet. Und französisch spricht er, weil er in jungen Jahren in der französischsprachigen Schweiz gearbeitet hat. „Das da hinten ist der Salonwald. Die Häuser am Marktplatz waren die ersten in der Stadt“, sagt er und zeigt auf die Gebäude. Danner kennt die Stadt aus dem Effeff. „Ab 23 Uhr ist es ganz ruhig“, sagt er. Dann, wenn sich keine Flugzeuge mehr über den Himmel schieben.

Der Blick auf die Stadt ist atemberaubend. Wahrscheinlich macht er süchtig. Den Gang zum Notar hat Danner nie bereut. Die Tauben lassen ihn in Ruhe. Und runtergefallen sei ihm vom Balkon auch noch nichts, sagt er. Bis auf ein Mal. Da landete die Brille seiner Frau auf dem Balkon einen Stock tiefer – aber niemand kam auf die Idee, sie dort zu suchen. Danner schaut die zwölf Stockwerke nach unten und entdeckt sofort einen Hausbewohner, dessen Geschichte er erzählt. Man kennt sich hier. Ein flaues Gefühl im Magen bekommt er beim Blick in die Tiefe nicht. Höhe ist für ihn das Größte. „Ich bin schon mit allem geflogen außer Fallschirm und Drachen“, sagt er. Was sind da schon zwölf Stockwerke?