Unter dem Markennamen decor filum näht Hannah Deuss historisch detailgetreue Gewänder für Film- und Bühnenproduktionen. Aber auch Privatleute können die Kleidungsstücke der 34-Jährigen ausleihen.

Ludwigsburg - Wenn Hannah Deuss Nadel und Faden in die Hand nimmt, ist sie in ihrem Element. Doch die 34-Jährige näht damit keine Knöpfe ans Hemd von der Stange, sondern an ein Frührenaissance-Kleid oder ein Sakko aus den 20er-Jahren. Denn die Maßschneiderin fertigt historisch detailgetreu gearbeitete Gewänder aus praktisch allen Epochen der Menschheitsgeschichte. Die verkauft sie an Darsteller von Mittelalterfesten oder verleiht sie an Film- und Bühnenproduktionen. Aber auch jedermann oder -frau kann sich einen ausgefallenen Zwirn oder ein Abendkleid bei ihrem Unternehmen decor filum ausleihen.

 

„Ich habe schon immer genäht“, sagt Deuss. Ihr Atelier im Ludwigsburger Getrag-Gebäude zeugt von dieser Leidenschaft: Schränke voller Stoffe, ganze Schubladen mit Knöpfen und Garnen in allen Farben des Regenbogens. Die Begeisterung für Textilien und die erste Nähmaschine hat die 34-Jährige von ihrer Großmutter geerbt, die ebenfalls Schneiderin war.

50 Stunden Arbeit für ein Wams

Gerade hat die gebürtige Ölbronnerin (Enzkreis) ein Brautpaar eingekleidet, das historisch angehaucht in Schwarz-Silber zur Trauung schreiten wollte. Nun ist das Wams eines Landsknechts dran, der mit einer Fechtgruppe auftritt. Rund 50 Stunden wird die Schneiderin daran arbeiten. Abgerechnet wird auf Stundenbasis. Es sei denn, man möchte ein Kleidungsstück nur ausleihen, was bei decor filum ebenfalls möglich ist. Zwar läuft der Verleih noch auf Anfrage. Alle Kleidungsstücke zu katalogisieren, ist eine der nächsten Aufgaben, die sich die Jungunternehmerin im zweiten Jahr vorgenommen hat.

Die meisten ihrer Kleidungsstücke haben ihre historischen Vorbilder im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Doch die Lücken zu den anderen Epochen schließt Deuss nach und nach, so dass auch ein Paar, das auf eine 70er-Jahre-Party eingeladen ist, in ihrem Fundus fündig wird.

Schon während dem Studium hatte Hannah Deuss die ersten Textilien der Marke decor filum genäht. „Alles, was ich mache, hängt mit Fäden zusammen“, begründet die Schneiderin, warum sie sich den lateinischen Begriff für schöner Faden als Firmennamen wählte. Seit der Gründung ihres Unternehmens laufen die Aufträge regelmäßig ein: Ein Märchenerzähler benötigte für seine Auftritte erst einen Mantel für die Geschichten mit Happy End. Jetzt fertigt Deuss ihm einen dunklen Umhang für die traurigen Geschichten. Gerade erst hat sie den Zuschlag für ein besonders spektakuläres Gewand erhalten: Für das Peter-und-Paul-Fest in Bretten schneidert Deuss ein Königsgewand für Heinrich VIII., der auf Gemälden stets besonders prunkvoll porträtiert wurde. Genauso prunkvoll soll ihr Stück werden.

Gewänder sollen leinwandtauglich sein

Je nach Anlass und Preisvorstellung bietet Hannah Deuss hochwertige oder einfach gearbeitete Kostüme an, auf Wunsch komplett von Hand genäht. „Mein Anspruch an die historischen Gewänder ist, dass sie leinwandtauglich sind“, sagt sie. Denn zwischendrin arbeitet Deuss auch für Filmproduktionen. Die Darsteller zweier Werbespots und eines Kurzfilms trugen bereits ihre Kleider. Bei den Vorbereitungen zur 800-Jahr-Feier der Stadt Winnenden (Rems-Murr-Kreis) übernahm sie die Kostümberatung.

Wie sehr Kleider Leute machen, sieht die Schneiderin bei jeder Anprobe: „Es ist unglaublich, wie sich Körperhaltung, Gestik und Mimik verändern“, sagt Deuss – nicht nur, wenn Frau in einem Korsett oder Mann in einer Uniform steckt. Oft ziehe man auch im Alltag etwas mit dem Gedanken an, „damit geht es mir gleich besser“. Für die Modefachfrau ist das der „Schuhkaufeffekt“. Den kann man sich bei ihr übrigens sparen: Zu leihen gibt’s auch Schuhe – bis hin zu ganz zeitgenössischen, kniehohen und metallbesetzten Dominastiefeln.