Früher hat man Gewaltankündigungen oft einfach ignoriert. Heute geht das nicht mehr, wie zwei aktuelle Fälle in Schulen in Ludwigsburg zeigen.

Ludwigsburg - Das Jahr hat kaum begonnen, und dennoch ist die Polizei schon zwei Mal ausgerückt, um Schulen und Schüler in Ludwigsburg zu beschützen: Im Januar hatte eine 16-Jährige in der Hirschbergschule „Heute Amoklauf“ an eine Toilettenwand gekritzelt, im Schulzentrum West hat ein 42-Jähriger am Donnerstag zwei Schulleiter und Schüler bedroht.

 

Immer häufiger werden in der Region Fälle bekannt, in denen Unzufriedene andere Menschen in Angst und Schrecken versetzen (siehe „Ein Blick in die Region“). Ob die Zahl der Drohungen tatsächlich zunimmt, oder ob sie nur schneller angezeigt werden, weil die Öffentlichkeit sensibilisiert ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Forscher vermuten aber, dass die vielen Medienberichte über das Thema jugendliche Trittbrettfahrer motivieren. Manche betrachteten eine Amokdrohung als Jux, andere lebten Aggressionen aus, ohne aber tatsächlich gewalttätig zu werden, sagt der Berliner Psychologieprofessor Herbert Scheithauer. „Ihnen fehlt das Gespür dafür, was sie anderen Menschen damit zumuten, und sie können die Folgen oft nicht abschätzen.“

Polizei wird alarmiert – auch wenn die Gefahr gering ist

Die Gefahr, dass tatsächlich etwas passieren würde, war in Ludwigsburg zwar gering. Doch Polizei und Schulleitungen wollten kein Risiko eingehen. Nicht nach Erfurt und insbesondere Winnenden. „Wenn früher das Wort ‚Amok’ an eine Wand gekritzelt wurde, hat man das oft einfach weggeputzt, heute müssen wir die Polizei rufen“, sagt die Leiterin der Realschule am Schulzentrum West, Erika Schulze. „Schließlich gibt es immer ein Restrisiko.“

Der psychisch kranke Täter, der ihr gedroht hat, hatte sich über klingelputzende Siebtklässler geärgert und war bereits am Mittwoch in der Schule gewesen. Dort beschimpfte er Schulze und drohte, den Kindern das „Genick zu brechen“, wenn er sie erwische. Schulze beruhigte ihn, versprach, sich um die Sache zu kümmern, und komplimentierte ihn hinaus. Danach ermahnte sie die Kinder. Doch einen Tag später klingelte erneut ein Schüler bei ihm.

Daraufhin rastete der Mann aus, stürmte in die Schule und bedrohte zunächst Schulze und dann den Rektor des Gymnasiums, Mathias Hilbert, der Schulze beigesprungen war. Nachdem der Mann die Schule verlassen hatte, meldeten die Schulleiter den Vorfall der Polizei, die sofort die Schule sicherte. Der Mann wurde in seiner Wohnung festgenommen und ist mittlerweile in eine Psychiatrische Klinik eingewiesen worden. Die Schüler, so Schulze, hätten von dem Vorfall wenig mitbekommen. Später habe sich die „Klingelputze-Geschichte“ schnell verbreitet und eher für Heiterkeit gesorgt.

Große Verunsicherung an der Hirschbergschule

Ganz anders war die Stimmung im Januar an der Hirschbergschule. Dort hatte die Kritzelei der 16-Jährigen große Aufregung und Verunsicherung provoziert. Die Neuigkeit sei über Facebook und andere Kanäle schnell verbreitet worden, berichtet die Rektorin Carmen Rückert. Deswegen habe man sich im Unterricht auch mit dem Thema auseinandergesetzt. Inzwischen herrsche aber wieder Alltag. Was aus der 16-Jährigen wird, will Rückert nicht verraten. Nach der Tat war Gerüchten zufolge diskutiert worden, das Mädchen der Schule zu verweisen. Rückert sagt dazu nur, man habe eine „interne Regelung“ mit den Eltern und dem Mädchen getroffen.

Wie die meisten Täter werden wohl auch die Schülerin und der Mann nicht für die Kosten des Polizeieinsatzes aufkommen müssen. Denn alles, was zum Bereich der Ermittlungen gehöre, übernehme die Staatskasse, erläutert der Ludwigsburger Polizeisprecher Peter Widenhorn. Lediglich Zusatzkosten für die Sicherung von Gebäuden könnten abgerechnet werden.

Um Drohungen und tatsächliche Gewalt an Schulen zu verhindern hat der Forscher Scheithauer das Programm Netwass (Networks Against School Shootings) entwickelt. Lehrer lernen dort, wann sie hellhörig werden müssen. Außerdem werden an den Schulen Krisen-Präventions-Teams gebildet, die verhindern sollen, dass Jugendliche zu Außenseitern werden. Die Teilnahme an diesem und ähnlichen Programmen ist freiwillig. Verpflichtend ist für alle Schulen aber die Ausarbeitung eines Krisenplans für den Ernstfall. Die Stadt hat zudem begonnen, die Schulen technisch sicherer zu machen, indem Türknäufe installiert wurden, die sich ohne Schlüssel nicht von außen öffnen lassen.

Auch die Polizei setzt in den vergangenen Jahren verstärkt auf Prävention. Im Kreis Esslingen etwa sprachen Polizisten in drei Fällen vorsorglich mit Jugendlichen, die aufgefallen waren, weil Lehrer in deren Hefte auf Gewaltdrohungen gestoßen waren. Bei zweien stellte sich heraus, dass sie große persönliche, zum Teil auch psychische Probleme hatten.

Ein Blick in die Region

Kreis Esslingen
In den vergangenen zwei Jahren sind sieben Androhungen von Gewalt bekannt geworden. In drei Fällen bedrohten Unzufriedene telefonisch ihre Krankenkassen oder Versicherungen. Drei Mal fielen Schüler auf. Im Dezember drohte ein angehender Krankenpfleger seinem Prüfer mit einer Schreckschusswaffe.

Rems-Murr-Kreis
2012 gab es acht, 2013 sogar 14 Drohungen. Siebenmal waren Schulen betroffen, weitere Adressaten: Krankenkassen, Arbeitgeber, Kindergarten, Polizei, Agentur für Arbeit, Krankenhaus und Kirche. Alle Täter wurden ermittelt. Gegen einen wurde eine Bewährungsstrafe verhängt, ein anderer musste eine Geldstrafe zahlen.

Kreis Böblingen
Es gab 15 Amokdrohungen in den vergangenen beiden Jahren, davon wurden insgesamt sechs aufgeklärt.

Kreis Göppingen
Schlagzeilen machten in den vergangenen Jahren vor allem Drohungen gegen die Schurwaldrealschule, gegen einen Kindergarten und gegen das Amtsgericht.