Jahrelang sind die Stickstoffdioxid-Werte in Ludwigsburg gesunken, aber im vergangenen Jahr nicht mehr. Es drohen Fahrverbote – doch einige zweifeln jetzt die korrekte Platzierung der Messstelle an.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Zahlen lügen nicht, heißt es. Leider heißt das nicht, dass Zahlen die Wahrheit sagen, denn genau genommen sagen Zahlen gar nichts. Es sind Menschen, die über sie reden, sie interpretieren, und über eine Zahl wird in Ludwigsburg gerade besonders viel geredet: die 51. Und ob diese 51 eine richtige oder falsche Zahl ist, wird eine hohe Zahl an Autofahrern interessieren. Man könnte eine simple Rechnung aufmachen: Ist die Zahl falsch, steigt die Chance, dass Tausende Menschen weiter mit ihrem Diesel durch Ludwigsburg fahren dürfen. Ist sie richtig, sinkt diese Chance. Deswegen beschäftigt sich jetzt auch Oberbürgermeister Werner Spec (Freie Wähler) mit Zahlen und spricht von Dingen wie „mathematischer Glättung“ oder „statistischen Effekten“.

 

Der neue Messwert ist ein Desaster

Im Jahresmittel 51 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft – das ist der Wert, den die Messstation an der Friedrichstraße für das Jahr 2018 ausgespuckt hat. Für die Stadt ist das aus zweierlei Gründen ein Desaster. Zum einen, weil damit die Luft kein Stück besser geworden wäre, denn schon 2017 stand am Ende die 51. Und zweitens, weil Ludwigsburg damit immer noch weit entfernt von jener Zahl ist, bei der alle aufatmen könnten: Der Grenzwert liegt bei 40 Mikrogramm.

40 Messstellen stehen in Baden-Württemberg, an 16 wurde 2018 der Grenzwert nicht eingehalten, aber nur fünf weisen Werte jenseits der 50 auf. Ludwigsburg steht also schlecht da, weshalb in wenigen Wochen vor dem Verwaltungsgericht entschieden werden muss, ob dort – wie in Stuttgart – ältere Diesel verbannt werden müssen. Die Barockstadt investiert viel Geld, um die Richter milde zu stimmen: Es fließt in E-Autos, Ladesäulen, Fahrradwege, intelligente Ampeln, bessere Parkleitsysteme.

Staatssekretär Steffen Bilger (CDU) zweifelt die Messwerte an

Das alles ist gut und richtig, aber jetzt steigt im Rathaus die Hoffnung, im Kampf gegen das Verbot noch einen ganz anderen Hebel in die Hand zu bekommen. „Es deutet sich an, dass die Messwerte in der Friedrichstraße nicht repräsentativ sind“, sagt der Ludwigsburger CDU-Bundestagsabgeordnete Steffen Bilger, inzwischen auch Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Die Zweifel fußen auf mehreren Faktoren, zunächst einmal auf dem Ergebnis als solchem. Jahrelang ging die Luftverschmutzung an der Friedrichstraße zurück, stetig und zuverlässig. Dass diese Entwicklung 2018 abgerissen ist, sei doch „sehr verwunderlich“, sagt Bilger. „Denn in fast allen anderen Städten hält der Trend an.“

Erklären lässt sich dies vielleicht damit, dass Ludwigsburg im vergangenen Jahr von außergewöhnlich vielen Baustellen geplagt war, weshalb der Verkehr an der Friedrichstraße höher war als sonst. Hinzu kommt nun aber, dass andere Messungen ganz andere Werte liefern, und das ist schon schwerer zu erklären. Zuständig ist die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW), die vor 15 Jahren die Spotmessstelle an der Friedrichstraße aufgestellt hat. Zusätzlich hat sie 2018 zeitlich versetzt im Umfeld vier weitere Stationen errichtet: für Profilmessungen, mit denen überprüft werden soll, ob die Werte der Spotmessung, also der Hauptanlage, stimmig und aussagekräftig sind. Der erste Eindruck ist: Das sind sie nicht.

Steht die Station an der falschen Stelle?

An den Referenzpunkten wurden teils höhere, teils deutlich niedrigere Belastungen ermittelt. An zwei Stellen lag der Stickstoffdioxidwert bei nur 37 beziehungsweise 38 Mikrogramm und damit locker im grünen Bereich. Dabei handle es sich „um eine Momentaufnahme“, sagt Wilfried Weiß, Leiter des Referats Luftqualität bei der LUBW. Eine endgültige Bewertung könne erst nach einem Jahr erfolgen. Das mag richtig sein, merkwürdig ist es trotzdem: Denn die vier Sammler stehen immerhin schon mehrere Monate. Unter einer Momentaufnahme versteht man gemeinhin etwas anderes.

Das ist nicht alles. Auch der Standort der Spotmessstelle selbst ist im Fokus. Im Gemeinderat wurde schon gemutmaßt, dass sie absichtlich schlecht platziert worden sei und überhöhte Werte produziere. Bilger weist darauf hin, dass Stichproben in anderen Städten eben dies ans Licht gebracht hätten: Die Werte seien zu hoch oder zumindest nicht repräsentativ, was in diesem Zusammenhang bedeutet: nicht aussagekräftig für das Umfeld.

Landesamt weist Kritik zurück

Denn die Anlagen messen zwar an einem bestimmten Punkt, einem Spot, sollen aber so platziert sein, dass damit gleichzeitig eine Aussage über die Belastung in der Umgebung getroffen werden kann. Bilger ist auch überzeugt, dass in Deutschland besonders streng gemessen werde. Nur so sei zu erklären, warum die Werte in vergleichbaren europäischen Ländern wie Österreich oder Belgien so viel besser seien.

Die LUBW wischt derlei Skepsis vom Tisch. „Die Standortkriterien in Ludwigsburg entsprechen den Vorgaben“, versichert Weiß. Die Qualitätssicherung sei gut, systematische Fehler seien die absolute Ausnahme. Gleichwohl hat der Oberbürgermeister die LUBW nun zum Gespräch eingeladen. „Das Messergebnis ist ein wichtiger Punkt bei der anstehenden Gerichtsverhandlung“, sagt Spec. „Daher möchten wir dargelegt bekommen, wie die weitere Vorgehensweise ist.“ Ungewohnt zahm fügt er hinzu, dass er „keine abschließenden Erkenntnisse habe“, ob die Messstelle zu hohe Werte liefere. Bilger äußert sich offensiver, er sagt: „Die LUBW ist vielleicht ein Stück weit befangen, denn sie hat die ganzen fragwürdigen Standorte ja ausgewählt.“ Auch in Ludwigsburg dränge sich jedenfalls der Eindruck auf, dass ein ungünstiger Ort gewählt wurde: nah an einer stark befahrenen Straße und unweit einer Ampel, wo permanentes Bremsen und Anfahren hohe Belastungen produziere.

Nur noch ein Mikrogramm zu viel?

Das Bundesumweltministerium hat wegen der Ungereimtheiten an den Messstellen in Deutschland Nachprüfungen angekündigt. Wann Ludwigsburg an die Reihe kommt, ist nicht bekannt, aber ein anderer Aspekt wird der Stadt und ihren Autofahrern auf jeden Fall in die Karten spielen. Die Bundesregierung hat eine Änderung des Bundesimissionsschutzgesetzes auf den Weg gebracht – mit dem Ziel, dass Fahrverbote nicht mehr in Städten mit mehr als 40, sondern nur in Städten mit mehr als 50 Mikrogramm Stickstoffdioxid verhängt werden dürfen. Am Ende könnte also doch alles an einer Zahl hängen. Und von 51 bis 50 ist es kein weiter Weg. Anders ausgedrückt: „Ich bin mir sehr sicher, dass in Ludwigsburg kein Fahrverbot kommen wird“, sagt Steffen Bilger.