Lesen ist am Wochenende in Ludwigsburg groß geschrieben worden. Zwei Lyriker standen dabei auf besondere Weise im Fokus: Eduard Mörike und Hermann Hesse.

Ludwigsburg - Wer Eduard Mörike als lyrischen Couch-Potato abstempelt, tue ihm unrecht, ist die Ludwigsburger Mörike-Gesellschaft überzeugt – und hat sich ein besonderes Angebot für Jugendliche ausgedacht. Schon wahr: viele seiner Gedichte hat der Pfarrer auf einem Biedermeier-Sofa in Ludwigsburg geschrieben. Aber Mörike ging auch in die Kneipe, und da hat er sich mal richtig heftig verknallt. Dieses Liebesthema, meint der Rapper Danny Fresh, „kann doch aktuell auch noch was auslösen“.

 

Verliebtes Glücksgefühl

Gemeinsam mit Young Roddie, einem Kollegen von der Mannheimer Popakademie, hat der 35-Jährige am Sonntag im Rahmen des Ludwigsburger Literaturfestes den eintägigen Workshop „Mörike gerappt“ für Jugendliche geleitet. Die Hälfte der 14 Teilnehmer, allesamt gut 200 Jahre jünger als das literarische Vorbild, trug Basecaps. Und alle hatten den Kopf frei für die Lektionen, die ihnen die wortgewaltigen Profis mit auf den Weg gaben. Schließlich sollten die Sätze nicht nur sprudeln, sondern vor allem im Fluss sein. „Es geht um den richtigen Flow“, erklärte Young Roddie: „Der Text muss mit dem Beat übereinstimmen.“

Wie Mörike in „Sehnsucht“ sein verliebtes Glücksgefühl jubelnd in die Welt hinausposaunt, kam bei den Jugendlichen als „depressiv-light“ an. Dann wollten die Rapper aber vor allem hören, in welche eiligen Zeilen die Jugendlichen selbst diese Emotionen übersetzen können, und gaben ihnen dabei etwas Starthilfe. Einfach mal loslegen, ermunterte Danny Fresh die gelehrigen Schüler. „Der erste Satz ist nicht der schwerste“, sagte er, „er ist genauso schwer wie alle anderen.“ Der 14-jährige Artur Dandörfer von der Bietigheim-Bissinger Werkrealschule im Sand hatte mit dem Texten aber offensichtlich überhaupt keine Schwierigkeiten. Ihm gelang – inspiriert von Mörike – auf Anhieb ein durchaus beeindruckender Vierzeiler: „Überall Steine / denk nicht, dass ich weine / ich brauch’ nicht mal dich / mir reicht mein Ich.“

Herrmann Hesse, das ist der Schriftsteller, der sein Leiden am schulischen Terror der vorletzten Jahrhundertwende in „Unterm Rad“ verarbeitet hat, mit seinem verquälten „Steppenwolf“ in den Sechzigern einen ganz erstaunlichen Erfolg feierte und als schon im Diesseits erlöster „Siddharta“ altersweise zur Ruhe kam. So könnte der Steckbrief des schwäbischen Dichters aussehen. Diese Stationen haben sich ins Gedächtnis vieler Generationen eingebrannt. Schön also, dass sich André Szymanski darum kein bisschen scherte.

Bestsellerautor aus Calw

Der zurzeit am Hamburger Thalia-Theater verpflichtete Schauspieler war für Robert Stadlober eingesprungen, der mit 40 Grad Fieber das Bett hüten musste. Erfahren hat Szymanski davon erst am Freitag um 14 Uhr. Um 18.30 Uhr landete seine Maschine in Echterdingen, damit er um 20 Uhr in der gut besuchten Ludwigsburger Buchhandlung Aigner den Blick auf weniger bekannte Facetten des Bestsellerautors aus Calw lenken konnte.

Szymanski zeigte Hesse als Verfasser launiger Porträts, Satiren auf die deutsche Provinz und Prosaskizzen zu Naturphänomenen – und natürlich als Lyriker. Der Ersatzmann für den aus Filmen wie „Sonnenallee“ oder „Crazy“ bekannten Ekstatiker Robert Stadlober war sicher keine zweite Wahl. Der unter anderem aus Christian Petzolds Kinofilm „Wolfsburg“ bekannte und 2011 mit dem Ulrich-Wildgruber-Preis ausgezeichnete Szymanzki bot einen Hesse fast ohne Pathos. Gelingen konnte das nur teilweise, manches Hesse-Gedicht ist einfach zu schwärmerisch. Und ohne den vom Dichter avisierten gehobenen Ton wirken die Reime auf das Gute und Ideale nur umso fremder. Ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod wird zwar noch viel Hesse gelesen, aber ein Gutteil seines Werkes klingt doch reichlich antiquiert.

Der Leseabend bei Aigner war ein Geschenk des Suhrkamp-Verlags. Dieser hatte Buchhändler in ganz Deutschland zu einem Schaufenster-Wettbewerb aufgerufen, bei dem das Traditionshaus einen von fünf Preisen gewonnen hat. Die Ludwigsburger besitzen einen Briefwechsel zwischen Hermann Hesse und Kurt Aigner, weil der Dichter 1924 hier gelesen hat. Damals bot er dem Seniorchef des Hauses neben einem Rezitationsabend auch ein paar Aquarelle zum Kauf an. Mit dieser Korrespondenz ist das preiswürdige Schaufenster noch immer geschmückt.