Drei Männer müssen sich am Stuttgarter Landgericht wegen räuberischer Erpressung und versuchten Totschlags verantworten. Die Ursache soll ein Bandenkrieg im Drogenmilieu sein. Die mutmaßlichen Täter stellen sich als die eigentlichen Opfer dar.
Ludwigsburg - In Saal sechs des Stuttgarter Landgerichts hat am Donnerstag ein Verfahren gegen drei Männer aus dem Drogenmilieu begonnen, aber das Aufgebot an Polizei- und Vollzugsbeamten war fast so groß wie bei Prozessen gegen Terrorverdächtige. Ursache dafür war aber nicht der Vorwurf, dass der Hauptangeklagte am 25. Juli 2011 auf dem Ludwigsburger Arsenalplatz um sich geschossen haben soll, sondern dass er einem Zellengenossen in der Untersuchungshaft verraten hat, er werde bei der erstbesten Gelegenheit türmen. Also wurde er mit Hand- und Fußfesseln und umringt von drei Wachtposten vorgeführt, während die beiden Mitangeklagten, die nicht mehr in Untersuchungshaft sitzen, einfach so angeschlendert kamen.
Eine Welt voller „Kollegen“
Die Staatsanwaltschaft wirft den drei 26 bis 31 Jahre alten Männern gemeinschaftliche besonders schwere räuberische Erpressung sowie Nötigung und schwere Körperverletzung vor. Der 31-Jährige muss sich außerdem wegen versuchten Totschlags verantworten: Er soll an jenem Sommerabend mit einer Pistole auf zwei Männer geschossen haben. Der eine erlitt einen Durchschuss im Oberschenkel, der andere einen Steck- sowie einen Streifschuss, ebenfalls im Oberschenkel. Der mutmaßliche Schütze aus dem niederländischen Eindhoven war mit internationalem Haftbefehl gesucht worden. Er gab an, zweimal auf den Boden gezielt zu haben – zur Warnung. Der dritte Schuss sei versehentlich losgegangen, als ihm einer der Gegner einen Schlag auf die rechte Hand verpasst habe.
Die drei Angeklagten beschrieben ihre Welt als eine, in der man mal jobbt oder mal arbeitslos ist, in der man niemals Geld und ganz gewiss keine Freunde hat. Stattdessen habe man viele „Kollegen“. Dazu zählen sowohl Menschen, mit denen man arbeitet, als auch welche, die einen mal eben von Eindhoven nach Ludwigsburg und wieder zurück fahren, oder die einem auf Anfrage Holzknüppel und Pistolen beschaffen und auch damit herumschießen – „wenn man Stress hat“. Was diese „Kollegen“ außerdem auszeichne, ist, dass sie niemals danach fragen, warum jemand in der Patsche sitzt, und dass man von den meisten nicht einmal den Namen kennt, geschweige denn eine Adresse oder eine Handynummer.
Zumindest wollten die Drei das der Kammer am ersten Verhandlungstag weismachen. Richter, Staatsanwalt und die beiden Nebenklagevertreter erklärten jedoch das meiste davon für wenig plausibel. Dazu kommt, dass die Erzählungen gerade an den kritischen Punkten nicht übereinstimmten. Unklar ist demnach, wer die Pistole besorgt hat, und mit welcher Absicht das Trio an jenem Juliabend zur Verabredung mit den beiden Männer von Heilbronn nach Ludwigsburg gefahren war – die 26 und 30 Jahre alten Angeklagten stammen aus Heilbronn.
„Ich zeig’ euch mal, was Sache ist.“
Die Anklage geht davon aus, dass die drei Männer Schulden eintreiben wollten. Es soll um 8000 Euro aus Drogengeschäften gegangen sein. Als klar war, dass sie an dem Tag höchstens mit einer Rate von 3000 Euro rechnen können, sollen die Zwei aus Heilbronn zunächst mit Holzlatten und einem Knüppel auf die beiden Schuldner eingeschlagen haben. Dann habe der 31-Jährige mit den Worten eingegriffen: „Ich zeig’ euch jetzt mal, was Sache ist“ – und einen ersten gezielten Schuss abgefeuert. Dieser Kampf sei erst beendet worden, als Passanten die Hilferufe der Verletzten gehört und die Polizei alarmiert hatten.
Nach Aussage der Angeklagten waren die Rollen genau anders herum verteilt. Demnach hätten die späteren Opfer Geld von dem 30-Jährigen verlangt. Die Rede war mal von 500, mal von 800 Euro. Da er die Schuld nicht begleichen konnte, habe er die „Kollegen“ um Hilfe gebeten. Einer ist dafür aus Holland angereist. Auf die Frage des Staatsanwalts, warum er die Kumpels nicht lieber um Geld angehauen und so die Sache aus der Welt geschafft habe, meinte der 30-Jährige: „Ich wusste, dass keiner von denen Geld hat.“ Die Angeklagten seien aus purer Angst bewaffnet gewesen: „Die haben gedroht, mir die Arme zu brechen und meine Frau zu überfahren.“