Die steigende Nachfrage von Studenten – und nun auch von Flüchtlingen – treibt die Preise in die Höhe. Dazu kommt die neue Rekordzahl von 10 000 Studenten in Ludwigsburg.

Ludwigsburg - Vor einer Stunde hat Ivonne Kerner den Anruf erhalten. Nun steht sie im Regen zwischen vierzehn Mitbewerbern in der Marbacher Straße vor einem grauen Ludwigsburger Altbau. Alle wollen sich eine Zweizimmerwohnung ansehen, doch nur einer wird sie bekommen. Es ist eine vierspurige Straße, Lastwagen und Busse donnern vorbei. „Die ersten Male habe ich immer noch geschaut, dass es drum herum schön ist“, sagt Kerner, „jetzt will ich nur noch ein Dach über dem Kopf.“

 

Es ist Anfang Oktober, das Wintersemester hat begonnen, und hunderte Studienanfänger suchen nach Wohnraum. Ivonne Kerner hat sich in den letzten drei Wochen mehr als fünfzehn Wohnungen und Wohngemeinschaften angesehen. Aus München ist sie nach Ludwigsburg gekommen, um zu studieren.

Mehr als 500 Euro für weniger als 15 Quadratmeter

„Die Preise sind eine Katastrophe“, sagt sie. Bezahlbarer Wohnraum, das ist es, was die Studenten suchen. Mehr als 500 Euro Monatsmiete für ein Zimmer unter 15 Quadratmetern sind in der Innenstadt keine Seltenheit. Günstiges ist knapp und schnell vergriffen. Die Stadt Ludwigsburg stößt an ihre Grenzen. An die 10 000 Studenten sind ein neuer Rekordwert. Im Wintersemester 2011/2012 waren es noch rund 7800 Studenten. Die enorme Nachfrage und die Nähe zu Stuttgart lassen die Wohnungspreise in die Höhe schnellen. Doch selbst teurer Wohnraum ist schnell weg. Hauptsache irgendwo leben. Notfalls vorübergehend in einer Pension.

Tobias Frei studiert seit Ende September an der Filmakademie. Auf seine fast siebzig Antworten auf Wohnungsinserate erhielt er fünfzehn Reaktionen, es kam zu acht Besichtigungen. „Auf meine Anzeige in der Zeitung haben sich dann richtig viele gemeldet“, sagt er. Er hat eine Wohnung gefunden, im November zieht er ein. Bis dahin pendelt er weiter zwischen München und Ludwigsburg, schläft hier und da auf Sofas und lebt aus dem Rucksack.

Studenten konkurrieren mit Flüchtlingen

Eine aktuelle Studie des Immobilienentwicklers GBI zeigt, dass es bundesweit für Studenten schwieriger wird, erschwinglichen Wohnraum zu finden. Stuttgart landete im Ranking der 87 Hochschulplätze auf Platz 4, Ludwigsburg kletterte von Platz 37 auf 31. Zusätzlich zu den wachsenden Studentenzahlen kommt der Bedarf an Unterkünften für Flüchtlinge. Nur Städte, die gezielt in den Neubau investieren, können einer weiteren Verschärfung der Situation vorbeugen, so die Studie.

„Zurzeit konkurrieren verschiedene Personengruppen um knappen Wohnraum“, sagt der Diakon Christof Mayer, der für das Studentenwohnheim Karlshöhe verantwortlich zeichnet, welches mit der Evangelischen Hochschule kooperiert. „Wir haben tausende Studenten, und wir haben eine Masse an Flüchtlingen. Beide Gruppen haben das gleiche Problem: Sie sind nicht beliebt als Mieter, gelten als unzuverlässig und finanzschwach. Da ist die Stadt gefordert. Sie muss an ihre Bürger für mehr Offenheit appellieren.“

In den Wohnheimen sind die Wartelisten lang

Mayer bemüht sich, neuen Wohnraum aufzutun. Hilfreich für ihn sind dabei Kooperationen. So konnte ein Wohnprojekt mit Studenten und geistig Behinderten ins Leben gerufen werden. Er glaubt, dass es auch möglich wäre, Flüchtlinge und Studierende zusammen zu bringen. Ein Student habe mit einem Freund eine Wohnung gemietet und vier Asylsuchende aufgenommen. „So was dauert halt seine Zeit.“

In den Ludwigsburger Wohnheimen sind die Wartelisten lang: Anfang des Semesters verzeichnete das Eglosheimer Haus Athena noch 60 Wartende, jetzt gibt es 100. „Dieses Jahr ist es besonders extrem“, sagt Ulrike Krause, „so lang war die Warteliste noch nie.“ Zu den Studenten aus Ludwigsburg kommen inzwischen auch Anfragen aus Stuttgart, auch dort ist Wohnraum knapp und meist noch teurer. Das Haus Athena stockt deshalb auf. Zwei weitere Stockwerke sollen hinzukommen. Das sind dann 36 zusätzliche Wohneinheiten. Auch andere Wohnheime, wie das ehemalige Adolf-Reichwein-Haus, verzeichnen eine große Anzahl Wartender.

Dieses Semester ist es besonders schwierig

Die Einschätzung der Hochschulen und Akademien ist einhellig: Dieses Semester sei es besonders schwierig, eine Wohnung zu finden. „Wir sehen die Politik in der Verantwortung“, sagt Melanie Westphal, die Sprecherin vom Studierendenwerk Stuttgart. Seit 2011 stehe man in Verhandlungen über ein Bestandsobjekt in Ludwigsburg, um weitere 100 günstige Wohneinheiten zu schaffen. „Oftmals scheitern die Gespräche an zu hohen Rendite-Erwartungen unserer Verhandlungspartner, den daraus resultierenden zu hohen Kosten für uns und damit auch für die künftigen Mieter“, sagt Westphal. Außerdem versuche das Studierendenwerk, mit der vom Land geförderten Kampagne „Platz für Studierende“ die Bürger auf die Wohnungsnot aufmerksam zu machen.

Ivonne Kerner schaut sich derweil die Wohnung in der Marbacher Straße an. Auf dem Boden liegt ein fleckig-grauer Teppich, die Zimmer sind kleiner als erwartet. Eine Einbauküche gibt es nicht, obwohl davon im Inserat die Rede war. Die Wände sind hellhörig. Trotzdem sagt sie, dass sie sofort mit einer Freundin einziehen würde. „Keine WG“, sagt indes der Vermieter, der nicht genannt werden will, „Ein Paar kann hier gern einziehen. Aber keine WG.“ Ivonne Kerner trägt sich trotzdem in die Interessentenliste ein. Hier soll sie auch ihr monatliches Einkommen angeben. 650 Euro, schreibt sie. Ein junger Mann gibt den vierfachen Betrag an. „Da habe ich keine Chance“, sagt Kerner ernüchtert.

Einen Tag später der Anruf: der Vermieter hat sich für einen Mitarbeiter von Bosch entschieden, was für ihn gleichbedeutend sei mit mehr Geld und mehr Zuverlässigkeit. Ivonne Kerner ist nicht überrascht und setzt ihre Suche fort.