Das jüngste Kriegsopfer Neckarweihingens war noch keine zwei Jahre alt. Das Mädchen starb bei einem Bombenangriff im Jahr 1944, zusammen mit Mutter, Opa und Tante.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Ludwigsburg - Am Abend des 2. Februar 1944 war die Welt für die Bauers noch in Ordnung. Die Großeltern feierten Silberhochzeit. Der Familienvater stand zwar im Feld. Aber die Verwandtschaft aus Kornwestheim war nach Neckarweihingen gekommen. Draußen lag noch Schnee. Doch es ging langsam auf das Frühjahr zu. Die Festgesellschaft stellte sich an diesem besonderen Tag vor dem Haus auf und schaute in die Kamera, als wüsste sie, dass sie nie mehr so beisammen sein würde.

 

Irene Schugt steht auch auf diesem Bild. Sie ist das größere der beiden Mädchen und hieß damals noch Bauer. Sie war fünf, ihre kleine Schwester knapp zwei Jahre alt. Irene Schugt hat das Bild zusammen mit anderen Fotos aus der Familiengeschichte herausgesucht. Es ist klein wie die Fotos damals waren. Aber es hat eine ganz besondere Bedeutung.

Nur wenige Stunden nach der Aufnahme eilte die Familie in den Gewölbekeller des Hauses in der Neckarstraße. Mit ihr warten ihre Großeltern, ihre Mutter, deren Schwestern und die kleine Schwester Regina auf ein Ende des Angriffs. Schon Stunden vorher hatten sie die feindlichen Bomber gehört und gehofft, dass ihnen nichts geschehen würde.

Sie hatten die feindlichen Bomber schon Stunden vorher gehört

Das Hoffen war vergebens. Irene Schugt erinnert sich an den Einschlag einer Brandbombe. „Da muss ich raus“, schrie ihr Großvater. Das Familienoberhaupt wollte nachschauen, was mit seinem Haus ist. Ihm folgten Irene Schugts Tante und ihre Mutter. Die kleine Schwester trug sie auf dem Arm. Heute weiß man, dass es besser gewesen wäre, die Erwachsenen wären im Keller geblieben und hätten dort gewartet. Denn die Zerstörungsgewalt der Bombe brachte das Haus zum Einsturz. Es brach zur Seite und begrub Mutter, Tante, Schwester und Opa unter sich.

Mit ihrer Oma und einer Schwester ihrer Mutter saß Irene Schugt im Keller unter einem Haus, von dem nur noch der Terrazzoboden der Küche, die Kellerdecke also, an seinem ursprünglichen Platz war. Die Rohre waren geplatzt, Wasser rieselte in den Keller. Irgendjemand schrie: „Wir müssen hier raus.“ Die Überlebenden flüchteten an den Neckar, wo sie sich auf den Boden legten, um sich vor möglichen weiteren Angriffen zu schützen,. Was aber genau passiert ist, kann Irene Schugt heute nicht mehr sagen. Die 73-Jährige weiß nur, dass ihr der Gedanke, ihre Schwester und die Mutter könnten tot sein, damals nicht gekommen ist.

Irgendjemand hatte die Verschütteten geborgen

Das Grüppchen kam in einem Nachbarhaus unter. „Zwei Tage später geschah das, was für mich das Schlimmste war“, sagt Irene Schugt. Die Oma sei ans Fenster gerannt. „Jetzt kommen sie“, habe sie gerufen und hinausgestarrt. Irene Schugt weiß das noch, als sei es erst gestern geschehen. Auf einem Pritschenwagen, mit Stroh bedeckt, wurden die Opfer der Brandbombe auf den Friedhof überführt. Irgendjemand hatte die Verschütteten geborgen. Es gab nun keine Hoffnung mehr, sie hätten überlebt.

„Ich kann mich jedoch an keine Beerdigung erinnern“, sagt Irene Schugt. „Ich hatte das Gefühl, in einem luftleeren Raum zu leben“, beschreibt sie ihr Lebensgefühl von damals. Alles war unwirklich. In seiner vollen Tragweite begriff sie den Verlust ihrer halben Familie erst, als sie selbst Kinder hatte. Und noch viel später kamen dann die Fragen „Wie hast du das geschafft?“ Allmählich begann das Reden über die schlimme Nacht und ihre einschneidenden Folgen. Irene Schugts Vater heiratete später die überlebende Schwester seiner Frau. Irene Schugt bekam noch einmal zwei Schwestern.

Das Nesthäkchen Regina war das jüngste Kriegsopfer in Neckarweihingen, es war das einzige Kind, das in der Nacht vom 20. auf den 21. Februar 1944 umgekommen ist. Sein Grab ist zum Familiengrab geworden. Dieses Jahr hätte das kleine Mädchen seinen 70. Geburtstag gefeiert.