Der Marktplatz im Herzen von Ludwigsburg gilt heute als gelungenes Beispiel barocker Architektur – doch der Bau war ein Wagnis und hätte auch als Schildbürgerstreich in die Geschichte Württembergs eingehen können.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Im Nachhinein ist man immer schlauer, und so ging Theodor Heuss kein allzu großes Risiko ein, als er den Ludwigsburger Marktplatz 1925 als „ den stolzesten Platz Württembergs“ bezeichnete. Es gibt da natürlich noch ein paar andere hübsche Plätze, aber der spätere Bundespräsident setzte sogar noch einen drauf und nannte den Brunnen in der Mitte gleich auch „den Mittelpunkt unseres Landes“. Man könnte jetzt auf den Gedanken kommen, der herzogliche Stadtplaner Giuseppe Frisoni hatte all das genau so geplant, als er 1718 begann, sich Gedanken um diesen Ort zu machen. Damals aber war das alles ziemlich riskant. Zwar gab es in Ludwigsburg ein Schloss, aber keine Stadt und schon gar keine richtigen Bürger. Herzog Eberhard Ludwig wurde zwar nie müde, seine Untertanen zu ködern, aber anfangs wollte schlicht niemand nach Ludwigsburg. „Der Platz wurde gebaut für Menschen, die es gar nicht gab“, erzählt Regina Witzmann, die stellvertretende Leiterin des Stadtarchivs.

 

Erst mit den Kasernen und Soldaten fing Ludwigsburg an zu wachsen, zur echten Stadt zu werden. Hätte dieser Flecken Erde aber nicht irgendwann die Kurve gekriegt – man würde heute wohl kaum von einer der schönsten Platzanlagen Württembergs sprechen, sondern von einer der größten Bausünden des 18. Jahrhunderts, von einem Monument der Geldverschwendung, einem Schildbürgerstreich.

Zu groß? Zu klein? Oder genau richtig?

108 Meter lang, 78 Meter breit, vier Ausgänge, das höchste Gebäude ist die 44 Meter hohe evangelische Stadtkirche – das sind die Fakten, die indes keine Antwort liefern auf eine viel diskutierte Frage in Ludwigsburg. Ist er nun zu groß oder nicht, der hübsche Platz? Den Eindruck kann man bekommen, denn wenn man sich in einem der Restaurants oder Cafés niederlässt und den Blick schweifen lässt, wirkt die gegenüberliegende Seite weit weg. Andererseits: Eine gewisse Größe gehört dazu, sie verleiht dem von Arkaden gesäumten Areal etwas Erhabenes. Schließlich sollte der Platz das Schloss über die vier Ausgänge mit dem verbinden, was einmal Ludwigsburg werden sollte. Leicht war das alles nicht. Das Gelände ist nicht eben, sondern weist ein Gefälle auf. „Frisoni hat das schön hinbekommen“, sagt Witzmann, die sich einreiht in die Riege derer, die die Dimensionen angemessen finden. „Der Platz ist groß, aber erschlägt einen nicht.“

Das gilt auch für das zentrale Element, den 1723 aufgestellten Brunnen mit dem Standbild von Eberhard Ludwig. Es zeigt ihn nicht als Stadtgründer, sondern als Feldherrn mit Marschallstab. Die Statue steht als Gegenstück noch einmal unweit des Lapidariums am Schloss.

Berühmte Menschen sind an diesem berühmten Platz aufgewachsen

Als die Soldaten und mit ihnen die Bürger nach Ludwigsburg strömten, wurde der Marktplatz schnell zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zentrum der jungen Stadt, auch für die Justiz spielt er eine wichtige Rolle. Urteile wurden hier öffentlich verkündet, Menschen öffentlich bestraft, etwa an den Pranger gestellt. Mehrere bedeutende Persönlichkeiten sind in Häusern am Marktplatz geboren, etwa die Dichter Justinus Kerner und Eduard Mörike oder der Theologe David Friedrich Strauß.

Der größte Einschnitt kam im 20. Jahrhundert. Wo vorher vereinzelt Pferdekutschen parkten, machten sich plötzlich Autos breit und immer breiter, bis aus dem Platz mit seinem italienischen Flair ein schnöder Parkplatz wurde. Es dauerte bis ins Jahr 1992, bis dies rückgängig gemacht wurde. Die Entscheidung, die Autos zu verbannen, war äußerst umstritten.

Der Marktplatz als Parkplatz – viele fanden das damals gut

Und so kann der geschichtsträchtige Platz vielleicht heute wieder helfen, richtungsweisende und mutige Beschlüsse zu fassen. Wie eingangs erwähnt: Im Nachhinein ist man immer schlauer, und selbst die größten Parkplatzfans kämen heute wohl nicht mehr auf die Idee, den Marktplatz mit Autos zuzupflastern. Momentan wird in Ludwigsburg darüber gestritten, ob der Arsenalplatz autofrei werden soll, die Fronten gleichen jenen von 1992.

Dem Marktplatz jedenfalls gab die Renovierung das Ambiente zurück, das ihm würdig ist – und das den angemessenen Rahmen bot für ein historisches Ereignis. Am 6. Mai 1994 endete die lange Geschichte Ludwigsburgs als Garnisonstadt, und sie endete, wie sollte es anders sein, auf dem Marktplatz. Dort, im Herzen der Stadt, verabschiedete sich der letzte Truppenteil der Bundeswehr von der Bevölkerung.

Die Kasernen sind heute Akademien oder werden anderweitig genutzt, wo früher Soldaten exerzierten flanieren heute Besucher, das Schloss ist eine Touristenattraktion ohne jede politische Bedeutung. Aber der Ort zwischen Schloss und Stadt ist genau das geworden, was er werden sollte: ein Platz für Märkte, Feste, Versammlungen, ein Ort für die Bürger. Frisoni, ist zu vermuten, hätte seine Freude daran.