Wird aus dem Menschen der Homo Digitalis? Der Regisseur Nils Otte, Absolvent der Filmakademie in Ludwigsburg, hat für Arte eine siebenteilige Serie gedreht. Über Computerchips fürs Gehirn, das ewige Leben und Mietfreundinnen in Japan.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Nils Otte arbeitet in München, das Interview wird über Skype geführt, und mittendrin stürzt der Computer ab. Technik kann Segen und Fluch sein – kann sie auch der Menschheit gefährlich werden? Otte, Fernsehjournalist und Absolvent der Filmakademie in Ludwigsburg, hat für den Bayerischen Rundfunk, Arte und den ORF die siebenteilige Webserie Homo Digitalis gedreht. Über die Gefahr von Sex mit Robotern, Computerchips fürs Gehirn – und das ewige Leben.

 
Herr Otte, eine Serie zur Zukunft des Menschen: Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Mich hat das Thema immer fasziniert: Mensch und Maschine und wie diese in Beziehung zueinander stehen. Was tut die Digitalisierung mit uns, wie verändert sie uns? Und wollen wir das überhaupt? Das sind wichtige Fragen.
Mit welchem Grundgefühl sind Sie und Ihre Co-Regisseurin Christiane Miethge an die Arbeit gegangen?
Wir haben mit einem optimistischen Gefühl angefangen. Im Zentrum stand die Frage, wie Technik unser Leben verbessern kann. In der Recherche, nach Gesprächen mit Ethikern und Wissenschaftlern, sind wir davon ein Stück weit zurückgewichen. Wir sind in unserer Haltung vorsichtiger geworden. Es ist unstrittig, dass die Digitalisierung die Menschheit verändern wird. Aber wir müssen entscheiden, was wir wollen und was nicht. Wir brauchen politische und ethische Grenzen, und deshalb müssen wir die Diskussion dazu jetzt anregen.
Ist das der Anspruch: Gefahren aufzeigen?
Wir wollen den Zuschauern die Möglichkeit bieten, sich selbst ein Bild zu machen. Wir haben bewusst Extreme gesucht, um zu zeigen, was da auf uns zu kommen kann.
In der ersten Folge geht es um die Zukunft der Freundschaft. Sie stellen eine junge Japanerin vor, die sich regelmäßig professionelle Freundinnen mietet, als eine Dienstleistung. Klingt verrückt.
Ja, aber das ist ein ganz normales Mädchen. Sie ist nicht krank, man kann sich gut mit ihr unterhalten. In Japan ist das Mieten von Freunden nicht ungewöhnlich. Es ist ein Teil, wenn auch ein kleiner, der Gesellschaft dort. So wie es bei uns weit verbreitet ist, für Sex Geld zu bezahlen.
Viele Japaner pflegen keine realen Beziehungen, sondern virtuelle – und tauschen Nachrichten mit Computerliebhabern aus. Wann kommt dieser Trend nach Europa?
Japan ist ein anderer Kulturkreis, Japaner sind sehr technikaffin. Aber in Ansätzen sind solche Tendenzen auch hier erkennbar. Jugendliche treffen sich seltener als früher, schreiben sich aber häufiger Nachrichten oder kommunizieren über Skype.
Aber sie kommunizieren immerhin mit echten Menschen oder echten Freunden.
Ich heiße die Entwicklung in Japan nicht gut. Leider ist es so, dass die Digitalisierung eben nicht, wie anfangs gedacht, dazu führt, dass wir mehr Zeit füreinander haben. Im Gegenteil, sie beschleunigt unser Leben. Es ist dieses Umfeld, das Menschen in Japan dazu zwingt, für Freundschaften zu bezahlen. Für echte Freundschaften fehlt ihnen die Zeit.
In einer Folge versucht sich eine Frau am Sex mit einem hochmodernen Roboter, der angeblich in der Lage ist, auf Bedürfnisse von Menschen einzugehen. Auch hier die Frage: Warum sollte sich das durchsetzen?
Ich hoffe nicht, dass es sich durchsetzt. Ich hoffe, dass ein Roboter beim Sex nie besser sein wird als ein Mensch.
Sie hoffen es, aber glauben Sie es auch?
Wenn so etwas manchen Menschen hilft, ihre Sexualität oder gewisse Fetische auszuleben, halte ich das nicht für schlimm. Ich denke, dass es für Sexroboter eine Nische geben wird, aber dass daraus nie ein Massenprodukt wird.
Bei Ihnen kommt der umstrittene Zukunftsforscher Ian Pearson zu Wort. Er glaubt, dass Menschen irgendwann keinen Sex mehr untereinander haben werden, weil Roboter maximale Lust garantieren.
Wie gesagt: Ich hoffe nicht, dass es so kommt. Aber wir wissen es nicht.
Realistischer scheint die Vision, dass Menschen ihre Körper mit Maschinen anreichern. Das Bedürfnis nach Selbstoptimierung ist tief in der Menschheit verwurzelt.
Computerchips im Gehirn – so etwas wird es geben, ja. Um unsere Denkfähigkeit oder unser Erinnerungsvermögen zu optimieren. Schon jetzt wird intensiv an Schnittstellen zwischen Gehirnen und Computern geforscht, und da ist man recht weit. Interessant ist das für therapeutische Zwecke, etwa für gelähmte Personen, die mithilfe dieser Technik Gliedmaßen bewegen können. Alzheimerkranke könnten mithilfe der Chips ihr Erinnerungsvermögen retten. Die Entschlüsselung des Gehirns, der Sprache und des Denkens, wird der nächste große Meilenstein sein.
Implantierte Computer – auch das dürfte vielen Menschen Angst machen.
Wenn es möglich ist, wird es gemacht. Umso entscheidender ist daher, dass der Staat die Kontrolle behält. Es sind in der Regel meist private Unternehmen, die solch radikale Ideen zur Selbstverbesserung vorantreiben. Der Teslachef Elon Musk investiert zum Beispiel auch hier kräftig mit.
Wo liegen die Gefahren?
Wer mehr Geld hat, kann sich vielleicht einen besseren Prozessor leisten. Was hätte das für Folgen? Eventuell entstünde eine extreme Klassengesellschaft. Theoretisch ist denkbar, einem Menschen das gesamte Wissen der Menschheit in den Kopf zu transplantieren. Welche Folgen das hätte, kann heute keiner abschätzen. Stimuliert ein solcher Chip nur unser Denkzentrum oder verändert er unser gesamtes Bewusstsein? Wer weiß das schon.
Fast harmlos wirkt da ein anderes Anwendungsbeispiel: der Chip, der uns, angedockt ans Hirn, in den virtuellen Urlaub schickt.
Sobald das Gehirn geknackt ist, sind die Möglichkeiten unbegrenzt. Menschen haben immer schon Wege gesucht, der Realität zu entfliehen, stimuliert von Alkohol, Drogen, kulturellen Ritualen.
Mithilfe von Technik könnte ewiges Leben möglich werden. Ist das erstrebenswert?
Nein. Das Wissen um unsere Endlichkeit ist der Motor für unsere Schaffenskraft. Wüssten wir, dass wir ewig leben, hätten wir dieses Interview auch erst in 50 Jahren führen können. Uns hätte der Antrieb gefehlt, es jetzt zu machen. Das Leben ist auch deshalb so schön, weil es endlich ist.
Die Furcht vor dem Fortschritt ist alt, und oft war sie unbegründet.
Neues wird immer skeptisch gesehen. Das Smartphone ist eine der revolutionärsten Erfindungen der vergangenen Jahrzehnte. Ältere sehen das skeptisch, Jüngere nicht. Das muss nicht schlecht sein. Es regt den Diskurs an.
Ewiges Leben, Robotersex – wenn wir das nicht wollen: Wie können wir es verhindern?
Erst einmal müssen wir aufklären – einen Beitrag dazu möchten wir mit unserer Serie leisten. Dann ist die Politik gefordert, entsprechende Gesetze zu erlassen, Grenzen zu ziehen und zu definieren, in welcher Art von Gesellschaft wir leben wollen. Technik ist nie per se gut oder böse. Problematisch wird es, wenn daraus eine neue Religion wird, ein Heilsversprechen. Nur dürfen wir der Technik als alleinigem Garant des Fortschritts nicht einfach blind vertrauen.
Haben Sie Angst, dass Maschinen eines Tages die Macht über uns übernehmen?
Ich habe keine Angst, aber Respekt. Letztlich entscheiden wir das selbst. Was sollte es uns bringen, wenn wir uns Maschinen unterwerfen? Und was sollte es Maschinen bringen, uns zu unterwerfen? Wenn wir sorgfältig mit der digitalen Entwicklung umgehen, wird das nicht passieren. Ich habe sehr viele Wissenschaftler getroffen, die genau dafür kämpfen und sich dafür einsetzen, dass Grenzen gezogen werden. Die mit großem Verantwortungsgefühl an dieses Thema herangehen.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Ich werde mich weiter diesem Thema widmen und würde mich freuen, wenn ich damit die richtige Zielgruppe erreiche. Also auch junge Leute, die das klassische Fernsehen weniger erreicht. Ich möchte als Autor, Regisseur, Produzent richtig gute Dokumentationen machen.
Und wie lange wird es dauern, bis Maschinen Ihren Job übernehmen?
Da habe ich keine Sorge. Kreativität, Empathie, Emotionen – das unterscheidet uns Menschen von Computern, und ich glaube nicht, dass sich das ändern wird.

Studium
– Nils Otte wurde 1991 unweit von Leipzig geboren. An der Filmakademie in Ludwigsburg hat er Fernsehjournalismus studiert, die siebenteilige Doku „Homo Digitalis“ ist seine Abschlussarbeit. Derzeit arbeitet Otte als Autor und Regisseur für die Produktionsgesellschaft Bilderfest in München.

Serie
– In „Homo Digitalis“ werden Tech-Pioniere, Futurologen, Ethiker und Wissenschaftler interviewt. Abrufbar ist die Serie unter www.homodigitalis.tv. Dort können die Zuschauer an einem Test teilnehmen – und herausfinden, wie stark die Digitalisierung sie beeinflusst. Vom 25. Januar an läuft Homo Digitalis jeweils donnerstags um 23.45 Uhr im BR-Fernsehen.