Die Ludwigsburger Schlossfestspiele sind mit einem von Pietari Inkinen dirigierten Konzert eröffnet worden. Der Bundestagspräsident Norbert Lammert hielt die Festansprache.

Ludwigsburg - Dass sich der Weltgeist nicht unbedingt in Ludwigsburg entzündet – heutzutage –, ist keine Neuigkeit. Die man dort gerne ignoriert. Die Schlossfestspiele, jedenfalls seit Thomas Wördehoff als Intendant dort 2009 angetreten ist, versuchen das Unmögliche in Programm und Programmatik: größtmögliche Welthaltigkeit. In einem Akt der Camouflage kann man’s ja mal versuchen. Und so setzt man in diesem Gedenkjahr – Beginn des ersten Weltkriegs vor hundert, Beginn des zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren sowie 25 Jahre seit dem Fall der Berliner Mauer – das Motto „Zersplitterung“ an. Der Gastredner bei der Eröffnung des Festivals im Forum am Schlosspark, Bundestagspräsident Norbert Lammert, nahm es auf.

 

Mit Blick auf das „kurze Jahrhundert“ – Lammert zitierte den Historiker Eric Hobsbawm, nach dem das 20. Jahrhundert von 1914 bis 1989 gedauert habe – und seine politischen Katastrophen und Ausbrüche, erinnerte der Festredner in seiner knappen, daher dankbar aufgenommen Ansprache, wie brüchig in Tagen wie diesen die Errungenschaft eines europäischen Gedankens sei. „Die territoriale Integrität, die gesichert schien, ist infrage gestellt.“

Ein Prachtmarsch von Edward Elgar eröffnet den Abend

Dieses Jahrhundert, „in dem das Zivilisationsvertrauen erschüttert wurde“ (Norbert Lammert), sollte sich, so die Intention der Intendanz, in den Werken des Eröffnungskonzerts spiegeln. Naturgemäß hätte das zu depressiven Verstimmungen des Festpublikums führen können: beträchtlich ist die Werkzahl der musikalischen Reflexion des Grausamen. Geschickt war da das Auftaktstück gewählt, Edward Elgars erster „Pomp and Circumstance“-Marsch als Affirmationsrausch, deutschem Chauvinismus ganz unverdächtig, da einer anderen Nation zugedacht. Nun steckt, genau hingehört, in der bei den Londoner Proms in der Royal Albert Hall alljährlich patriotisch mitgegrölten Triohymne „Land of Hope and Glory“ ein Gran Elgar’schen Bitterstoffes, die eingeschriebene Ahnung, dass es bald ein Ende mit aller „Britiannia rules the Waves“-Herrlichkeit haben werde, die der finnische Dirigent Pietari Inkinen gerne hätte herausarbeiten dürfen. Tat er aber nicht; so war es ein hörbar unterprobt lärmendes Eingangsstück, in dem nicht zusammen war, was zusammen gehört. Die markante Figur des Hauptteils, acht Sechzehntel, war stets verwischt.

Auf anderem Niveau das immer wieder erregend-bewegende Violinkonzert von Benjamin Britten, abgeschlossen kurz nach Beginn des zweiten Weltkriegs, das in den vergangenen Jahrzehnten zu seinem Recht gekommen ist und einen festen Platz auf den Konzertpodien gefunden hat. Es wird zum Höhepunkt des Abends, an dem die Solistin Baiba Skride entscheidenden Anteil hat: mit einerseits entrückt gläsernen Tönen in höchster Lage, wenn der Todesvogel singt, andererseits energisch tanzender G-Saite übersetzt sie diese Bekenntnismusik in sprechende Chiffren. Die Lettin spielt das Werk seit vielen Jahren, ihre Impulse strahlen ins Festspielorchester, das vom Beginn mit den drohenden Pauken und dem von Franz Bach (was für ein toller Schlagzeuger!) böse gezischten Wischen der Becken aufmerksam und klangschön agiert. Auch hier hätte Inkinen die Form prägnanter nachzeichnen müssen, etwa die Unerbittlichkeit der Orchestersteigerung zur Kadenz der Solovioline. Doch im Gegensatz zu hoch gehandeltem Dirigentennachwuchs andernorts hält der 34-Jährige die Musik mit elegantem, etwas pauschalem Schlag in Bewegung.

Jean Sibelius zweite Sinfonie gibt es zum Finale

Zum Abschluss die naturgespeisten Klangwelten in Jean Sibelius’ zweiter Sinfonie. Inkinen, der Chefdirigent der Schlossfestspiele vom kommenden Jahr an, malt das Bild einer positivistischen Welt: murmelnde Gewässer, zirpende Vogelwelt, aufgipfelnde Bergmajestät. Das Festspielorchester zieht mit: erstklassig kompakte Streicher, furchtloses Hornquartett, ordentliche Holzbläser. Am vorlaut prustenden und zum Schluss schwächelnden Blech wäre zu justieren. Allein: all das hört man landauf, landab in Hamburg, Frankfurt, Berlin und München in der Saison im Abonnement. Genauso, besser, exzeptionell.