Die neuen Anwurfzeiten im Handball bleiben nicht ohne Folgen: Im Schnitt fehlen aktuell etwa 700 Zuschauer pro Bundesligaspiel im Vergleich zum Vorjahr. Auch der TVB Stuttgart ist davon betroffen.

Sport: Joachim Klumpp (ump)

Stuttgart - Willkommen in der neuen Handballwelt. In der geht es weiterhin um Punkte und Tore, aber eben auch um Fernsehzeiten. Mit der Übernahme der TV-Rechte durch den Bezahlsender Sky ging eine kleine Revolution einher. Der traditionelle Mannschaftssport spielt nun – Ausnahmen bestätigen die Regel – donnerstags und sonntags, dann schon um 12.30 Uhr sowie ein Spitzenspiel um 15 Uhr. Das ist, vorsichtig formuliert, gewöhnungsbedürftig. So sieht es auch Stuttgarts Geschäftsführer Jürgen Schweikardt. „Vor allem der Termin am Sonntagmittag erfordert für den Fan eine große Umstellung, die geht nicht von heute auf morgen.“

 

Und hat ihre Folgen. Während die Spiele des TVB in der Porsche-Arena früher (selbst in der zweiten Liga) in puncto Ticketverkauf fast ein Selbstläufer waren, sieht das nun anders aus. Siehe Sonntag. Dann kommt der Altmeister VfL Gummersbach – und es gibt noch rund 1400 Karten. Für Schweikardt kein Grund zur Panik. „Wenn wir auf 5000 Besucher kommen, ist das immer noch eine sehr gute Zahl“, betont der Manager, „wir sind da einfach etwas verwöhnt.“ Außerdem galt der Saisonbeginn im August und September noch nie als Publikumsmagnet. Und auch wenn’s nur ein schwacher Trost ist: anderen Vereinen geht es ähnlich.

Stuttgarts Gegner Gummersbach verzeichnet zum Beispiel einen Besucherrückgang von 26 Prozent zum Vorjahr, und den letzten TVB-Auftritt in Lemgo sahen trotz des guten Saisonstarts der Gastgeber nicht einmal 3000 Zuschauer. „Man darf die Anwurfzeiten noch nicht verteufeln, aber man muss die Entwicklung natürlich im Auge behalten“, sagt Schweikardt deshalb. Klar ist schon jetzt: einen neuen Zuschauerrekord wird es kaum geben, aktuell hinkt die HBL – trotz des Topspiels Löwen gegen Kiel zuletzt mit mehr als 11 000 Zuschauern – bereits um etwa 700 Besucher pro Spiel zurück, wenn man die Vorjahreszahl als Maßstab nimmt.

Rückgang bei den Dauerkarten

Gefahr ist also in Verzug, zumal die Zuschauereinnahmen im Handball einen ordentlichen Anteil am Etat haben. Dieses Menetekel hatte Frisch Auf Göppingen früh erkannt, dessen Manager Gerd Hofele stimmte als einziger aus dem HBL-Präsidium gegen die Neuordnung der Termine – konnte sich aber nicht durchsetzen. Die Quittung spürte der Traditionsverein bereits beim Dauerkartenverkauf, der um mehr als 400 Tickets zurückging. Und zuletzt im Derby gegen Bittenfeld blieben zudem 1200 Plätze in der EWS-Arena leer.

Mut zur Lücke?

Zwar erhalten die Vereine durch den neuen TV-Vertrag 100 000 Euro mehr an Fernsehgeldern (die Rede ist jetzt von insgesamt 145 000 Euro), doch dieses Geld dürfte vielerorts nicht ausreichen, die Defizite aus dem Kartenverkauf zu kompensieren. Der Schwabe Schweikardt betont deshalb: „Wir haben diese Saison einen mittleren fünfstelligen Betrag weniger aus den Zuschauereinnahmen kalkuliert.“ Um auf Nummer sicher zu gehen.

In einem anderen Punkt blieb vorerst alles beim Alten, die Sponsorenverträge wurden nicht erhöht trotz der größeren TV-Präsenz: „Wir wollen erst einmal konkrete Zahlen vorliegen haben.“ Sky konnte oder wollte keine Quoten liefern, laut inoffiziellen Angaben sahen die Auftaktpartie des TVB gegen Melsungen 20 000 Menschen (was einem Marktanteil von gerade mal 0,2 Prozent entspricht), das Topspiel danach (Lemgo gegen Löwen) lag bei 40 000. Da ist noch ordentlich Luft nach oben, wobei Dirk Böhm von Sky zu bedenken gibt: „Wir machen uns ja zumindest beim Topspiel am Sonntag auch selbst Konkurrenz.“ Denn zu dieser Zeit läuft bereits König Fußball. Der wird mit großem technischen Aufwand produziert, während der Sender im Handball eher abspeckt und Kategorie-C-Spiele (wie am Sonntag beim TVB) nur mit zwei Kameras überträgt.

Probleme auch mit der Champions League

Hinzu kommt noch ein Nebenkriegsschauplatz im Handball, die Champions League. Die absolviert ihre Spieltage seit längerem am Mittwoch/Donnerstag und Samstag/Sonntag. Diese Termine seien mit den europäischen Topligen koordiniert worden, auch die Bundesliga habe zugestimmt, so der europäische Verband. Weshalb sich die EHF zuletzt dagegen gewehrt hat, den Schwarzen Peter zugeschoben zu bekommen, weil zum Beispiel die Rhein-Neckar Löwen innerhalb von 24 Stunden in der Liga in Leipzig und international in Barcelona antreten müssen. „Die Entscheidung der Bundesliga am Donnerstag und Sonntag zu spielen, limitiert die Optionen und erhöht den Druck auf die deutschen Teams, die zur gleichen Zeit in Europa und der Bundesliga auf Toplevel spielen. Leider wird dies während dieser Saison unvermeidlich bleiben“, so der europäische Verband in seiner Stellungnahme.

Solche Sorgen hat der TVB nicht. Für ihn geht’s um Punkte für den Klassenverbleib. Deshalb hofft Jürgen Schweikardt am Sonntag auf ein Happy End – in jeder Beziehung: „Ich wünsche mir, dass die Leute erst zu uns kommen und dann aufs Volksfest gehen.“ Wobei es einfacher sein dürfte, einen Platz in der Porsche-Arena zu bekommen als nachher im Bierzelt.