Die AfD-Fraktion im Bundestag fragt mehr als 200 Ministerien, Behörden und Institute, wie oft sie Medien um die Korrektur falscher Berichte gebeten haben. Für Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki geht es dabei um die Einschüchterung von Pressevertretern.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Stuttgart - Das hat es im Bundestag so noch nicht gegeben. Dass Parlamentarier ihr Fragerecht nutzen, um bestimmte Sachverhalte mit Blick auf alle 16 Bundesländer oder sämtliche Ministerien der Bundesregierung einzeln zu erkunden, kommt im parlamentarischen Alltag immer wieder vor. Aber mehr als 200 Mal eine ziemlich gleich lautende Frage an unterschiedliche Ministerien, Behörden und Institute? Das ist, wie hinter vorgehaltener Hand eingeräumt wird, ein bisher nie dagewesener Fall.

 

Die erste Anfrage der Serie wurde laut der Liste des Deutschen Bundestags, die unserer Zeitung vorliegen, am 2. Juli dieses Jahres registriert. Adressat ist das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB), der Fragesteller ist die AfD-Bundestagsfraktion. Sie will mit einer kleinen Anfrage in Erfahrung bringen, aus welchen Anlässen das Institut bei Medien um Korrekturen von Berichterstattung eingekommen sei – die bekannten Vorwürfe bei AfD-Kundgebungen an die „Lügenpresse“ lassen grüßen.

Das ist der Auftakt einer beispiellosen Serie. Nummer zwei richtet sich an die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE). Nummer drei begehrt Auskunft von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Immer geht es darum, ob und wie oft der Adressat wegen falscher Berichterstattung in Medien „Korrekturbitten“ an die Redaktionen gerichtet habe. Was variiert, sind die Zeiträume, auf die sich die Anfrage richtet. Das kann nur ein Monat sein, wie der „Januar 2019“ in der Anfrage an das Bundesinstitut für Risikobewertung (Drucksache 19/11602) oder 14 Jahre umfassen („seit 2005“), wie im Fall des Bundesumweltministeriums (Drucksache 19/11587).

Ein einziger Tag – sechzig neue Anfragen

Im Juli gab es beim Bundestag mehr Tage mit dem Eingang neuer „Korrekturbitten“-Anfragen der AfD als ohne. 47 stammen allein vom 11. Juli – fünf Tage später kamen sechzig. Bis zum 24. Juli waren 212 derartige Anfragen bei der zuständigen Abteilung registriert. Bis Freitag kamen laut den aktuellen Bundestagsinformationen über kleine Anfragen weitere dazu – unter anderem ans Kanzleramt, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und: das Technische Hilfswerk. Ob das das Finale der Serie ist?

Die Pressestelle der AfD-Fraktion antwortete auf die Frage nach Motiv und Erkenntnisinteresse unserer Zeitung lediglich, dass die Bundesregierung eine Anfrage in gleicher Sache an die Verfassungsorgane und Bundesbehörden Ende Januar „vollkommen unzureichend beantwortet“ habe. Deshalb habe ein Abgeordneter „sich die Mühe gemacht, bei allen Ministerien und Behörden direkt in dieser Sache erneut einzeln anzufragen“.

Tatsächlich hat die Bundesregierung seinerzeit (Drucksache 19/7472) unter Hinweis auf die Presse – und Meinungsfreiheit vier Fragen der Fraktion gesammelt und knapp beantwortet. Demnach gibt sie „in Einzelfällen“ einem Medium einen Hinweis, „wenn von der Bundesregierung veröffentliche Informationen oder Angaben über die Bundesregierun objektiv unzutreffend wiedergegeben sind“ und dies „angemessen und geeignet“ erscheine. „Eine Gesamtübersicht der mittels anwaltlicher Hilfe oder ohne anwaltliche Hilfe gegebenen Hinweise liegt nicht vor.“ Aus der einen Anfrage damals sind dem Vernehmen nach 169 neue geworden, die sich direkt an die Bundesregierung wenden.

„Es geht um die Einschüchterung von Pressevertretern“

Fakt ist: Das Fragerecht der Bundestagsabgeordneten und die Auskunftspflicht der Bundesregierung sind hohe Güter der Demokratie, im Grundgesetz verankert und in der Geschäftsordnung des Bundestags geregelt. Klar ist auch, dass alle „Korrekturbitte“-Anfragen aus der AfD zulässig sind, sonst hätte das Parlamentsreferat sie gar nicht erst zur Beantwortung an die Regierung weitergeleitet. „Es ist das gute parlamentarische Recht der AfD, dies zu tun“, erklärt denn auch der Vizepräsident des Bundestags Wolfgang Kubicki (FDP). „Allerdings muss sich die Fraktion fragen, ob diese Art des Vorgehens insgesamt sinnhaft ist.“ Er ist überzeugt, dass die AfD „vor dem Hintergrund einer fortschreitenden innerparteilichen Zerrüttung versucht, die demokratischen Institutionen und Prozesse verächtlich zu machen“. Sein Vorwurf an die AfD: „Es geht in diesem Fall klar um die Einschüchterung von Pressevertretern“. Dies werde aber nicht gelingen.

Die Bundesregierung reagiert gelassen auf die Frageflut. Die Anfragen würden „derzeit beantwortet und anschließend gegenüber dem Deutschen Bundestag beantwortet“, erklärte eine Regierungssprecherin auf Anfrage. Eine Gefahr, dass die betroffenen Behörden durch den Rechercheaufwand lahmgelegt würden, sieht sie nicht. „Die Bundesregierung ist auch vor dem Hintergrund der gestiegenen Anzahl der parlamentarischen Fragen in der Lage, diese in der Regel innerhalb der vorgegebenen Fristen zu beantworten.“

Der Abgeordnete, der die Fragen in Serie gestellt hat, ist Thomas Seitz, aus dem baden-württembergischen Wahlkreis Emmendingen. Seitz wird dem völkisch-nationalistischen „Flügel“ um den Thüringer AfD-Sprecher und Rechtsausleger Björn Höcke zugerechnet.