Feinstaub bleibt auch 2016 ein großes Problem in Stuttgart. Bastler und Aktivisten vom OK Lab erheben mit selbst gebastelten Geräten nun ihre eigenen Luftdaten. Beim Vor-Ort-Besuch haben sie uns erklärt, wie das funktionieren soll.

Stuttgart - Eine schwere Metalltür, ein dunkles Treppenhaus mit Graffiti, ein Lichtband auf Fersenhöhe sorgt für so viel Helligkeit wie in einer Dunkelkammer. Drei Türen später stehen wir in einem Raum im Shackspace an der Ulmer Straße in Wangen, wo Hacker und andere Technikfreunde an Gerätschaften und Computern werkeln – eine analoge und digitale Schrauberwerkstatt mit dem Charme eines Jugendzentrums der 70er Jahre.

 

An einem großen Tisch sitzen Männer, deren Äußeres zwischen Beamtenhabitus und Freak changiert. Einige montieren Elektronikteile in graue Plastikröhren, die im einschlägigen Fachhandel in der Abteilung Sanitär zu finden sind. Andere schauen in ihren Laptops auf Tabellen und Kurven, es fallen Wörter, die auch im neuesten „Star Wars“-Film vorkommen könnten. Doch so sehr das Ambiente den Anschein des Provisorischen erweckt, mit ihrem Anliegen ist es der Gruppe ernst – sehr ernst. „Wir wollen die Feinstaubbelastung in Stuttgart für alle Bürger sichtbar machen“, sagt Jan Lutz, der mit Wollmütze, Karohemd und Zauselbart eher einem Holzfäller aus Alaska ähnelt als einem Kommunikationsdesigner, der seinen Beruf an der Merz-Akademie gelernt hat und nun in der Königstraße ein „Büro für Gestalten“ betreibt.

Jan Lutz und seine Helfer wollen Feinstaub-Transparenz

Die gesundheitsschädliche Feinstaubbelastung ist seit Jahren ein Thema in Stuttgart. An der Messstelle am Neckartor werden mit unschöner Regelmäßigkeit die europäischen Grenzwerte gerissen. Das hat Stuttgart den zweifelhaften Titel der „Feinstaubhauptstadt“ und nun auch einen blauen Brief aus Brüssel eingebracht, in dem die EU mit horrenden Strafzahlungen droht. Seit Jahren streitet ein Anwohner gegen Stadt und Land vor Gericht. Doch trotz Plakettenpflicht und Lkw-Durchfahrverbot herrscht an zu vielen Tagen zu dicke Luft.

Jan Lutz wünscht sich mehr Engagement im Kampf gegen die Schadstoffbelastung. Doch ihm und seinen Mitstreitern im OK Lab geht es zunächst einmal darum, Transparenz zu schaffen. Sie wollen nicht nur Messwerte für einzelne Plätze wie am Neckartor, sondern einen Überblick über Stuttgart und die Region. Deshalb bauen sie die kuriosen Messgeräte, deren Kernstück eine elf Euro teure Elektronik aus Asien ist. Das Teil, das Feinstaubwerte misst, ist normalerweise in Klimaanlagen eingebaut und zeigt an, wann ein Filterwechsel nötig ist. Das damit ausgestattete gekrümmte Plastikrohr wird an Privathäusern montiert. Die Werte werden über W-Lan an die Zentrale geschickt und dort aufbereitet. 25 Geräte zum Stückpreis von rund 30 Euro sind schon gebaut, 300 sollen es – unterstützt von Paten, die spenden – am Ende sein. „Vielleicht sind die Werte nicht ganz so exakt“, sagt Lutz, „aber wir haben dann einen Überblick, wie sich die Feinstaubbelastung in der Stadt verteilt, wann sie steigt und wann sie sinkt“. Und dann? „Was die Öffentlichkeit und die Politik daraus machen, wird man sehen“, sagt der 40-Jährige, der wie die meisten mit der Stadtbahn nach Wangen gekommen ist.

Das Team sucht noch Unterstützer für seine Messgeräte

Die Politik ist 2015 so sehr unter Druck geraten wie nie zuvor beim Thema Feinstaubbelastung. Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) dachte sogar laut über Fahrverbote nach, was ihm zuerst fette Schlagzeilen und dann einen Rüffel seines Parteifreunds Fritz Kuhn einbrachte, der freiwillige Maßnahmen bevorzugt als Oberbürgermeister einer Stadt, in der Daimler und Porsche zuhause sind. Im November reagierten Umweltverbände mit einer großen Demonstration in Stuttgart. Mitte Dezember verkündeten die beiden grünen Vormänner dann gemeinsam, dass es ab 2016 in Stuttgart Feinstaubalarm gibt, mit dem Autofahrer zum freiwilligen Verzicht aufs Auto ermuntert werden sollen. Mittlerweile weitet die Stadt die Tempo-40-Zonen auf Steigungsstrecken aus und lässt eine Mooswand am Neckartor bauen. Erst wenn all das nicht hilft, sind Fahrverbote geplant.

Für die Kritiker sind das nur halbherzige Maßnahmen – für sie müssen Tempo und Zahl der Autos reduziert werden. Die Deutsche Umwelthilfe zog vor Gericht, um Land und Stadt zu wirksameren Eingriffen zu zwingen.

Für das OK Lab ist das Feinstaubmessnetz ein Beispiel dafür, wie Daten für die Öffentlichkeit erhoben und zugänglich gemacht werden können. Denn das ist das Ziel der Gruppen, die es im Rahmen des Code for Germany in ganz Deutschland gibt. „Stuttgart hat da noch Nachholbedarf“, sagt Lutz, der auf Paten für Messgeräte (www.luftdaten.info) und weitere Unterstützer (www.codefor.de/stuttgart) hofft. Und wem das shackspace zu abgefahren ist: Treffen finden auch in der schicken Stadtbibliothek statt.