Europas viertgrößte Fluggesellschaft kämpft ums Überleben.Ihr machen der Würgegriff von heimischen Gewerkschaften und die ausländischen Konkurrenten auf Kurz- und Langstrecke ebenso zu schaffen wie der deutliche Anstieg der Kerosinpreise.

Paris - Air France ist Turbulenzen gewöhnt. Aber die jüngsten Erschütterungen gehen über das Gewohnte hinaus. Sie lösen Absturzängste aus. Mitarbeiter, die noch nie öffentlich von sich reden machten, treten ins Rampenlicht, schlagen Alarm. Unter dem Namen Tous Air France (Alle Air France) hat ein Zusammenschluss von 30 Piloten, Stewardessen oder auch Mechanikern Ende vergangener Woche dazu aufgerufen zu retten, was zu retten ist.

 

Ziel: Tarifkonflikt entschärfen

Das Ziel der Initiative ist, einen Tarifkonflikt zu entschärfen, der das Unternehmen immer tiefer in die Krise stürzt. Die Gewerkschaften fordern 5,1 Prozent mehr Gehalt für alle Beschäftigten, Air France bietet ein Plus von sieben Prozent – verteilt auf vier Jahre. Die Fronten sind verhärtet. Eine vorläufige Bilanz des bereits drei Monate währenden Arbeitskampfes weist 15 Streiktage aus, dem Ausstand geschuldete Kosten von 300 Millionen Euro sowie die Rücktrittsankündigung von Jean-Marc Janaillac, dem Chef des Mutterkonzerns Air France-KLM. Dies vor dem Hintergrund steigender Kerosinpreise und eines sich massiv verschärfenden internationalen Wettbewerbs.

Ein Ende der Auseinandersetzung ist nicht abzusehen. Für Reisende heißt das: Sie müssen weiter mit Streiks und Flugausfällen rechnen. Um die Gewerkschaften unter Druck zu setzen, hatte Janaillac sich direkt an die Belegschaft gewandt. Der Spitzenmanager bat zur Abstimmung über die Sieben-Prozent-Offerte, machte seinen Verbleib an der Konzernspitze von der Annahme des Angebots abhängig. Doch die Beschäftigten votierten anders als von Branchenkennern erwartet: 55 Prozent lehnten das Angebot ab. Die an diesem Dienstag zusammentretende Hauptversammlung hat damit keine andere Wahl, als den von Janaillac am 4. Mai angekündigten Rücktritt abzusegnen. Was für Europas viertgrößtes Luftfahrtunternehmen heißt: Es muss versuchen, ohne Pilot aus der Krise zu fliegen.

Keine Nachfolgekandidaten in Sicht

Nachfolgekandidaten sind bis jetzt nicht in Sicht. Das Interesse, sich aufzuhalsen, woran in den vergangenen zehn Jahren vier Konzernchefs gescheitert sind, ist gering. Im Würgegriff heimischer Gewerkschaften einer davoneilenden internationalen Konkurrenz Paroli zu bieten, ist wenig verlockend. Investoren suchen frustriert das Weite. Seit Jahresbeginn hat die Aktie von Air France-KLM 50 Prozent an Wert verloren. Wirtschaftsminister Bruno Le Maire sagt, er sehe für Air France nur noch zwei Möglichkeiten: „Entweder das Unternehmen wird wettbewerbsfähiger oder es verschwindet.“

Anders als die Anleger und der Minister beurteilen die Gewerkschaften die Aussichten des Luftfahrtunternehmens durchaus positiv. Angeführt vom führenden Pilotenverband SNPL verweisen die Arbeitnehmerorganisationen auf den von Air France-KLM 2017 erwirtschafteten  Überschuss und darauf, dass die seit fünf Jahren auf Gehaltserhöhungen verzichtenden Mitarbeiter am Erfolg zu beteiligen seien. In der Tat hat Air France-KLM 2017 mit 1,5 Milliarden Euro einen Rekordgewinn erzielt. Was nach soliden Finanzen aussieht, erweist sich bei näherem Hinsehen indes als brüchig.  Die deutsche Lufthansa oder auch die Muttergesellschaft von British Airways und Iberia, IAG, haben 2017 aus überraschend niedrigen Treibstoffpreisen und dem global steigenden Passagieraufkommen wesentlich mehr gemacht. Und die Gewinnaussichten für Europas große Fluggesellschaften sind in diesem Jahr deutlich schlechter. Die Kerosinpreise steigen. Billiganbieter verschärfen den Wettbewerb auf Kurzstrecken. Auf Langstrecken bieten verstärkt Konkurrenten aus China und den Golfstaaten mit.

Droht Air France das Schicksal der bankrotten Fluglinie Alitalia

Das gute Konzernergebnis 2017 ist zudem vor allem der niederländischen Tochter KLM zu verdanken. Vereinzelt wird spekuliert, ob  Air France das Schicksal der bankrotten, seit Mai vergangenen Jahres zum Verkauf stehenden Alitalia ereilen wird. So weit dürfte es aber nicht kommen. Anders als die Alitalia-Manager hat der 2016 angetretene Janaillac wichtige Weichen gestellt. Er schloss Allianzen mit Delta Airlines und China Eastern, die auch ins Kapital eintraten, setzte die vom Vorgänger betriebene Gründung flexibler Tochtergesellschaften fort. Und auch wenn Wirtschaftsminister Le Maire versichert, der mit 14,3 Prozent an Air France-KLM beteiligte Staat sehe sich nicht in der Pflicht, finanziell auszuhelfen: Pleitegehen lassen wird er die einst dem Nationalstolz schmeichelnde Fluglinie bestimmt nicht. Wenn die Gewerkschaften den Arbeitskampf unbeeindruckt von allseits beschworenen Absturzszenarien fortsetzen, dann auch im Vertrauen darauf, dass der Staat notfalls doch einspringt.