Luftfahrtbranche in Corona-Zeiten Schwieriger Neustart mit Turbulenzen

Die Lufthansa will mit ihren Töchtern im nächsten Monat 80 Maschinen reaktivieren. Foto: AFP/CHRISTOF STACHE

Erst 2023 werden die Fluggesellschaften wohl wieder das Niveau von Anfang des Jahres erreichen. 50 Millionen Jobs weltweit sind in Gefahr, befürchtet die Branche. Spitzenmanager glauben, dass die Lust am Fliegen zurückkommt.

Frankfurt - Kaum eine andere Branche hat die Corona-Pandemie weltweit so stark erwischt wie die Luftfahrtindustrie. Innerhalb weniger Wochen ist der Passagierverkehr rund um den Globus um 98 Prozent eingebrochen. Zigtausende von Flugzeugen stehen auf dem Boden, Grenzen sind geschlossen, in vielen Gebieten gelten Einreiseverbote bis auf Weiteres. Allein in Europa, so schätzt der Weltluftverband IATA, werden sich die Umsatzausfälle der Branche auf 76 Milliarden Euro summieren, weltweit dürften es mehr als 300 Milliarden werden. 50 Millionen Jobs seien bedroht, staatliche Unterstützung daher unausweichlich.

 

Eine Erholung, da sind sich die Experten einig, ist nicht so schnell in Sicht wie etwa nach den Attentaten auf das World Trade Center im September 2001 oder auch während der Finanz- und Weltwirtschaftskrise von 2008/2009. „Es ist ein externer Schock, den wir nicht verhindern konnten – aber wir werden da durchkommen“, sagt Adrian von Dörnberg, ein ehemaliger Lufthansa-Manager, der heute an der Hochschule Heilbronn lehrt. „Während sich das Weltwirtschaftswachstum vermutlich schon im kommenden Jahr wieder dem Niveau vor der Krise nähern könnte, wird die Luftfahrtbranche wohl erst 2023 das alte Niveau erreichen können“, sagt Jürgen Krumtünger, Branchenexperte der Beratungsgesellschaft Prologis. Damit liegt er auf einer Linie mit den Prognosen, die auch Lufthansa-Chef Carsten Spohr oder der Chef des Frankfurter Flughafen, Stefan Schulte abgeben. Die Gründe dafür liegen vor allem in der „Komplexität des Problems“, meint Ulrich Schulte-Strathaus, der heute als Berater in Brüssel arbeitet, davor lange Zeit für die Konzernpolitik der Kranich-Linie zuständig war und schließlich mehrere Jahre als Generalsekretär des Verbandes der europäischen Fluggesellschaften fungierte. Nicht nur die Fluggesellschaften müssten sich auf den künftigen Bedarf ausrichten, auch die Flughäfen und der gesamte Touristiksektor stünden vor ganz neuen Fragen.

Staatsairlines verzerren den Wettbewerb

Dieses komplexe Problem könne die Branche nur gemeinsam lösen, betonte Schulte-Strathaus bei einer Diskussionsrunde des Travel Industry Clubs und warnte davor, dass der Wettbewerb in der europäischen Luftfahrt dadurch verzerrt wird, dass durch die Corona-Krise künftig Staatsairlines gegen privatwirtschaftliche Anbieter antreten werden. Der streitbare Ire Michael O’Leary hat bereits Klagen gegen eine solche Entwicklung angedroht – und meinte damit vor allem die Lufthansa. Schulte-Strathaus ist auch kein Freund von Staats-Airlines – das Beispiel Air France sei nur ein Beleg dafür, dass die Politik nicht der bessere Unternehmer sei.

Gerade jetzt aber kommt es auf ganz besondere Fähigkeiten an, meint Peter Glade, heute Spitzenmanager bei Sunexpress, früher auch bei Lufthansa, Austrian Airlines und der Star Alliance. „Es erinnert ein bisschen an die frühen Achtziger Jahre“, meint Glade. Alle Beteiligten müssten irgendwie auf Sicht fliegen, aber gleichzeitig langfristig strategisch planen. „Wir wissen nicht, wie die Nachfrage im Juni oder Juli aussehen wird, aber wir müssen darauf punktgenau vorbereitet sein,“ so Glade. In der Praxis sieht das so aus, dass die Sunexpress-Experten den regen Kontakt suchen zu Reisebüros, Reiseanbietern und Onlineportalen. „Wir wollen wissen, wonach die Kunden suchen und wofür sie sich letztlich entscheiden“. Das erfordere ein hohes Maß an Flexibilität, sowohl bei der Zusammenstellung der Flugpläne als auch in der Produktion. „Wir müssen dann fliegen, wenn der Kunde es will und wir müssen dahin fliegen, wo der Kunde hin will“, bringt Glade die Herausforderung auf den Punkt. „Wir müssen quasi der Uber der Luft werden“. Er sieht dabei Ferienflieger wie das Gemeinschaftsunternehmen von Türkish Airlines und Lufthansa etwas im Vorteil gegenüber einem großen „Netzwerkanbieter“ wie der Lufthansa. Für Sunexpress geht es vorrangig um Urlaubsreisende. Hier lässt sich nach Einschätzung der Experten recht bald abschätzen, welche Gebiete wieder attraktiv werden.

Ferienflieger tun sich leichter

Schwerer wird dies bei den großen Airlines, die wie die Lufthansa ein enges Netz aus nationalen und internationalen Flügen anbieten, private und Geschäftsreisende an alle Punkte der Welt transportieren wollen. „Auch wir stellen uns auf die größtmögliche Flexibilität ein“, betont ein Lufthansa-Sprecher. So würden derzeit die Flieger „durchgewechselt“, um lange Standzeiten zu vermeiden. Wenn ein Flugzeug erst einmal „eingemottet“ ist, dauert es Tage wenn nicht Wochen, bis es wieder flugfähig ist. Durch den ständigen Wechsel aber kann die Fluggesellschaft die Maschinen schneller wieder in die Luft bringen, wenn das nötig ist. Der Juni werde zeigen, wie schnell sich der Bedarf wieder entwickeln könnte. Im nächsten Monat will die Lufthansa mit der Swiss und Eurowings wieder 106 Ziele in Deutschland und Europa anfliegen, 80 Maschinen werden reaktiviert, sodass dann zumindest 160 Flugzeuge der 760-Maschinen starken Flotte wieder in Betrieb sind. Doch die Rückkehr zur Normalität wird noch viele Monate dauern. Angesichts der vielen Sicherheitsauflagen, die vorerst noch mit dem Reisen verbunden sein werden, rechnen die meisten Experten nicht mit einem großen Ansturm.

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