Die Stadt Herrenberg zählt zu denjenigen, die im Auftrag der Bundesregierung beispielhaft den Kampf gegen Stickoxid in der Luft beginnen sollen. Wie sie zu diesem Status kam, ist selbst dem zuständigen Bürgermeister unklar.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Herrenberg - Die Antriebskraft ist eher Eigennutz als Klimaschutz. „Wir machen das nicht aus Lust an dem schönen Förderprogramm“, sagt Tobias Meigel, „wir machen das, damit es uns etwas bringt, gegen Lärm, für die Luft und Lebensqualität“. Meigel ist Baubürgermeister in Herrenberg. Die Stadt zählt zu denen, die neben Bonn, Essen, Mannheim und Reutlingen ausgewählt wurde, um ihre Ideen für ein „Sofortprogramm saubere Luft“ in der Praxis zu erproben. Deshalb reiste Meigel zu Treffen nach Berlin, die landläufig als Dieselgipfel bekannt wurden.

 

Von „einer Milliarde Euro für saubere Luft“, die Bundeskanzlerin Angela Merkel versprach, hat Herrenberg 4,5 Millionen zu erwarten – vorerst und plusminus. Für jedes einzelne Vorhaben müssen detaillierte Förderanträge ausgefüllt werden. Nicht nur wegen der Formalien „ist das Programm hinreichend sportlich“, wie Meigel sagt. In zwei Jahren müssen alle Pläne verwirklicht sein. In Herrenberg fehlen schon die Grundlagen: Die Technik zur flexiblen Ampelsteuerung muss genauso beschafft werden wie das Personal, das sie bedient.

Schon nächstes Jahr soll der Modellstatus sichtbar werden

Schon im Verlauf des nächsten Jahres soll der Modellstatus sichtbar werden. Zu den Ideen zählt, die Ampeln der Durchgangsstraßen je nach Verkehrslage auf grüne Welle zu schalten. Leuchttafeln werden Autofahrer über die optimale Geschwindigkeit informieren, die durchaus unter Tempo 30 liegen kann. „Manche wird das am Anfang ziemlich nerven“, sagt Meigel. Die Wirksamkeit soll zunächst mit einer Testflotte erprobt werden, die Bosch ausrüstet, um Fahrverhalten und Schadstoffausstoß detailliert aufzuzeichnen.

Vordergründig scheint Herrenberg keineswegs erste Wahl, um beispielhaft Stickoxid in der Luft zu bekämpfen. Mehr als 70 Prozent des Verkehrs verursachen die eigenen Bewohner, vor allem die Berufspendler. „Die kriegen wir natürlich nicht raus“, sagt Meigel. Die Stadt lockt längst mit vergünstigten Preisen in den öffentlichen Nahverkehr, mit Betonung auf dem Wortteil nah. Herrenberg liegt in der VVS-Tarifzone 68. Schon wer in Nachbarorte wie Jettingen oder Altdorf will, überfährt die Zonengrenze und zahlt den Normalpreis. Meigel hofft, dass der Verkehrsverbund darüber mit sich reden lässt.

Die ersten Reaktionen auf die Krisentreffen waren nüchtern

Merkel hatte die Krisentreffen einberufen, um Fahrverbote zu vermeiden. Die ersten Reaktionen waren nüchtern: Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn bemängelte, dass die Verursacher der Misere ungeschoren blieben – die Autoindustrie. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller merkte an, dass mit Steuergeld Elektrofahrzeuge bezahlt würden, die kein deutscher Hersteller produziere. Das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ bescheinigte der Regierung gleich Staatsversagen. Die Tagesschau zog – im Juli, ein Jahr nach dem ersten Gipfel – „eine magere Bilanz“.

28 Städte waren ursprünglich beteiligt. Fünf sind zu Modellstädten erklärt worden. Wie Herrenberg zu diesem Status kam, weiß auch Meigel nicht zu sagen, aber „es freut uns sehr“. Er vermutet, dass es eher die geringe Größe der Stadt war: „In unserer Innenstadt müssen fünf Ampeln neu geschaltet werden, in Stuttgart wären das 100“, sagt er. Zum anderen haben die Herrenberger nahezu alles, was gefordert und gefördert wird, längst erarbeitet. Der „Integrierte Mobilitäts Entwicklungsplan“ schreibt die Zukunftsziele für einen möglichst vorbildlichen privaten wie öffentlichen Verkehr fest. Was darin vermerkt ist, „klingt zunächst klassisch, ist es auch“, sagt Meigel. Parkplätze und Abbiegespuren sollen beseitigt werden, weil sie den Verkehr ausbremsen. Abgesehen von der Verflüssigung des Autoverkehrs sind Busse und Bahnen, Mieträder und Linientaxis die zweite Säule. Innovativ soll die Gesamtheit werden, indem sich auf dem Mobiltelefon alle Angebote zur Fortbewegung vereinen, Mitfahrgelegenheiten und Fahrgemeinschaften eingeschlossen. „Das muss so komfortabel sein, dass man über das Auto gar nicht mehr nachdenkt“, sagt Meigel.

Ein Verbot haben die Herrenberger auch im Programm, ein Fahrverbot – mit großzügigen Ausnahmen. Für den Schwerverkehr soll die Stadt gesperrt sein, ausgenommen sind Anlieger und Anlieferer.