Luftverschmutzung selbst messen In einer Stunde zum Feinstaub-Messgerät

Die schlechte Luft im Talkessel lässt Bürger aktiv werden: Sie basteln Messgeräte und ermitteln die Feinstaubwerte vor ihrer Haustür. Zeitbedarf: etwa eine Stunde, Kosten: etwa 30 Euro.
Stuttgart - Die Landesanstalt für Umwelt misst aktuell am Neckartor, an der Hohenheimer Straße, am Arnulf-Klett-Platz sowie in der Gnesener Straße die Feinstaubwerte im Stuttgarter Stadtgebiet, die Stadt betreibt am Schwabenzentrum eine weitere Station. Vorrangig wird also, wie von der EU vorgegeben, an verkehrsreichen Stellen gemessen. Wie aber sieht es in den Wohngebieten aus, wie hoch ist die Luftbelastung am Killesberg, in Sillenbuch, in Zuffenhausen? Experten rechnen dazu Modelle, die Stadt hat darauf basierend eine Karte auf ihrer Website veröffentlicht – genauer wissen kann man es aber nur mit Messungen.
Hier setzt das OK Lab Stuttgart an, das ist die Ortsgruppe der Open Knowledge Foundation, die bundesweit für offene Daten eintritt. Die Gruppe hat, wie bereits berichtet, einen Bausatz für Messgeräte zusammengestellt – aus handelsüblichem Elektrozubehör und einem Sensor, der sonst bei Klimaanlagen zum Einsatz kommt. 30 Euro und etwa eine Stunde Zeit für Zusammenbau und Installation kostet ein Gerät, außerdem benötigt man einen Stromanschluss und Wlan. 300 Bausätze hat die Gruppe über Spenden finanziert, ebenso die Datenbank, in der die Messergebnisse zusammenfließen.
Mehr als 300 Geräte in Stuttgart, der Region und vereinzelt darüber hinaus messen bereits den Anteil von PM10 – also dem, was landläufig unter Feinstaub verstanden wird.
Wie die Feinstaubmessgeräte zusammengebaut werden, zeigt ein Vor-Ort-Termin bei einem der regelmäßigen Bastler-Treffen im Shackspace in Stuttgart-Wangen, einem Clubhaus für Computeranwender. Christof Hoyer ist einer von dreißig Interessenten, die mit einem Sensor die Luft vor der eigenen Haustüre messen wollen. Der Bausatz besteht aus neun Teilen; innerhalb von zwanzig Minuten hat Hoyer, der in der IT-Branche arbeitet, den Sensor verkabelt und in ein Abflussrohr gesteckt. Das Plastikgehäuse schützt die Technik, denn daheim in der Breitscheidstraße in Stuttgart-West hängt Hoyer sein Messgerät logischerweise an die frische Luft – in seinem Fall an eine Regenrinne im dritten Stock. Dann noch ans Stromnetz anschließen, und von da an funkt der ebenfalls eingebaute Wlan-Sender halbminütlich den aktuell gemessenen Feinstaubwert übers Internet an die zentrale Datenbank des OK Lab.
„Das Thema Feinstaub interessiert mich nicht nur als Stuttgarter, sondern auch als gesund lebender Mensch“, sagt Hoyer, „ich möchte wissen, ob die Feinstaubwerte in anderen Teilen der Stadt genau so hoch sind wie da, wo offiziell gemessen wird.“ Hoyer setzt sich an seinen Rechner und ruft die Website des OK Lab auf. Am Bildschirm erscheint eine Stuttgart-Karte mit verschieden eingefärbten Waben. Er zoomt heran und klickt auf die Wabe: „In diesem Gebiet zeigt die Karte drei Sensoren, einer davon ist meiner.“
An diesem Vormittag misst Hoyers Sensor 39 Mikrogramm Feinstaub je Kubikmeter Luft; zwei andere Sensoren in der Nähe melden deutlich höhere Werte. Die Zahlen sind nur bedingt aussagekräftig: Die Geräte Marke Eigenbau messen mit einer anderen Methode als die LUBW mit ihren Tausende Euro teuren Geräten, sie werden auch nicht nach standardisierten Vorgaben aufgehängt. Auf 20 bis 30 Prozent schätzt Josef Cyrys die Ungenauigkeit der selbst gebauten Geräte. Cyrys ist beim Helmholtz-Zentrum in München Experte für das Messen von Luftverschmutzung.
So genau sind die Selbstbau-Sensoren
Die selbst gebauten Feinstaubmesser können nicht zuverlässig ermitteln, ob vor der eigenen Haustür gerade die EU-Grenzwerte für Feinstaub überschritten werden. Durch die große Zahl von Sensoren lässt sich jedoch auch für größere Teile der Stadt erkennen, wie sich die Werte im Tages- oder Wochenverlauf verändern – ob also beispielsweise die Feinstaubkonzentration auch im Wohngebiet tatsächlich steigt, wenn die Stadt Feinstaubalarm ausgerufen hat. Ein Blick auf die archivierten Messergebnisse der vergangenen Monate zeigt beispielsweise den auch von der LUBW am Neckartor gemessenen extremen Ausschlag der Feinstaubwerte zu Silvester sowie während der Feinstaubalarmtage im Januar sowie Anfang Februar.
„Das eigentliche Problem ist ja, dass es gar keine Daten gab außer den hysterischen Ausschlägen vom Neckartor. Aus dieser Not heraus haben wir gesagt: wir erheben die Daten selber“, berichtet Jan Lutz, der dem OK Lab Stuttgart vorsteht und es in der Öffentlichkeit vertritt. Zwei Jahre hat das OK Lab an dem Messgerät gearbeitet. „Uns hat natürlich in die Hände gespielt, dass 2015 das Citizen-Science-Jahr war.“
Unter „Citizen Science“ versteht man Wissenschaft von und für Laien. Weltweit tragen Bürger Tiersichtungen zusammen, erfassen Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten oder erheben Umweltdaten. Selbst Feinstaub zu messen, ist ein weiteres beliebtes Beispiel. Ein ähnliches Projekt wie in Stuttgart gibt es bereits in Delhi und Mumbai und auch am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) werden günstige Feinstaubsensoren erforscht; in Esslingen baut der Rüdern Technikclub mit Jugendlichen mobile Messgeräte.
Basteln am Samstag – oder einmal im Monat
Stets zeigt sich bei solchen Projekten, dass exakte absolute Werte mit solchen Geräten nicht machbar sind – sehr wohl aber Aussagen darüber, ob die Luft eher gut oder eher schlecht ist und wie sie sich in den zurückliegenden Tagen entwickelt hat. Außerdem lässt sich mithilfe vieler, wenngleich ungenauer Sensoren die Genauigkeit von Modellrechnungen verbessern. Das würde auch in Stuttgart helfen – nicht nur bei Feinstaubalarm.
Info: Am Samstag um 13 und 14 Uhr können Feinstaubmessgeräte im Max-Bense-Forum in der Stadtbibliothek zusammengebaut werden (Infos hier). Alternativ findet an jedem zweiten Dienstagabend eines Monats von 19 Uhr an ein etwa einstündiger Workshop statt – im Shackspace, einem Treffpunkt von Bastlern und IT-Enthusiasten in der Ulmer Straße 255 in Stuttgart-Wangen. Hier gibt es weitere Infos.
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