Der Vertrag von Katharina Wagner als Chefin der Bayreuther Festspiele endet 2015. Bund und Land will sie künftig allein an der Spitze sehen – und ändern dafür notfalls auch Satzungen.

Bayreuth - Diskret, nach außen hin leise, aber mit Nachdruck setzt Toni Schmid, Ministerialdirigent aus dem bayerischen Kultusministerium und Festspiel-Verwaltungsratsvorsitzender, die Verstaatlichung der Bayreuther Festspiele um. Per Satzungsänderung hat er die Richard-Wagner-Stiftung und mit ihr die Stiftungsratsmitglieder aus der Wagnerfamilie ihres Königsrechts beraubt, den Festspielleiter zu ernennen. Nun wollen die Nachkommen Wieland Wagners (einer der beiden für Neubayreuth maßgeblichen Komponistenenkel) juristisch dagegen vorgehen, dass die Stifterfamilie nichts mehr zu sagen hat. Hinter den Bayreuther Kulissen kracht es also wieder gewaltig. Kein Wunder, es stehen ja auch wichtige Entscheidungen über die Zukunft der Festspiele an. Doch der Reihe nach.

 

Die Meldung vom 20. März klang noch positiv, und viele Zeitungen titelten denn auch: „Jetzt können die Millionen fließen“. Es ging um die Unterschriften unter den neuen langfristigen Mietvertrag für das Festspielhaus, der bis 2040 gilt. Der sanierungsbedürftige Theaterbau gehört besagter Wagner-Stiftung, die ihn an den Festspielunternehmer vermietet. Letzterer war bis 2008 Wolfgang Wagner (der andere Komponistenenkel) als alleiniger Geschäftsführer der Festspiel-GmbH. Als der Prinzipal im Greisenalter endlich zu Gunsten seiner Töchter abdankte, regierten Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner weiter – ohne gültigen Mietvertrag.

Die Stiftung wird entmachtet, die GmbH entscheidet

Daran störten sich naturgemäß einige Mitglieder der Richard-Wagner-Stiftung, und es störte sie noch mehr, als 2013 zu den beiden Chefinnen mit Heinz-Dieter Sense auch noch ein kaufmännischer Geschäftsführer engagiert wurde, ohne dass das in der Satzung vorgesehene Ausschreibungsverfahren eingeleitet worden war. Nicht nur die im Januar verstorbene Wagner-Urenkelin Iris Wagner meldete damals Bedenken an, sondern auch Brigitte Merk-Erbe, Oberbürgermeisterin von Bayreuth und von Amts wegen Geschäftsführerin der Wagner-Stiftung.

Was Toni Schmid aber dann in einem sogenannten „Sideletter im Sinne einer Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag“ den Gremien vorlegte, lief faktisch auf eine Entmachtung sowohl der Stiftung und der Stifterfamilie als auch der Stadt Bayreuth hinaus, weil über die Bestellung des Festspielchefs künftig die Festspiel-GmbH entscheiden soll, in welcher Bund und Land die Mehrheit haben. Merk-Erbe bat daraufhin im Herbst 2013 die Regierung von Oberfranken als Stiftungsaufsicht um ein Rechtsgutachten, das unerwartet klar ihre Zweifel teilte. Aber zu jeder unteren Aufsichtsbehörde gibt’s eine obere. Und die sitzt im bayerischen Kultusministerium, also just dort, wo die angezweifelten Satzungsänderungen ja ausgetüftelt wurden. Natürlich teilte das neue Gutachten die Bedenken nicht mehr, und mit dem Damoklesschwert über ihrem Haupt, die angeblich dringend notwendige Sanierung des Festspielhauses zu verhindern, unterschrieben die Oberbürgermeisterin und der inzwischen auf ihrer Seite stehende oberfränkische Regierungspräsident die vertragliche Neuregelung.

Daphne Wagner sieht Erpresser im Spiel

Die Schauspielerin und Wagner-Urenkelin Daphne Wagner, die just am 20. März zu ihrer ersten Stiftungsratssitzung im Bayreuther Rathaus antrat, erfuhr den neuen Sachstand erst am selben Morgen aus der Lokalzeitung und verließ die Sitzung, kaum angekommen, gleich wieder. „Soll ich mir jetzt anhören“, sagte sie später in einem Interview mit dem „Fränkischen Tag“, „wie viel Glühbirnen im Festspielhaus verschraubt werden?“ Sie sieht den neuen Mietvertrag als Satzungsbruch an – und gewissermaßen als Ergebnis einer Erpressung. „Frau Merk-Erbe und Herr Wenning haben unterschrieben, weil sie sonst Regressklagen am Hals gehabt hätten. Toni Schmid hat sie wegen der Sanierung, die mindestens 30 Millionen kosten soll, unter Druck gesetzt und konnte sagen, die öffentlichen Gelder fließen nicht, wenn ihr nicht unterschreibt.“ Dabei habe sachlich das eine mit dem anderen nichts zu tun.

„Katharina Wagner bleibt bis 2020“ titelte tags darauf der „Nordbayerische Kurier“. Zwar laufen die Verhandlungen noch, aber die Entscheidung über ihre zweite, angeblich nur mehr fünfjährige Amtszeit – ihre Schwester Eva Wagner-Pasquier, mit der sie die Festspiele bisher gemeinsam leitete, wird 2015 aufhören – liegt jetzt nicht mehr beim Stiftungsrat, der im Zweifelsfall auch ein Expertengremium beiziehen sollte, sondern nur noch beim Verwaltungsrat der Festspiel-GmbH.

Und auch hier hat sich einiges geändert: Dessen vier Gesellschafter haben neuerdings gemäß ihrem Finanzeinsatz Gewicht. Bund und Freistaat Bayern kommen nun zusammen auf 58 Stimmen, die mäzenatische „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth“ auf 29 und die Stadt Bayreuth nur noch auf 13. Wenigstens hat die Oberbürgermeisterin, was die Intendantenwahl betrifft, erkämpft, dass es dazu eine Dreiviertelmehrheit braucht und bei zwei Nein-Stimmen nicht gilt.

Hat Eva Wagner-Pasquier wirklich freiwillig zurückgezogen?

Dass die Wieland-Nachkommen dagegen angehen wollen, hat nichts mit den altbekannten Animositäten innerhalb des Wagner-Clans zu tun. „Es geht darum“, sagt Daphne Wagner, „dass man so nicht mit einer Stifterfamilie umgehen kann, zu der selbstverständlich alle gehören, auch unsere Cousinen Eva und Katharina. Ohne uns, ohne die Stifterfamilie, gäbe es die Stiftung gar nicht. Wir wollen nur, dass alles rechtens ist. Schon die Nichtverlängerung von Eva ist ein Satzungsbruch.“

Dass Eva Wagner-Pasquier, wie Ministerialdirigent Toni Schmid erklärt hat, von sich aus abgedankt habe, stimmt laut Daphne Wagner nicht. „Er hat sie schon im Dezember einbestellt und vor vollendete Tatsachen gestellt.“ Einschließlich eines Beratervertrags, wonach sie sich künftig um die um ihre Kartenprivilegien gebrachten Wagnerverbände kümmern soll. Apropos Berater: der Dirigent Christian Thielemann soll wieder einen Vertrag bekommen, mit mehr Gewicht und deutlich aufgebessert. Die Wagner-Urenkelin sieht das Ganze auch exemplarisch. „Wenn das durchgeht, werden sich doch nicht wenige potenzielle Stifter fragen, machen wir das überhaupt noch, wenn wir wenig später Knall auf Fall weg sind vom Fenster?“

Bleibt noch anzumerken, dass in Bayreuth jetzt auch der „Ausverkauft“-Mythos verloren gegangen ist. Der im Oktober erstmals praktizierte Online-Kartenverkauf für die Festspielsaison 2014 war nicht der Erfolg, als der er ausgegeben wurde: Erstens war der Server dem Ansturm technisch und datenschutzrechtlich nicht gewachsen, zweitens waren die insgesamt zum Verkauf stehenden rund 20 000 Tickets nur virtuell blitzartig vergriffen. Vergangene Woche meldete die Lokalzeitung jedenfalls, dass es plötzlich Karten im Sofortkauf gibt. Laut Festspiel-Pressesprecher Peter Emmerich handelt es sich dabei um stornierte und unbezahlte Karten. Vor allem der komplette „Ring des Nibelungen“ war noch reichlich zu haben.