Die Christdemokraten erleben Tage des Missvergnügens. Der Machtkampf zwischen Landesparteichef Thomas Strobl und der Fraktion im Landtag bleibt vorerst unentschieden. Vorerst flüchteten die Beteiligten in Beschwichtigung.

Stuttgart - Die Krisensitzung der CDU-Landtagsfraktion am Dienstag war gut besucht, auch Journalisten fanden sich zahlreich ein. Sie mussten aber draußen bleiben – vor den Türen des Fraktionssaals, in dem sich Landesparteichef Thomas Strobl den 43 Abgeordneten stellte. Strobl zählt nicht zu den MdLs, den Mitgliedern des Landtags. Er hatte nach dem Desaster bei der Landtagswahl 2016 – damals gehörte der CDU-Landeschef noch dem Bundestag an – in Stuttgart die Regie übernommen und die einst stolzen Christdemokraten als Juniorpartner in die Koalition mit den Grünen geführt.

 

Im Koalitionsvertrag findet sich die Absicht, das Landtagswahlrecht um Parteilisten zu ergänzen. Das könnte Parteichef Strobl helfen, bei der nächsten Landtagswahl unkompliziert ins Parlament zu gelangen. Darum aber, sagt er, gehe es nicht. Er und mit ihm Teile seiner Partei, vor allem aber die Grünen, wollen den bescheidenen Frauenanteil im Landtag erhöhen, derzeit liegt er bei 25 Prozent. Nur die Grünen kommen auf ein hälftiges Geschlechterverhältnis. Die Landes-CDU könnte auch dringend ein paar Abgeordnete aus urbanen Milieus gebrauchen, dort findet die Partei nur wenig Anklang.

Schrille Töne aus der Fraktion

Vergangene Woche hatte die CDU-Fraktion einhellig gegen die Wahlrechtsreform votiert. Das war für Strobl ein Schlag in die Magengrube. Die Fraktion, die in Teilen ein Hass-Verhältnis mit ihm verbindet, stellte die Machtfrage, allen voran Wolfgang Reinhart, der Fraktionschef. Über das Wochenende gelang es Strobl aber, Unterstützung in der Partei zu mobilisieren.

Die Abgeordneten gerieten in die Defensive, und je mehr sie dessen gewahr wurden, umso schrillere Töne schlugen sie an. Nach einem Treffen des geschäftsführenden Fraktionsvorstands am Dienstagvormittag ließ Reinhart verbreiten, man fordere Strobl auf, in der Partei für ein Ende „unsäglicher Diskussionen“ zu sorgen. Man habe da eine „klare Erwartungshaltung“.

Wer ist Jäger, wer das Wild? Die Rollen wechseln. Zunächst, vor dem Wochenende, war Fraktionschef Reinhart der Jäger, seine Abgeordneten die Treiber – und Strobl das Wild. Nach dem Wochenende verhielt es sich umgekehrt.

Es mag sein, dass die Wahlrechtsfrage die CDU – abgesehen von Frauenunion und etlichen Parteimodernisierern – in der Tiefe nicht umtreibt. In der Breite der Partei allerdings stößt das Veto der Fraktion auf Ablehnung – die Spannweite reicht dabei von finsterem Augenbrauenheben bis lauthals vorgetragener Empörung („Dann muss der Reinhart weg“). Erstens, so ist zu hören, habe Grün-Schwarz bisher gut zusammengearbeitet, diese positive Wahrnehmung wolle man nicht eintrüben, schon gar nicht als – das zweite Argument – konservative Partei, zu deren Selbstverständnis Verlässlichkeit gehöre. Schließlich, so der dritte Hinweis, lege die CDU mit dem ganzen Gezerfe die Grundlage für die nächste Wahlniederlage.

Kaiser und Papst

Doch die Fraktion gab nicht nach. „Die Regierung ist dem Parlament verantwortlich, nicht umgekehrt“, diktiert ein Abgeordneter dem Reporter in den Block. „Dictatus Papae“, hieß das Schriftstück, mit dem Gregor VII. das Supremat über das mittelalterliche Kaisertum beanspruchte. Das Parlament, so der Anspruch der Fraktion, bestimme über das Wahlrecht in eigener Regie. Die Abgeordneten sind Papst, Strobl ist Exekutive, also bloß ausführendes Organ. In den Worten von Wolfgang Reinhart: „Die Meinung ist deutlich vorhanden, dass die Auffassung der Fraktion von den Regierungsmitgliedern nach außen vertreten wird.“

Nach vier Stunden Beratung traten Strobl und Reinhart vor die Presse, Nachfragen waren nicht zugelassen. Reinhart und seine Fraktion wollen jetzt doch über das Wahlrecht reden, bleiben aber bei ihrer Haltung: Das bestehende Wahlrecht ist das beste Wahlrecht. Alle Oppositionsfraktionen sollen nun einbezogen werden. Das ließ aufhorchen: Die AfD wurde bisher aus der Wahlrechtsdiskussion herausgehalten. Sie ist für das geltende Wahlrecht, liegt auf CDU-Linie. Ohnehin gilt die Befassung möglichst vieler Gremien als sicherste Methode, die Reform abzuwürgen.

Machtkampf? Die Fraktion habe deutlich gemacht, dass es bei ihrem Veto gegen die Wahlrechtsrefom allein um eine Sachentscheidung gegangen sei, sagte Strobl. Er und Fraktionschef Reinhart wollen sich künftig besser austauschen und bei einem regelmäßigen Vesper und einem Glas Wein näherkommen.