Deborah Dugan ist vor kurzem angetreten, die Recording Academy zu erneuern, die auch die Grammys vergibt. Knapp eine Woche vor der Preisgala hat es nun geknallt: Dugan ist suspendiert. Der Rapper Chuck D und andere sehen die Garde alter weißer Männer am Werk.

Stuttgart - Rund eine Woche vor der glitzerstarken Verleihung der Grammys in Los Angeles am 26. Januar haben die Organisatoren des Musikpreises eine ganz besondere Aufmerksamkeitsoffensive gestartet: Die Recording Academy, wie die Vereinigung hinter den Grammys sich nennt, hat ihre Chefin Deborah Dugan vom Sessel gekippt – nach nur fünfeinhalb Monaten im Amt. Dugan, von Haus aus Anwältin und vor ihrem Grammy-Job Geschäftsführerin bei RED, der von U-2-Sänger Bono gegründeten Wohltätigkeitsorganisation und Aids-Hilfe unter anderem für Afrika, wurde mit sofortiger Wirkung suspendiert. Eine Mitarbeiterin beschuldigt sie schweren Fehlverhaltens.

 

Details will die Recording Academy nicht nennen. Aber diverse amerikanische Medien, die „New York Times“ und das Branchenmagazin „Variety“ etwa, berichten Durchgesickertes. Dugan soll einen schikanösen Führungsstil gepflegt haben, außerdem sei unter ihrer Führung einem Vorwurf sexueller Belästigung nicht nachgegangen worden.

Chuck D wütet

Dass da wirklich einmal eine Frau über die neuen Führungsansprüche in der Metoo-Ära gestolpert ist, wird keineswegs von allen mit dem Branchenclub vertrauten Künstlern und Geschäftsleuten geglaubt. Der Rapper Chuck D etwa, Frontmann von Public Enemy, hat sofort wütende Worte für den Vorgang gefunden: „Wie üblich hat ein Klüngel ignoranter, testosteron-getriebener, normalerweise auch noch alter weißer Männer den Fortschritt aufgehalten und alles vermasselt.“

Chuck D bezieht sich darauf, dass Dugan am 1. August 2019 ausdrücklich als Reformerin angetreten war. Sie sollte nach einem als erbärmlich wahrgenommenen Auftreten der Academy in der Metoo-Debatte als erste Frau an der Spitze das Image, die Schwerpunkte und die Strukturen der Organisation verändern. Nach Dugans Hinauswurf haben anonyme Quellen unter anderem dem US-Branchenfachblatt „Variety“ zugespielt, die neue Chefin habe diese Aufgabe sehr ernst genommen. Sie habe intern die hohen Vergütungen einiger Funktionäre, nicht nachvollziehbare Kosten und einige schwere Interessenkonflikte zwischen Tätigkeiten in der freien Wirtschaft und Funktionen in der Academy angeprangert. Die alte Garde in der eigentlich National Academy of Recording Arts and Sciences betitelten Institution hatte demnach allen Grund, um Posten, Pfründe und Einfluss zu fürchten.

Künstler gegen alte Garde

Dugans Reformwille wird nicht nur von anonymen Insiderquellen bezeugt. Die nun über Nacht Kaltgestellte hat selbst in öffentlichen Äußerungen einen radikalen Kurswechsel der bislang eher von den Interessen und Ansichten der Konzernseite im Musikgeschäft geprägten Academy gefordert. „Unser Leitstern“, sagte Dugan, „sind die Künstler und Kreativen, schließlich haben wir 21 000 davon als Mitglieder: Wie dienen wir ihnen am besten?“

Auch Chuck D ist persönlich vom Kurswechsel betroffen. Public Enemy soll dieses Jahr einen Grammy für ihr Lebenswerk bekommen, was er als Dugans Verdienst sieht. Innerhalb der Academy gab es gegen die Ehrung Widerstände, die mit Formalien begründet wurden – eines der heutigen Bandmitglieder ist nicht von Anfang an dabei. Chuck D ließ aber schon durchblicken, dass er eher die Verknüpfung von Public Enemy mit der Szenen der unabhängigen Labels für die von Dugan beseitigten Hemmnisse verantwortlich macht.

Die große Spannung

Die internen Stimmen, die das Fachblatt „Billboard“ zum Dugan-Sturz eingesammelt hat, zeigen allerdings mehrheitlich Sympathie fürs alte Management. Die neue Chefin soll demnach alle überfordert und überfahren haben. Sie sei, darf man das Geflüster zusammenfassen, wild auf ihre Ziele losgestürmt, ohne Sinn für Maß, Ton und die Notwendigkeit, die bisherigen Angestellten und Aufsichtsräte mitzunehmen.

Die Frau, deren Vorwürfe Dugan vorerst zum Verhängnis wurden, dürfte jedenfalls aus der alten Garde stammen. Es soll sich um eine enge Mitarbeiterin des vorigen Academy-Chefs Neil Portnow handeln, der sich unter anderem mit der Bemerkung untragbar gemacht hatte, Frauen sollten sich eben „mehr anstrengen, um in bessere Positionen zu kommen. Über ihren Anwalt hat Dugan angekündigt, sie werde demnächst enthüllen, worum es bei ihrer Suspendierung wirklich gehe. Darauf sind nun viele gespannter als auf die Grammys.